Oliver Tate (Craig Roberts) ist ziemlich gut in der Schule, was sich folgerichtig in einem nicht besonders guten Ruf niederschlägt. Abends liest er in Wörterbüchern oder stellt sich vor, wie die Welt reagieren würde, wenn er stürbe. Geht es auf dem Schulhof einmal ruppig zu, ist der intellektuell überentwickelte 15-Jährige meist der Unterlegene. Auch in sozialen Situationen wirkt der etwas verklemmte Junge nicht immer souverän. Diese Mischung aus geistigem Überflieger und emotionalem Analphabeten nutzt „Submarine“ als Basis für viel Situationskomik und Wortwitz. „Berlinale 2011 – Konventionellerweise unkonventionell“ weiterlesen
Berlinale 2011 – Ein Film für Inner- und Außerirdische
„Life in a Day“ ist auf den ersten Blick ein Vorzeigekind des Web 2.0. Am 24. Juli 2010 begleiteten Tausende Menschen aus aller Welt ihren Alltag mit einer Kamera. Die Online-Plattform Youtube hatte dazu aufgerufen – mit dem Ziel, aus den Clips einen Dokumentarfilm über das menschliche Leben an sich zu gestalten. Das klingt sehr demokratisch und selbstbestimmt. Allein, bei über 4.500 Stunden Videomaterial aus 192 Ländern bedarf es eines Mitarbeiterstabs, der all die Einsendungen sichtet, daraus Szenen willkürlich und autoritär auswählt und schließlich zu einem inhaltlich kohärenten Werk montiert. Diese Arbeit hintergeht einerseits die Ideale des Web 2.0, ist aber zugleich die größte Leistung von „Life in a Day“. Dem Team um Regisseur Kevin MacDonald, Produzent Ridley Scott (Regisseur von „Alien“, „Blade Runner“) und Cutter Joe Walker ist es gelungen, aus der unübersichtlichen Bilderflut einen zusammenhängenden 95-minütigen Kinofilm zu machen. „Berlinale 2011 – Ein Film für Inner- und Außerirdische“ weiterlesen
10 Jahre F.LM
Im Herbst 2001 entstand in Köln die Idee für ein neues Printmagazin zum Film, in welchem junge Filmwissenschaftler und -publizisten die Möglichkeit bekommen sollten Texte zu aktuellen Filmen, filmwissenschaftlichen Publikationen und filmkulturellen Ereignissen zu veröffentlichen. Zusammen mit ehemaligen Autoren des Jenaer Filmmagazins „frame 25 – Die Filmzeitschrift“ und einer handvoll Studentinnen und Studenten der Kölner Theater-, Film- und Fernsehwissenschaften sowie in Kooperation mit dem Film-Underground-Magazin „Absurd 3000“, der Zeitschrift „Nach(t)blende“ und der studentischen Online-TV-Zeitschrift „seen“ entstand „F.LM – Texte zum Film“. Herausgegeben hatte das Magazin, dessen Nullnummer im Winter 2001 erschien, der Kölner Theiresias-Verlag. Die Idee war: ein halbjährliches Magazin drucken, dessen Ausgaben „zwischendurch“ durch Kritiken und Essays auf einer Internetseite ergänzt werden, die im Februar 2002 online ging.
Nach nur vier Ausgaben zeigte sich im Frühjahr 2003, dass die logistischen Anforderungen für ein Non-profit-Magazin von der mittlerweile auf drei Personen zusammen geschrumpften Redaktion nicht mehr zu stemmen waren: F.LM verlagerte sich vollständig ins Internet. Zunächst sollte lediglich die Heft-Veröffentlichung virtualisiert werden und eine fünfte Ausgabe von F.LM entstand, die ausschließlich online verfügbar war. Da das Konzept für Autoren allerdings wenig attraktiv erschien und die Möglichkeiten des Internets nur wenig berücksichtigte, stellte F.LM die Magazin-Erscheinungsweise ganz ein und publiziert seither alle Texte separat online – zunächst auf statischen Webseiten, seit 2007 in einem Content-Management-System. Außerdem betreibt seit 2003 F.LM ein Internetforum bei filmforen.de.
Im Netz wächst und gedeiht das Online-Magazin seit nunmehr zehn Jahren. F.LM hat eine stabile Stammautorschaft, mittlerweile wieder vier Redakteure, nimmt regelmäßig an verschiedenen deutschen Filmfestivals Teil, wird eifrig verlinkt und hat über die Jahre fast 1000 Kritiken zu Filmen im Kino, auf DVD und Blu-ray-Disc veröffentlicht, über 150 Buchrezensionen, 50 filmwissenschaftliche Essays, 50 Podcasts, und neuerdings auch VideoCasts und -Dokuemtationen, Kritiken zu Film-Spielen, Soundtracks und Interviews veröffentlicht. F.LM ist nach wie vor ein rein ehrenamtlich produziertes Magazin – Werbeeinnahmen dienen der Deckung der laufenden Kosten. Dies bewahrt dem Magazin seine Unabhägingkeit, stellt aber auch immer wieder einen zeitlichen Kraftakt für die Macher dar.
Weil F.LM nun bereits 10 Jahre existiert, finden wir, dass es durchaus einen Grund zum Feiern gibt. 2011 wollen wir daher für unsere Leser jeden Monat ein Preisrätsel veranstalten, bei dem es wertvolle, interessante und manchmal skurrile Überraschungspreise zu gewinnen gibt – die natürlich alle etwas mit dem Thema Film zu tun haben. Ende Januar wird das erste Preisrätsel starten. Wir freuen uns auf viele Teilnehmer und darüber, dass F.LM so gut gediehen ist und auch weiterhin gedeihen soll.
Stefan Höltgen
für die Redaktion von F.LM
Pornfilmfestival Berlin 2010 – Meat
Fleisch. Lust. Fleischeslust. Die Lust auf Fleisch. Die Doppeldeutigkeit des Wortes ‚Fleisch‘ steht im Zentrum des niederländischen Films Meat, der die Lust auf den Verzehr tierischen Fleisches mit dem Begehren nach lebendigem, sexuell konsumierbaren Fleisch verbindet. Diese Ambivalenz lässt sich aus dem nahezu deutsch klingenden Originaltitel Vlees wesentlich besser ablesen als aus dem internationalen Titel Meat. Schließlich nimmt das Englische ja gerade jene Trennung (meat – das essbare Fleisch des Tieres / flesh – das Fleisch am Körper des Menschen) vor, die im Deutschen so nicht existiert. In der deutschen Sprache wird – vielleicht zu Recht – nicht differenziert zwischen dem Fleisch des Tieres und dem Fleisch des Tieres namens Mensch. Ganz im Gegenteil: Sie setzt sogar das „Verschlingen“ des tierischen Fleisches mit der Raserei erotischer Lust gleich: „Ich könnte dich auffressen“, heißt es nicht umsonst auf dem Höhepunkt sexueller Erregung.
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Pornfilmfestival Berlin 2010 – Internationaler Kurzfilmwettbewerb
Die Aufgabe, Pornofilme zu besprechen, ist für den Rezensenten alles andere als leicht, denn man muss vor allem gegen das Vorurteil ankämpfen, dass ein Pornofilm sich angeblich gerade dadurch definiert, dass die ästhetische Gestaltung darin gar keine Rolle spielt und die kritische Diskussion sich hiermit erübrigt. Andererseits lieferte gerade der Kurzfilmwettbewerb des Pornfilmfestivals ein anschauliches Beispiel dafür, dass die Gestaltungsmöglichkeiten in Pornoproduktionen keinesfalls begrenzter sind, als bei anderen so genannten „Körpergenres“ wie Horror oder Komödie. Und genauso, wie eine gute Komödie nicht ausschließlich daran gemessen werden sollte, wie oft man als Zuschauer gelacht hat, kann man bei experimentell ausgerichteten Pornofilmen ruhig auch mal andere Bewertungskriterien heranziehen außer dem stimulierenden Effekt, den man in den meisten Fällen sowieso nicht überindividuell fassen kann.
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Pornfilmfestival 2010 – L.A. Zombie Hardcore
Kann man Porno mit sozialer Kritik verbinden? Der kanadische Filmemacher Bruce LaBruce ist jedenfalls seit den Neunzigern durch Produktionen bekannt, die dem schwulen Begehren und dessen lustvollem Ausleben eine politische Dimension geben. In seinem neuesten Film, „L.A. Zombie Hardcore“, der zur Zeit durch diverse Festivals tourt(allerdings in einer Softcore-Fassung), verwendet er das Untoten-Motiv als Metapher für das Verdrängte einer Überflussgesellschaft, wobei die Bezüge zu George A. Romeros mehrteiligem Zombie-Epos unübersehbar sind. „Pornfilmfestival 2010 – L.A. Zombie Hardcore“ weiterlesen
Pornfilmfestival Berlin 2010 – Frauenzimmer
Erfreulicherweise ist beim Berliner Pornfilmfestival der Name nicht immer Programm, es werden also auch nichtpornografische Produktionen gezeigt, die interessante Aspekte der Sexualität beleuchten. Die Dokumentation „Frauenzimmer“ von Saara Aila Waasner porträtiert drei Frauen im fortgeschrittenen Alter, die als Prostituierte in Berlin tätig sind. „Pornfilmfestival Berlin 2010 – Frauenzimmer“ weiterlesen
Pornfilmfestival Berlin 2010 – Modern Love is Automatic
Der Eröffnungsfilm des Pornfilmfestivals war gar kein Pornofilm, sondern ein Spielfilm, in dem es um Pornografie geht, wobei vor allem die „Pornografisierung“, also Entmenschlichung der Gesellschaft gemeint sein dürfte. „Pornfilmfestival Berlin 2010 – Modern Love is Automatic“ weiterlesen
»more a film about class in London«
Nachklapp zum kürzlich beendeten 24. Fantasy-Filmfest: Das Q&A mit Gerard Johnson über seinen Serienmörderfilm „Tony“:
Kamera: Maik Rauhmann
Der Film, der sich selbst spoilert.
The Silent House
(La Casa Muda, Uruguay 2010)
Regie: Gustavo Hernández; Buch: Oscar Estévez; Schnitt: Gustavo Hernández; Kamera: Pedro Luque
Darsteller: Gustavo Alonso, Florencia Colucci, Abel Tripaldi
Länge: 79 Minuten
Verleih: N. N.
Der Geist im Getriebe
Das eigensinnige Auto zählt zu den vordersten Fetischobjekten des amerikanischen Traums. Das beginnt bereits in frühester Kindheit mit Walt Disneys „Love Bug“ Herbie, der das Auto als Wunschmaschine und den Automobilismus als Indoktrinationsstrategie prototypisch entwirft und vielleicht gar nicht zufällig im Jahr 1968 erstmalig über die Kinoleinwand raste. Einer aus der konservativen Sicht des Disney-Konzerns wohl zwangsläufig orientierungslos erscheinenden Jugend bot Herbie seinerzeit, ebenso wie wenige Jahre später in seiner etwas piefigeren bundesdeutschen Reinkarnation als postgelber „Käfer auf Extratour“ Dudu, jedenfalls eine überaus reizvolle Utopie an: Man muss überhaupt nicht wissen, wo man hin will: Wenn man nur im richtigen Auto sitzt, führt es einen schon an den zugemessenen Ort im Leben. Die passende Frau, der berufliche Erfolg, der Triumph des kleines Mannes im auf Mikroformat reduzierten Klassenkampf; die Geheimrezepte für all diese Mysterien liegen hinter dem Steuer, das man auch gern mal loslassen und sich einfach der Maschine überlassen darf. „Der Geist im Getriebe“ weiterlesen
But what are we?
Mexiko weist eine der höchsten Kriminalitätsraten weltweit auf. Entführungen zur Gelderpressung und Morde durch sich bekriegende Drogenbanden gehören zu den täglichen Nachrichten aus dem Land. Dass die dort vor allem in den Städten um sich greifende allgemeine Angst einen kulturellen Ausdruck im Horrorfilm finden würde, war nur eine Frage der Zeit; dass sich daraus allerdings ein Film wie „We are what we are“ entlädt, erscheint schon als Überraschung, denn die Gewalt und das Elend werden hier in einer ganz anderen Soziosphäre identifiziert, als man es erwarten würde: in der Familie.
Wutgeschoss
Tetsuo: The Bullet Man
(Jp 2009)
Regie & Buch: Shinya Tsukamoto; Musik: Chu Ishikawa; Kamera: Satoshi Hayashi, Takayuki Shida, Shinya Tsukamoto; Schnitt: Yuji Ambe, Shinya Tsukamoto
Darsteller: Eric Bossick, Akiko Monô, Yûko Nakamura, Stephen Sarrazin, Tiger Charlie Gerhardt, Prakhar Jain, Shinya Tsukamoto u.a.
Länge: 71 Minuten
Verleih: N. N.
Geist und Gehirn
Ghost Machine
(UK 2009)
Regie: Chris Hartwill; Buch: Sven Hugh, Malachi Smyth; Musik: Bill Grishaw; Kamera: George Richmond; Schnitt: Emma Gaffney, Dayn Williams
Darsteller: Sean Faris, Rachael Taylor, Luke Ford, Joshua Dallas, Halla Vilhjálmsdóttir, Sam Corry, Richard Dormer, Jonathan Harden
Länge: 89 Minuten
Verleih: n. n.
Der im VidCast erwähnte Essay zu Geistern aus dem Computer findet sich unter diesem Link.
Filmische Vernichtung
Wie schwierig und gleichzeitig interessant es sein kann, filmisch das Nichts zu thematisieren, hatte Vincente Natali bereits 2003 in „Nothing“ gezeigt: Zwei Freunde stellen eines Morgens fest, dass die Welt um ihr Haus herum verschwunden ist und einer weißen Unendlichkeit Platz gemacht hat. Schon nach kurzer Zeit war für den Zuschauer klar: Dieses Nichts mag zwar ein dys- bzw. atopisches Setting sein, mehr jedoch ist es eine soziale Parabel, denn woran die beiden Freunde schließlich am meisten zu kauen haben, ist die mit dem Nichts einhergehende Isolation, die Ein- bzw. Ausgeschlossenheit aus der Mitwelt. Was dieses Thema angeht, macht Mark Fitzpatricks Film „The Nothing Men“ zwar nichts Neues, er holt das Thema jedoch zurück ins Reale.
The fearful Person
Kamera: Maik Rauhmann
Unsere Kritik zu „Enter the Void„
No Dirty Monks
Mann beißt Mann
Die Renaissance des Vampir-Motivs in der derzeitigen Kulturproduktion ist schon erstaunlich – nicht zuletzt, weil man noch vor zehn Jahren annehmen durfte, dass das Subgenre eigentlich nichts Neues zu erzählen hat. Ein trefflicher Indikator für diese Diagnose schien einerseits in der quantitativ beachtliche Abwanderung in die Pornografie, andererseits die „dispositive Verdopplung“ des Vampirstoffes in Filmen wie „Shadow of the Vampire“ (2000) zu sein. Die neuerliche Wiederauferstehung der Vampire in Romanen und Filmen besitzt da hingegen schon fast den Charakter eines Backlashs, sind es doch wieder Liebesgeschichten und Melodramen, die in den Zentren der „Twilight“-Reihe und sogar von Filmen wie „So finster die Nacht“ (2008) stehen. Gerade letzterer hatte jedoch auch ein zweites Motiv des Vampirfilms erneut thematisiert: die soziale Frage des Miteinanders von Vampiren und Menschen. Während zuletzt „Daybreakers“ (2009) eine recht eindeutige Antwort auf diese gefunden hatte, schickt sich der Dokumentarfilm „Vampires“ nun an, das Thema von einer anderen Seite aus zu beleuchten.
„Mann beißt Mann“ weiterlesen
Harry Braun
Der Selbstjustiz-Film ist seit Ende der 1980er etwas aus der Mode gekommen; Vigilanten, die die Vergewaltigung ihrer Verwandten, die Verwahrlosung von Stadtvierteln oder einfach ihre eigene Erfolglosigkeit mittels Rache an den sowieso immer schuldigen Mitbürgern kompensieren, haben irgendwie den Nimbus rechtsradikaler Kultur- und Sozialpessimisten bekommen. Spätestens mit Joel Schumachers „Falling Down“ ist aus dem rotsehenden Mann der amoklaufende Irre geworden (den nur noch Uwe Boll heldenhaft findet), der zwar in den Augen vieler das richtige tut – dies aber aus den falschen Gründen. Mit Clint Eastwoods „Gran Torino“ hat das Subgenre das Sujet noch einmal zu reanimieren versucht als den clash of the generations, ausagiert mit Waffen. Denn dass „die gute alte Zeit“ vorbei ist, in der Jugendliche Älteren den Sitzplatz im Bus frei gemacht haben, und nun anstelle dessen lieber den Sitz rausreißen und damit auf die Alten eindreschen, ist die bittere Erkenntnis der Helden von Gestern. Die Conclusio daraus heißt: sich dem Schicksal fügen oder die Sache (z. B. den Bussitz) selbst in die Hand nehmen.
Lola spinnt
The Loved Ones
(Aus 2009)
Regie & Buch: Sean Byrne; Kamera: Simon Chapman; Schnitt: Andy Canny
Darsteller: Xavier Samuel, Jessica McNamee, Robin McLeavy, Richard Wilson, Victoria Thaine, John Brumpton, Fred Whitlock, Eden Porter
Länge: 84 Minuten
Verleih: Koch Media
Kamera: Maik Rauhmann