Die Blechdose, die aus dem Osten kam

Der berühmte amerikanische Wissenschaftler Dr. Lucas Martino (Joseph Bova), der mit dem rätselhaften Neptun-Projekt betraut ist, verunglückt bei einem schweren Verkehrsunfall in der UdSSR, überlebt aber schwer verletzt. Monate später erhält der amerikanische Geheimdienst die Nachricht, dass die Sowjets Martino an einem Grenzübergang übergeben wollen. Die Übergabe findet statt, doch statt des Wissenschaftlers überquert ein ganz in Metall gehüllter Mann die Grenze. Zwar behauptet jener, Martino zu sein, doch der Geheimdienst in Vertretung des Agenten Sean Rogers (Elliott Gould) hat berechtigte Zweifel an der Identität des Mannes …

metallmann.jpgBeim deutschen Titel, „Der Mann aus Metall“, fallen sofort die Cyborgs des Technoir der Achtziger- und Neunzigerjahre und natürlich der Iron Man der gleichnamigen Marvel-Superhelden-Comicserie ein. Doch während bei diesen Vertretern des Typus „Maschinenmensch“ nicht zuletzt das „Wie?“ und „Was?“ der technischen Hülle im Vordergrund steht, sind Zuschauer wie Protagonisten von Jack Golds Film vor allem daran interessiert, was sich hinter der metallenen Fassade verbirgt, am menschlichen Kern der Maschine. Diese Verschiebung tritt im Originaltitel des Films deutlich hervor: „Who?“ – „Wer?“ – wird da gefragt. Diese Frage ist programmatisch, wirft Gold (dessen bekanntester Film wohl „Der Schrecken der Medusa“ sein dürfte und dessen „Der kleine Lord“ die Herzen bei der alljährlichen Ausstrahlung im Weihnachtsprogramm erwärmt) doch einen kritischen Blick auf den von Paranoia und Panikmache geprägten Kalten Krieg und zeigt letzten Endes, wie politische Erwägungen das Menschliche konsequent verdecken, überlagern oder gar zerstören. Ein Jahrzehnt bevor der Wettstreit der Supermächte mit der Präsidentschaft Reagans und seinem Spruch vom „Evil Empire“ noch einmal neuen Zündstoff erhielt, dokumentiert „Der Mann aus Metall“ bereits sehr nachdrücklich, dass die Bedrohung nicht so sehr vom Gegner jenseits des Eisernen Vorhangs ausgeht, sondern in erster Linie von der diesseitigen Angst und ihren Auswüchsen selbst. Dr. Martino steht nach seiner Heimkehr vor der nahezu unmöglichen Aufgabe, seine Identität beweisen zu müssen. Der Versuch einer biologischen Beweisführung funktioniert nicht (auch deshalb nicht, weil eine DNA-Analyse wie sie heute gang und gäbe ist, 1973 selbst noch Science Fiction war), jegliche weitere Beweisführung scheitert am Misstrauen des Geheimdienstes, das letztlich unerschütterlich ist. Hinter jedem von Martino vorgebrachten Beweis wird wieder nur eine Finte des sowjetischen Geheimdienstes vermutet. Identität ist weder greif- noch beweisbar, wenn jegliche festen Bezugsgrößen hinfällig sind und zudem das Vertrauen von Grund auf beschädigt ist.

Jack Golds Film psoitioniert sich selbstbewusst zwischen Science Fiction, Polit- und Agententhriller und Philosophy Fiction. Die kalten Bilder lassen die angespannte politische Lage ebenso nachvollziehen wie sie die inhumanen Auswüchse dieser Anspannung illustrieren. „Der Mann aus Metall“ befindet sich mit dieser Gestaltung in illustrer Gesellschaft zahlreicher dystopischer Gesellschaftsbilder, die das Kino in den Siebzigerjahren bereithielt. Auch die formale Gestaltung zielt eher auf Verunsicherung ab denn auf lückenlose Affirmation. In Rückblenden schlüpft der Zuschauer in den Körper des Wissenschaftlers, sieht durch dessen Augen, ohne je selbst zu erfahren, wie dieser denn eigentlich aussieht. Somit erlebt er eine doppelte Identifikation, denn wie Agent Rogers muss auch er nach den Anhaltspunkten für die Bestimmung von Martinos Identität suchen. So wie Martinos Gesicht abwesend bleibt, so bleibt auch das Wesen des bedeutungsvollen Neptun-Projektes den ganzen Film über verborgen. Doch Gold hält diese Verunsicherungsstrategie nicht durch: Der parallele Erzählstrang, der zeitlich vor den Ermittlungen des amerikanischen Geheimdienstes angesiedelt ist und sich den Ereignissen in der UdSSR widmet, die zu Martinos gegenwärtigem Dilemma geführt haben, kontrastiert das Rätselraten des amerikanischen Geheimdienstes mit Fakten, wirkt auch stilistisch wesentlich nüchterner als der Rest des Films und somit wie nachträglich hinzugefügt – genauso wie das Finale. Gold entscheidet sich für eine ebenso saubere wie unbefriedigende Auflösung: In einem jegliche Ungewissheit bereinigenden Dialog zwischen Martino und Rogers wird die moralische Aussage des Films unnötigerweise bekräftigt. Damit lieferte der Regisseur damals sicherlich einen wichtigen Beitrag zu einer Entspannung zwischen den Blöcken, die jedoch erst knapp 15 Jahre später Wirklichkeit wurde. Dieses Finale nimmt dem Stoff aus heutiger Perspektive leider zusammen mit der Ambivalenz und Offenheit auch ein wenig die Relevanz, die über das rein Historische hinausgeht. Dennoch ist „Der Mann aus Metall“ auch heute noch einen Blick wert und repräsentiert ein anspruchsvolles Genrekino wie es leider selten geworden ist.

Der Mann aus Metall
(Who?, Großbritannien 1974)
Regie: Jack Gold, Drehbuch: John Gould, Kamera: Petrus R. Schlömp, Musik: John Cameron, Schnitt: Norman Wanstall
Darsteller: Elliott Gould, Joseph Bova, Trevor Howard, Edward Grover, John Lehne, James Noble
Länge: ca. 88 Minuten
Verleih: e–m–s

Zur DVD von e–m–s

Mit der DVD hat e–m–s leider die große Chance verpasst, einem weitestgehend in Vergessenheit geratenen Film mit einer schönen Veröffentlichung ein verspätetes Denkmal zu errichten. Die Bildqualität ist nur mäßig, die Originaltonspur fehlt ganz und Extras gibt es ebenfalls keine. Schade drum.

Zur Ausstattung der DVD:
Bild: 1,33:1
Ton: Deutsch (Dolby Digital 2.0 Mono)
Extras: Trailershow
Länge: ca. 88 Minuten
Freigabe: ab 16
Preis: 11,95 Euro

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