»I never had a future«

Bei keinem bewaffneten Konflikt zuvor wurde der Öffentlichkeit so sehr bewusst, dass es außer den zwei verfeindeten Parteien noch eine dritte, neutrale Gruppe gibt, die in den Krieg zieht: die Journalisten. Nachrichten über verletzte, entführte und getötete Reporter gehörten zu den täglichen Meldungen. Dass der Film – an erster Stelle der Dokumentarfilm – sich der heiklen Aufgabe der Kriegsberichterstattung und Portraits der Personen hinter den Nachrichten annahm, war angesichts der großen öffentlichen Aufmerksamkeit des Themas nur eine Frage der Zeit. Nach dem politisch sehr kritischen „Crontrol Room“ (USA 2004), der die Berichterstattung von Al Jazeera mit der amerikanischer Kollegen verglich ist nun ein privaterer Beitrag zum Thema erschienen: „Bearing Witness“ erzählt die Kriegserfahrungen von fünf Journalistinnen, die neben anderen Konflikten auch aus dem Irak-Krieg berichtet haben.

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Verlorene Kindheit

Es sind die Geschichten aus dem Leben mit all ihrer Tragik, ihren komischen Momenten und ihren authentischen Figuren, die den italiensichen Neorealismus der 1940er und 1950er Jahre ausgezeichnet haben. In bis heute eindringlichen Werken wie de Sicas „Ladri di Biciclette“ (1948) oder „Germania Anno Zero“ (1948) von Roberto Rossellini sind es vor allem immer wieder die Kinderschicksale, die die zeitgeschichtliche Wirklichkeit repräsentieren. Genau in dieser Tradition steht auch Andrea und Antonio Frazzis „Certi Bambini“. Mit auf der Straße gecasteten Laien-Kinderdarstellern.

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Skandal und Attraktion

Die 15-jährige Meme und der ein wenig ältere Jere(mias) führen eine Liebesbeziehung – die erste ihres Lebens. Sie sind füreinander da, unterstützten einander in Streitsituationen und führen eine leidenschaftliche sexuelle Beziehung. Meme und Jere sind Geschwister. Sie leben im Haus der Eltern in Rio de Janeiro, wo vor allem die Mutter die bürgerliche Moral bestimmt. Als der große Bruder Ezequiel mit seiner Verlobten aus Spanien anreist, entdeckt er die heimliche Beziehung seiner kleinen Geschwister, verprügelt Jere und schwört diesen darauf ein, die Mutter nichts erfahren zu lassen. Doch bald darauf erwischt auch diese ihre Kinder in flagranti und das mühsam konstruierte Bild der heilen Familie bricht zusammen.

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It’s the sense of Touch!

Humanismus, Rassismus und Straßenverkehr in Paul Haggis’ „Crash“

»I think we miss that touch so much,
that we crash into each other,
just so we can feel something.«
(Graham)

Los Angeles gilt als die Stadt mit dem höchsten Auto-pro-Einwohner-Verhältnis der Welt. Darüber hinaus ist die Stadt zum traurigen Sinnbild für permanente Rassenkonflikte geworden. Beide Themen sind in der Vergangenheit immer wieder auch in Filmen aufgearbeitet worden. 1993 wirft Joel Schumacher in „Falling Down“ einen bitteren Blick auf die Konflikte zwischen den verschiedenen Ethnien in Los Angeles – zwei Jahre später inszeniert David Cronenberg dort in seinem Film „Crash“ eine Verkehrsdystopie. Paul Haggis’ ebenfalls mit „Crash“ betitelter Film greift nun beide Themen auf, deutet sie jedoch positiv um und wirft damit einen hoffnungsvollen Blick auf die Stadt und ihre Bewohner.
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»Sometimes I feel like a motherless child«

Tobe Hooper ist wieder da! Nach neunjähriger Kinoabstinenz – sein letzter Film für die Leinwand war die Stephen King-Adaption The Mangler (1995) – wartet der Mitbegründer des Terrorfilms nun mit einem Remake auf: The Toolbox Murders. Der Film basiert auf dem gleichnamigen Slashermovie aus dem Jahre 1978 von Dennis Donnelly, welcher wiederum locker auf „wahre Begebenheiten“ einer Mordserien von 1967 zurückgeht.
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Ein Bild sagt mehr als Tausend Worte!

Die Werke des österreichisch-slowenischen Schriftstellers – und zeitweiligen Regisseurs – Peter Handke und des deutschen Autorenfilmers Wim Wenders besitzen zahlreiche Gemeinsamkeiten. Diese begründen sich vor allem in ihrer Zusammenarbeit: Bei drei Filmprojekten Wenders’ dienten Erzählungen und Drehbücher Handkes als Vorlage: beim Kurzfilm „Drei Amerikanische LP’s“ (1969), dem Film „Die Angst des Tormanns beim Elfmeter“ (1972) und nicht zuletzt bei dem mehrfach ausgezeichneten „Der Himmel über Berlin“ (1987). Die Filme weisen die typische „Handschrift“ beider Autoren auf – inwiefern diese Handschrift auch im übrigen, nicht-kooperativen Werk der beiden vergleichbar ist, untersucht Carlo Avventi in seiner jüngst im Remscheider Gardez!-Verlag erschienen Dissertation „Mit den Augen des richtigen Wortes“.

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Bilder/Schrift/Sprache

Peter Greenaways Filme zählen zu den schillerndsten Werken der Filmgeschichte. Ästhetisiert bis ins kleinste Detail, versessen auf Oppulenz, musikalisch rhythmisiert, organisch, kalt – mit kaum einem Attribut wurden sie nicht versehen. Die einen unterstellen ihnen unendliche Tiefgründigkeit, die anderen geschwätzige Oberflächlichkeit. Der Variantenreichtum der Kritik zeigt bereits, dass Greenaways Filmen nicht leicht auf die Spur zu kommen ist – am wenigsten mit der Sprache, denn diese problematisieren sie von Beginn an.

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Musik und Tanz

Im vergangenen Jahr hatte es um den Exploitation-Filmer Herschell Gordon Lewis in Deutschland einiges Aufsehen gegeben, als sein hier erstmals auf DVD erschienener Debüt-Gorefilm „Blood Feast“ (USA 1963) verboten wurde (wir berichteten). Das Berliner Label CMV Laservision hat sich davon jedoch nicht beirren lassen und nun weitere Teile seiner Herschell-Gordon-Lewis-Collection veröffentlicht: „Blast-Off Girls“ (USA 1967) und „The Gore Gore Girls“ (USA 1971).

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Vorsicht Bluter!

Das College ist vorbei und die fünf Freunde Karen, Paul, Bert, Marcy und Jeff beschließen, in einer Waldhütte ein wenig Urlaub zu machen. Das Ganze beginnt als fröhlicher Urlaub im Redneck-Gebiet: Während Marcy und Jeff miteinander ihren sexuellen Obssessionen folgen, versucht der eher schüchterne Paul seine Freundschaft zu Karen zu vertiefen. Bert indes geht Eichhörnchen schießen – „because they’re gay“. Dabei begegnet er einem offensichtlich kranken Mann, der am ganzen Körper blutet und um Hilfe bittet. Mit dem Gewehr hält Paul ihn auf Distanz und verspricht ihm, Hilfe zu holen. Bei dem Versprechen bleibt es allerdings.

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Saw

Dass, wenn man Menschen entführt und/oder einsperrt und dann beobachtet, wie sie sich in der neuen Umgebung zurechtzufinden versuchen, ein sehr lohnenswertes Motiv für einen Horrorfilm sein kann, haben Filme wie „The Cell“, „Das Experiment“ oder „Cube“ deutlich vorgeführt. In James Wans „Saw“ erwischt es zwei Männer, die sich in einer abgewrackten Herrentoilette wiederfinden. Der Chirurg Dr. Gordon und der Privatdetektiv Adam wissen zunächst nicht, warum sie verschleppt wurden. In dem Raum, in dem beide an den gegenüberliegenden Wänden mit Ketten an Rohren gefesselt sind, liegt eine Leiche. Nach und nach entdecken die beiden versteckte Hinweise (Fotos) und Hilfsmittel (Konchensägen), die sich als Spielbausteine im Spiel eines seit längerer Zeit aktiven Serienmörders entpuppen. Ein Spiel bei dem auch herauskommt, was die Spieler miteinander verbindet und zu was beide schließlich fähig sind, um das Spiel zu gewinnen.
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Passage durchs Werk

Über Walter Benjamin ist seit der Renaissance seines Werkes in den 1980er Jahre so viel geschrieben worden, dass jedes neue Überblickswerk und jede Biografie sich zuerst einmal der kritischen Frage „Warum?“ stellen muss. Es gab komplexe Annäherungen an das Gesamtwerk, persönliche Biografien, einige Einführungswerke, Bildbände und vieles mehr, was die „Gesammelten Schriften“ des Suhrkamp-Verlages begleitet hat. Nun kommt aus dem selben Verlag in der Reihe „BasisBiographie“ ein schmales Einführungswerk zu Benjamin, das in der Tat noch Neues bietet.

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Lexikon, Kultur, Theorie

Ein Lexikon hat es in den Pantheon der Nachschlagewerke „geschafft“, wenn man es nicht mehr mit dem Titel, sondern mit dem Namen seines Autors oder Herausgebers zitiert und jeder weiß, was gemeint ist. So ist „der Wilpert“ zum Synonym für das „Lexikon der Weltliteratur“ geworden, wie „der Mittelstraß“ die „Enzyklopädie Philosophie und Wissenschaftstheorie“ benennt. Der Metzler-Verlag (aus dem letztgenanntes Nachschlagwerk stammt) stellt diesbezüglich einige prominente Nachnamen zum Nachschlagen zur Verfügung. Vor allem auf dem immer weiter und schneller wuchernden Gebiet der Kulturwissenschaften verschafft der Stuttgarter Verlag in den letzten Jahren Überblick.

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Wenn sich zwei streiten …

Die Konfrontation von Filmmonstern blickt auf eine reichhaltige Tradition zurück: Ob nun Dracula auf Frankenstein, Dr. Jeckyll auf den Werwolf, Godzilla auf King Kong oder Freddy auf Jason trifft: In der Regel sieht es schlecht für die Unparteiischen (die Menschen) aus, weshalb sie sich zumeist mit einer Seite verbünden. Gut hingegen sieht es immer für die Produktionsgesellschaften aus, denn die Konfrontation von Monstern (erst recht, wenn sie aus verschiedenen filmischen Universen stammen) beantwortet eine der wichtigsten und lukrativsten Fan-Fragen: Wer ist eigentlich stärker? Alien vs. Predator, ein Monsterpaar, das sich schon durch verschiedene Medien (Comics, Computerspiele, Zeichentrickserien und ein Kurzfilm, in dem sie sogar auf Batman getroffen sind) gekämpft hat, ist vor kurzem auch auf der Leinwand gegeneinander angetreten.

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Über Wahrheit und Lüge im kinematographischen Sinne

„Le cinéma c’est la vérité 24 fois par seconde.“ Jean-Luc Godards Definition sagt wohl noch mehr über seinen Begriff der Wahrheit als über das Kino. Denn welche Art Wahrheit ist es wohl, die uns Film erzählt? Dass dieser, besonders der fiktionale Spielfilm, keine „wahren Geschichten“ erzählt und dass hinter jedem noch so objektiv(ierend)en Dokumentarfilm immer eine sehr subjektive Perspektive steht, hat Godard in seiner Kritik des Cinema Vérité ja selbst konstatiert. Das Verhältnis von Wahrheit und Lüge im Film untersucht ein neuer Sammelband aus dem transcript-Verlag.

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Vom »Wir« zum »Ich«

2001 erschien vom britischen Regisseur Andrew Parkinson der Zombiefilm “Dead Creatures”. Er griff ein Thema auf, dass Parkinson bereits zwei Jahre zuvor – man könnte sagen: in einer Art “Vorstudie” – behandelt hat. Es geht darum, die filmische Zombie-Metapher als moralphilosophisches Gedankenexperiment zu lesen. “Dead Creatures” widmete sich dabei dem Konflikt zwischen Gesellschaft und infizierter Gruppe – in “I, Zombie” geht es, wie der Titel bereits andeutet, um die Isolation des kranken Einzelnen in der Masse.
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Kafka geht (schon wieder) ins Kino

Hanns Zischerls 1996 erschienenes Buch „Kafka geht ins Kino“ ist ein Mittelding zwischen einer Kino-orientierten Kafkabiografie und einer Kafka-orientierten Geschichte des frühen Kinos. Zischler arbeitete zunächst minutiös die Kafka’schen Literaturfragmente, die sich mit dem Film und dem Kino beschäftigen heraus (allem voran Tagebucheinträge über den Besuch des Films „Die weiße Slavin“ – von dem es zurzeit Kafkas mehrere Versionen gab). Acht Jahre nach Zischlers umfassender Untersuchung erschien nun vor kurzem der Essay „Eiserne Fensterläden – Kafka und das Kino“ von Dietmar Schings bei „Vorwerk 8“.

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Kulturwissenschaftler

Eine Disziplin sitzt scheinbar erst dann fest im Sockel der akademischen Wissenschaften, wenn sie eine eigene Tradition vorzuweisen hat. Die Kulturwissenschaften haben es dann diesbezüglich besonders schwer. Als Konglomerat aus verschiedensten, ja eigentlich allen, Wissenschaftsgebieten mussten sie sich bislang mit den Präfixen Trans- und Inter- zufrieden geben. In Ihrer Geschichte verlief der Prozess genau anders herum, als bei den klassischen geisteswissenschaftlichen Disziplinen: Erst gab es die Wissenschaft, dann wurden ihr die Theoretiker zugerechnet. Zwei kürzlich erschienene Biografien-Bände stellen einen Kanon an kulturwissenschaftlichen Denkern zusammen.

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»Fressen und Gefressenwerden«

»Die Entwertung der Dingwelt in der Allegorie
wird innerhalb der Dingwelt selbst
durch die Ware überboten.«

(Walter Benjamin)

… ist die Leitdoktrin kapitalistischer Wirtschaftslogik. Die „Fressen“-Metaphorik zieht sich durch die gesamte Wirtschaftstheorie und -terminologie und ist selbst schon Gegenstand kulturwissenschaftlicher Überlegungen geworden. Was wäre da idealer, als das Fressen einmal wörtlich zu nehmen und die sozial-ethischen Konsequenzen der Produktions-, Vermarktung- und Konsumptionslogik an der wörtlich genommenen Metapher auszubuchstabieren? Der Däne Anders T. Jensen hat dies getan und den Betrieb einer Kleinschalchterei zur Parabel für den Wirtschaftskreislauf erklärt.
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Psychoanalyse (und Film)

1895 war für die Kulturgeschichte ein bedeutsames Jahr. Sigmund Freud veröffentlichte zusammen mit Josef Breuer die „Studien zur Hysterie“ und begründet damit die Psychoanalyse. Die Brüder Lumière führten im Grand Café in Paris einen Film öffentlich vor und begründen damit das Kino. Auf dieses gleichzeitige Geburtsjahr von Kino und Psychoanalyse ist oft hingewiesen worden. Und beider Entwicklung verlieft in gewisser Hinsicht seit dem „parallel“ – beide beeinflussten sich gegenseitig. In der sechsten Auflage von Wolfgang Mertens mittlerweile kanonischem psychologischen Einführungswerk „Psychoanalyse“ ist daher konsequenterweise ein Filmkapitel hinzugekommen.

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