actual case files

Der „Zodiak“-Killer, der zwischen 1968 und 1969 sieben Menschen überfallen und fünf davon getötet hat, gilt gemeinhin als der „amerikanische Jack the Ripper“. Nicht nur ist „Zodiac“ (den Namen hat er sich wie der Ripper selbst gegeben) trotz einer verhältnismäßig niedrigen Zahl von Opfern zu nachhaltiger Berühmtheit gelangt, weil er – wie beim Londoner Prostituiertenmörder – nie gefasst werden konnte; der Mythos, der sich um ihn herum gebildet hat, hat auch ganz ähnliche Ausmaße erreicht. So existieren private Detektivclubs, die die Identität des Serienmörders immer noch zu klären versuchen und eine enorme Anzahl an „Zodiac“-Devotionalien. Die bedeutsamste Ähnlichkeit mit „Jack the Ripper“ lag jedoch in der Fähigkeit des Täters begründet, die Presse für sich zu gewinnen, um so zu zeitweiser Allgegenwärtigkeit zu gelangen. Dies alles hat „Zodiac“ schließlich zu einer popkulturellen Ikone werden lassen, die – wie immer, wenn ein Serienmörder diesen Status erlangt – auch zahlreichen Niederschlag in Filmproduktionen gefunden hat.

zodiac-plakat.jpgVon den etwa 20 Filmen, die zwischen 1971 und heute zum „Zodiac“-Fall gedreht wurden, entstanden allein drei in den vergangenen drei Jahren: Während Ulli Lommels „Zodiac Killer“ (USA 2005) den Fall lediglich als Schablone für eine Copycat-Story benutzt, lieferte Alexander Blukey mit seinem Film „Zodiac“ (USA 2005) einen nüchternen und geradlinigen Polizeifilm ab. David Fincher, der sich bereits mit „Seven“ (USA 1995) einen ästhetisch vielseitigen und von der Kritik hoch gelobten Serienmörderfilm gedreht hat, widmet sich in „Zodiac“ (USA 2007) jetzt ebenfalls dem kriminalhistorischen Fall und versucht ihn in zweieinhalb Filmstunden zu rekonstruieren. Als Vorlage dient Fincher dabei ein Sachbuch des True-Crime-Autoren Robert Graysmith. Dieser hat nicht nur bereits zwei „Zodiac“-Monografien verfasst, sondern auch eine, in welcher er den „Jack the Ripper“-Fall zu lösen behauptet. Das Problem mit Finchers Film beginnt genau an diesem Punkt: „Zodiac“ versucht vergeblich Spielfilm zu werden, kann sich aber von der Faszination seiner Autoren für die kriminalhistorische Vorlage nicht lösen – wenngleich er diese auch in einen fiktionalen Rahmen einzubetten versucht.

zodiac1.jpgIn diesem wird die Geschichten dreier Männer erzählt, die mit dem „Zodiac“-Fall aufgrund ihres Berufes in Berührung gekommen sind: der Ermittler Inspektor Toschi (Mark Ruffalo), der Zeitungskolumnist Paul Avery (Robert Downey Jr.) und der Cartoonist Robert Graysmith (!) (Jake Gyllenhaal). Während die ersten beiden recht bald an die Grenzen ihrer beruflichen und körperlichen Möglichkeiten gelangen, Avery schließlich sogar selbst von „Zodiac“ bedroht wird, macht sich Graysmith daran, zuerst die chiffrierten Nachrichten, die der Killer der Presse geschickt hat, zu knacken und begibt sich dann auf die Spuren, die die Polizei und sein Kollege Avery ermittelt und fallen gelassen haben. Angeblich will er ein Buch über den Fall zu schreiben, entfremdet sich bei seinen Recherchen jedoch immer mehr von seiner Familie und wird zuletzt als zwanghafter Paranoiker gezeigt, der seine „Zodiac“-Theorien um jeden Preis bestätigt wissen will.

zodiac2.jpgFinchers Film zerfällt deutlich in zwei Teile: einen ersten, knapp einstündigen Serienmörderfilm, der nicht ohne Witz inszeniert ist und neben einigen wirklich grausamen Mord-Szenen recht gute Figurenentwicklungen vorbereitet, und einen zweiten, knapp eineinhalbstündigen Aktenwälzfilm, der alles das, was im ersten Teil in Ansätzen gut war, wieder über Bord wirft, um sich ganz der Faszination des ungelösten Serienmordfalles zu widmen – und das, obwohl ja bekannt ist, dass die Identität des Täters offen bleiben wird. Wie deutlich der Unterschied zwischen diesen beiden ungleichen Hälften des Films ist, fällt an beinahe allen Facetten ins Auge: Kameraführung und Montage verlieren jeden artifiziellen Anspruch und beugen sich der Berichterstattungsästhetik, die Figuren gehen sprichwörtlich vor die Hunde (deutlich ablesbar an der unverschämten Instrumentalisierung der Frauencharaktere) und existieren nur noch im Zusammenhang mit ihrer Funktion im Serienmord-Ermittlungsplot. Selbst der Erzählrhythmus wird immer sprunghafter. Haben sich die Zeitsprünge (ablesbar an den Einblendungen) anfangs noch auf wenige Stunden oder Tage beschränkt, werden zum Ende ganze Jahre und Jahrzehnte übersprungen, um zu zeigen, was aus der Geschichte oder den Figuren geworden ist – und sei es auch nur zur Darstellung einer einzelnen unwesentlichen Begebenheit.

David Fincher ist dem „Zodiac“-Fall, mehr aber noch dem recht spinnerten Buch Graysmiths, auf dem sein Film basiert, voll auf den Leim gegangen. Anstatt eine originelle „Fincher’sche“ Perspektive auf einen der ungewöhnlichsten Verbrechensfälle in der US-Geschichte zu liefern, folgt er zwanghaft den Theoriekonstrukten Graysmiths. Im Ergebnis bleibt „Zodiac“ damit ein viel zu langer und ungeheuer langweiliger Film, der – darin unterscheidet er sich zum Beispiel von Spike Lees „Summer of Sam“ (USA 1999) – vergeblich versucht, ein Zeitcolorit einzufangen, dafür aber – hier ist er Oliver Stones „J.F.K.“ (USA 1991) ähnlich – verzweifelt am Hollywood-Mythos „ambivalenter amerikanischer Geschichtsschreibung“ mitzuarbeiten hofft. Das lange Warten auf den Film macht dieses Ergebnis umso enttäuschender – Finchers „Zodiac“ ist von kleineren Produktionen (vor allem von Blukeys Film) diskursiv vor Jahren und ästhetisch nach weniger als einer Stunde Filmzeit überholt worden.

Zodiac
(USA 2007)
Regie: David Fincher; Buch: James Vanderbilt; Musik: David Shire; Kamera: Harris Savides; Schnitt: Angus Wall
Darsteller: Jake Gyllenhaal, Mark Ruffalo, Anthony Edwards, Robert Downey Jr., Brian Cox u. a.
Länge: 157 Minuten
Verleih: Warner Bros.

Eine Antwort auf „actual case files“

  1. In dem Text wird erwähnt, das es noch immer private Detektivclubs gibt, die immer noch auf den Spuren des Zodiac Killers sind. Hat jemand eine Ahnung wie ich an solche Privatclubs Kontakt knüpfen könnte?

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