Eine Filmgeschichte des kreativen Tötens

Der Erfolg des Dokumentarfilms „An American Nightmare“ aus dem Jahre 2000 hat gleich zwei Vorurteile widerlegt: Erstens ist das Horrorfilm-Genre keineswegs bloßes Affektkino, das einzig darauf aus ist, seine Zuschauer zu erschrecken, zu ekeln oder zu amüsieren. Und zweitens sind diese Zuschauer weit emanzipierter gegenüber den Filmen, als man ihnen immer unterstellen wollte. „An American Nightmare“ hat dem breiten Publikum eine langjährige, vielfältige und hoch interessante Forschungslandschaft offengelegt und ebenso gezeigt, wie sich die Filmemacher selbst in diese Landschaft einbringen. Vor allem der Slaherfilm hat seit 1978 zu einer Vielzahl an Untersuchungen aus der Gender-Medientheorie, der Medienwirkungsforschung und der Mentalitätsforschung geführt. Jeff McQueens Dokumenarfilm „Going to Pieces“, der das gleichnamige Sachbuch von Adam Rokoff mehr ergänzt als auf ihm zu basieren, nimmt sich nun dieses Subgenres an und schreibt damit die Agenda von „An American Nightmare“ fort.

g_t_p_poster.jpgZu Wort kommen Regisseure, Darsteller und Produzenten – die intellektuelle Front bleibt in „Going to Pieces“ vollständig außen vor. Könnte man meinen. Dem ist aber nicht so, denn das, was die Macher von Filmen wie „Halloween“ (John Carpenter), „A Nightmare on Elm Street“ (Wes Craven) oder „Slumber Party Massacre“ (Amy Holden Jones) zu ihren Filmen, den Produktionshintergründen und den gesellschaftlichen Umständen zur Entstehungszeit zu sagen haben, deckt sich mit etlichen Analysen Carol Clovers oder Judith Halberstams – wenn auch vielleicht nicht mit dem selben theoriegeschichtlichen Background. Das mittlerweile zum kulturellen Interpretationsallgemeingut gewordene Wissen um den Puritanismus, den kalten Krieg oder das Trauma von Vietnam ist den Machern ebenso bekannt (und als sublimer Diskurs in die Filme eingegangen) wie das Wissen um die Progressionsästhetik der Gewaltdarstellung.

rose1.jpgAbermals – wie in „An American Nightmare“ – ist es Tom Savini, der hier am deutlichsten Ausformuliert, woher seine Bilder stammen. Doch neben ihm als „Macher“ kommen auch Darsteller – besonders Darstellerinnen – zu Wort, die über ihre Rollen, die ihnen zugrunde liegenden Rollenklischees und deren filmgeschichtliche Grundlagen sprechen. So erweisen sich Betsy Palmer (die Darstellerin der Mrs. Vorhees in „Friday the 13th“) und vor allem Felissa Rose (die Darstellerin der Angela aus „Sleepaway Camp“) als ausgezeichnete Kennerinnen des Slasherfilms ,seiner Ursprünge und seiner Epigonen. Es sind jedoch keineswegs bloß anekdotische Ausflüge in die Filmgeschichte, die „Going to Pieces“ präsentiert; der Film stellt Querverbindungen her, weißt auf motivische Bezüge zwischen den einzelnen Beiträgen hin, stellt die besonderen heraus und markiert deren Kopien – ohne jedoch zu vergessen, dass das Kopieren ja der modus operandi des Slasherfilms ist: Wiederholung und Serialität im Film und der Genregeschichte.

gtp.jpgDas heute (zumindest in seinen frühen Beiträgen) oft belächelte Subgenre hat in den 1980er Jahren viele Kämpfe auszufechten gehabt. Nicht nur, wurde ihm von Kritikern reaktionäre politische Gesinnung und offene Frauenfeindlichkeit unterstellt, auch haben sich schnell Moralisten gefunden, die die Zuschauer vor den Filmen schützen wollten. Was den meisten Slasherfilmen hier in Deutschland angedieh (Zensur einzelner Szenen bis hin zum Totalverbot) ist auch im Ursprungsland keine Seltenheit gewesen. Auch hiervon berichtet McQueens Film und zeigt etwa einen Exkurs über den kurzfristig populären Weihnachsmann-Horrorfilm, der ganze Bürgerinitiativen zur Errettung der moralischen Reinheit Santa Clauses hervorgebracht hat. Das die zyklische Entrüstung, die immer wieder beim Reüssieren eines neuen Genres oder populären Motivs (wie dem des unbesiegbaren Schlitzers) bis heute anhält, zeigt „Going to Pieces“ in seinem Ausblick, der bis hin zu den neuesten Filmen des so geanannten „Torture Porn“ reicht. Die Verbindungslinien zwischen den 80er-Jahre-Slasherfilmen und Beiträgen wir „House of 1000 Corpses“, „Hostel“ und „Wolf Creek“ werden angesprochen und damit der Fortbestand des scheinbar seit Ende der 1990er Jahre toten Subgenres konstatiert.

„Going to Pieces“ ist also ein überaus informativer Dokumentarfilm geworden. Ansprechend montiert, mit einem zwar ein wenig eintönigen Soundtrack, dafür umso originellerer Inszenierung der Interviews, stellt der Film wesentlich mehr dar als eine bloße „Hollywood spricht über sich selbst“-Doku. Es steht jedoch zu befürchten, dass er in der Form, wie er als „Rough Cut“ der Presse zur Verfügung gestellt wurde, nicht in Deutschland erscheinen wird. Splatter-Szenen aus hierzulande beschlagnahmten Filmen wie „Friday the 13th Part 4“, „The Burning“, „Maniac“ und anderen könnten dies verhindern.

Goint to Pieces – The Rise and Fall of the Slasherfilm
(USA 2006)
Regie: Jeff McQueen; Autor: Adam Rokoff (Vorlage); Musik: Harry Manfredini; Kamera: Michael Fimognari & Armando Salas; Schnitt: Michael Derek Bohusz
Mit: Malek Akkad, Rita Mae Brown, John Carpenter, Lilyan Chauvin, Wes Craven, Sean S. Cunningham, Herb Freed, Amy Holden Jones, Jeff Katz, Aine Leicht, Gage Leicht, Paul Lynch, Harry Manfredini, Armand Mastroianni, Gregory Nicotero, Betsy Palmer, Felissa Rose, Tom Savini, Robert Shaye, Joseph Stefano, Natasha Talonz, Anthony Timpone, Fred Walton, Stan Winston, Joseph Zito, Rob Zombie u. a.
Verleih: Ascott Elite
Länge 89 Minuten
Veröffentlichung: 21.06.2007

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