Casey is coming home …

Dass Horror nie nur Plot, sondern stets auch Subplot ist, haben Interpretationen seit der romantischen Schauerliteratur immer schon gezeigt. Insofern ist die Verwendung des Genres und der Rückgriff auf ein standardisiertes Sujet auch verbunden mit einer Übernahme an Nebenbedeutungen, die durch die Situierung der Horror-Erzählung in einem konkreten Raum und einer konkreten Zeit immer auch eine Verschmelzung dieser Nebenbedeutung mit ihrem neuen Kontext bedeutet. Konkret lässt sich das an einem Film wie „Mulberry Street“ zeigen: Ein Hybrid aus Tier- und Zombie-Horror, situiert im New York der Gegenwart.

Der Film beginnt damit, dass wir die junge Soldatin Casey (Kim Blair), schwer durch Narben gezeichnet, auf dem Weg nach Hause, zu ihrem Vater, der in New York lebt, sehen. Im schwindenden Abstand zwischen ihr und ihrem Ziel verändern sich die Stadt und ihre Bewohner. Es kommt plötzlich zu Angriffen von Ratten auf Menschen. Zuerst werden einzelne U-Bahn-Stationen, in denen die Überfälle stattfanden, geschlossen, mehr und mehr verliert die Stadtverwaltung jedoch die Kontrolle über die Situation und kann schließlich nur noch Warnmeldungen über die Medien ausgeben lassen, man möge die Wohnung nicht verlassen, denn die von den Ratten gebissenen Menschen verwandeln sich in kurzer Zeit in blutgierige Bestien, halb Mensch, halb Ratte. Der Film schildert die Ereignisse in einem Mehrfamilienhaus in der Mulberry Street – eben jenem Haus, in das Casey aus dem Krieg heimkehren will.

„Mulberry Street“ wirkt schon von den ersten Minuten an wie eine moralische Bestandsaufnahme. Das vernarbte Gesicht der Soldatin wird filmisch assoziativ an Szenen in der Wohngegend rund um die Straße montiert: rauchende Kanaldeckel, Müll auf den Straßen, Betrunkene, Obdachlose und ein Haus, das von seinem Besitzer geräumt werden soll – in welchem jedoch noch Menschen leben, die sich als „Schicksalsgemeinschaft“ verstehen. Der Zusammenhalt der Hausbewohner wirkt wie ein Anachronismus in einer solchen Zeit und an einem solchen Ort. Dass der Film sich als Handlungsort dieses Haus aussucht, gleicht einer Stellungnahme, in der die Reste des noch verbliebenen Humanismus einer traumatisierten Gesellschaft der Gewalt und dem Chaos gegenüber gestellt werden. Die kleinen Dramen, die sich zu Beginn des Films in diesem Haus abspielen, wirken in ihrer Alltäglichkeit schon beinahe versöhnlich, blickt man vom Filmende her auf sie zurück.

Denn genau am Ende des Films werden sie noch einmal aufgegriffen und angesichts des Horrors, der sich nun auch dieses Hauses bemächtigt hat, radikalisiert: Der Streit zwischen der allein erziehenden Mutter und ihrem Sohn, der schwelende Konflikt der beiden Männer, von denen einer Caseys Vater, der andere sein homosexueller Mitbewohner ist, der ihm seine Zuneigung nicht eingestehen kann oder will und schließlich das nicht neue Problem der Veteranen, die, in ihr Land zurückgekehrt, dort auf Ablehnung, Aggression und manchmal sogar Gewalt stoßen. Auf dem Dach des Hauses in der Mulberry Street verdinglichen sich diese Probleme im Konflikt zwischen Infizierten und Nichtinfizierten.

Regisseur Jim Mickel und sein Kameramann Ryan Samul zeichnen dieses Horror-Drama in überaus düsteren Bildern. Die Set-Ausleuchtung ist oft so dunkel, dass man zeitweise nicht zwischen Menschen und Einrichtungsgegenständen unterscheiden kann. Kaum dass man aufgrund eines akzentuiert gesetzten Keylights einmal einen Gesichtszug oder einen ganzen Körper zu Gesicht bekommt. Ein Übriges zur Desorientierung leistet die häufige Verwendung der Handkamera. Diese verleiht dem Film in den rasanten Szenen nicht nur die notwendige Geschwindigkeit, sie verunsichert häufig auch die Blick-Perspektive des Betrachters, der das Unterscheidungsvermögen zwischen Subjektive und Objektive, oben und unten, drinnen und draußen verliert. Dem Zuschauer geht es damit wie den Bewohnern des Hauses. Die Inszenierung des Films schafft die perfekte Übertragung des Horrors auf diejenigen, die ihn mit ansehen müssen.

„Mulberry Street“ ist eine unabhängige, in vielen Facetten auch nur semiprofessionelle Filmarbeit – aber vielleicht hat der Film gerade deshalb den Mut, die offensichtlichen und die subtilen Themen auf diese Weise miteinander zu verschleifen. Als zwei betrunkene Männer in einer Kneipe sitzend über das Fernsehen von den Rattenüberfällen hören, äußert einer spontan die Vermutung, dass dahinter doch bestimmt wieder „dieser Bin Laden“ stecke. Hier (aber nicht allein hier!) offenbart sich nicht nur der politische Subplot des Rattenhorrors, der seine Metaphoriken von „Ausmerzung“, „Hygiene“ und „Volksschädlichkeit“ auf das Thema des Terrorismus im Innern übertragen wissen will, hierin kontrastiert auch die Heimkehr Caseys als vom Krieg gegen eben diesen Terror gezeichnete. Eine Heimkehr in eine Stadt, die selbst vernarbt ist und in der selbst ein Krieg schwelt – in „Mulberry Street“ wie die Ratten aus den U-Bahn-Schächten an die Oberfläche drängend.

Mulberry Street
(USA 2006)
Regie: Jim Mickel; Buch: Nick Damici & Jim Mickel; Musik: Andreas Kapsalis; Kamera: Ryan Samul; Schnitt: Jim Mickle; Szenenbild: Beth Mickle
Darsteller: Vonia Arslanian, Laurel Astri, Kim Blair, Ron Brice, Bo Corre, Nick Damici u. a.
Länge: 85 Minuten
Verleih: Ascot Elite

Die DVD von Ascot Elite

Recht schmucklos kommt „Mulberry Street“ daher. Das Cover ist genauso düster gehalten wie der Film und man braucht schon eine kleine Weile, um zu erkennen, was das Titelbild darstellen soll. Der Film selbst ist in gute Qualität auf DVD übertragen worden, wenn auch ohne weitere Ausstattung. Größtes Manko ist allerdings die schlechte deutsche Synchronisation. Da aber sowohl der Originalton als auch deutschsprachige Untertitel enthalten sind, kann man sich dieses Problems schnell entledigen.

Die Ausstattung der DVD im Einzelnen:

Bild: 1,85:1 (16:9), anamorph
Ton: Deusch (DD 5.1), Englisch (DD 2.0)
Untertitel: Deutsch für Hörgeschädigte
Extras: Trailershow
FSK: keine Jugendfreigabe
Erscheinungsdatum: 11.10.2007
Preis: 15,99 Euro

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