Kolateralschäden

Als die US-Armee 2003 Bagdad aus der Luft angreift, finden die Bomben und Rakenten nicht nur militärische Ziele. Zu den so genannten Kollateralschäden gehört auch eine psychiatrische Klinik, in der etliche Insassen und Ärzte sterben, der Rest flieht durch die kriegsgeschüttelte Stadt. Mohamed Al Daradjis Film „Dreams“ nimmt sich dieses Themas an und macht aus den statistischen Opferzahlen Lebensgeschichten. Drei von ihnen erzählt er in seinem mutigen Film, dessen Erstellung selbst immer wieder unter dem Zeichen des Krieges stand.

ahlaam.jpg Es sind der Soldat Ali, die junge Frau Ahlaam, die kurz vor ihrer Hochzeit steht und der Medizinstudent Mehdi, der später in der Psychiatrie arbeiten und als einziger Arzt den Angriff überleben wird. Der Film geht zurück ins Jahr 1998 und erzählt die drei Lebensgeschichten unter dem Saddam-Regime: Mehdi steht kurz vor seiner letzten Prüfung und hat Angst sie nicht zu bestehen, weil er nicht Mitglied der Baath-Partei ist und sein Vater wegen prokommunistischer Aktivitäten zum Tode verurteilt wurde. Ahlaam bereitet sich mit ihrer Familie auf ihre Hochzeit vor, als ihr Verlobter, der Kontakte zur Opposition hat, auf ihrem Hochzeitsfest von der Polizei verschleppt und sie von den Polizisten zusammengeknüppelt wird. Ali schließlich ist an der syrischen Grenze stationiert und versucht seinen Kameraden Hassan davon abzuhalten zu desertieren. Als die Amerikaner in der „Operation Desert Fox“ den Irak angreifen, wird Hassan schwer verletzt. Ali, der ihn zu einem Lazaret bringen will, überschreitet dabei die syrischische Grenze, wird von der Militärpolizei aufgegriffen und als Deserteur verurteilt.

07ahlaam.jpgDie drei Geschichten laufen an dieser Stelle zusammen: Mehdi besteht die Prüfung und wird als Psychiater in der Bagdader Klinik eingesetzt. Dort sind die schwer traumatisierte Ahlaam und Ali, dessen Strafe eine Ohr-Amputation und ein Jahr Psychiatrie-Aufenthalt ist, seine Patienten. Den Bombenangriff im Jahre 2003 auf die Klinik überleben alle drei, doch Ahlaam flieht aus der Klinik und läuft ziellos durch Bagdad, wo sie Zeuge der Kriegsgreuel und Opfer marodierender Plünderer wird, die sie vergewaltigen. Ali wird von Mehdi auf die Suche nach ihr und den anderen versprengten Kranken geschickt, bei der ihm zahlreiche Verwandte der Anstaltsinsassen helfen.

Mohamed Al Daradji führt die drei Erzählungen geschickt zusammen und stellt die je unterschiedlichen Erfahrungen mit dem Saddam-Regime und dessen Niedergang im dritten Golfkrieg dar. Er schildert, was Unterdrückung und Krieg aus den Menschen und der Lebensfreude gemacht haben. Ali, Mehdi und vor allem Ahlaam sind zum Ende hin nur noch die Schatten ihrer selbst – ihre traumatischen Erlebnisse haben ihnen alle Hoffnung und Lebensfreude genommen. Da der Blick des Films allein den Opfern gilt und damit jeden größeren Zusammenhang aus der Perspektive rückt, bezieht „Dreams“ keinerlei Partei für einen der Kriegsgegner,sondern klagt beide gleichermaßen an. „Dreams“ versteht sich so als radikal humanistischer und pazifistischer Beitrag. Und der Film „weiß“, wovon er erzählt: Die Crew drehte an Originalschauplätzen und war beständiger Bedrohung ausgesetzt. Trotz Bewaffnung wurden entliche Mitglieder von der US-Armee entführt und mit dem Tode bedroht.

Dreams
(Ahlaam, Irak 2005)
Regie, Buch & Kamera: Mohamed Al Daradji; Musik: Naseir Shamma; Schnitt: Ghassan Abdul & Ian Watson
Darsteller: Aseel Adel, Bashir Al Majid, Mohamed Hashim u. a.
Verleih: N. N.
Länge: 110 Minuten

Schreibe einen Kommentar

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.