Kulturwissenschaftler

Eine Disziplin sitzt scheinbar erst dann fest im Sockel der akademischen Wissenschaften, wenn sie eine eigene Tradition vorzuweisen hat. Die Kulturwissenschaften haben es dann diesbezüglich besonders schwer. Als Konglomerat aus verschiedensten, ja eigentlich allen, Wissenschaftsgebieten mussten sie sich bislang mit den Präfixen Trans- und Inter- zufrieden geben. In Ihrer Geschichte verlief der Prozess genau anders herum, als bei den klassischen geisteswissenschaftlichen Disziplinen: Erst gab es die Wissenschaft, dann wurden ihr die Theoretiker zugerechnet. Zwei kürzlich erschienene Biografien-Bände stellen einen Kanon an kulturwissenschaftlichen Denkern zusammen.

Friedrich Kittler, der Berliner Germanist und Medienwissenschaftler, wird nicht nur selbst zu den Kulturwissenschaftlern ureigenster Provenienz gezählt; er hat sich in jüngerer Vergangenheit auch intensiv mit der Geschichte und dem Arbeitsfeld der Disziplin auseinander gesetzt. Nachdem 2001 bereits eine „Kulturgeschichte der Kulturwissenschaften“ erschienen war, widmet er sein jüngstes Buch den „Unsterblichen“, den „Leitfossilien“ (S. 38) von 500 Jahren Kulturwissenschaftsgeschichte.

In zehn kurzen Biografien von Geistesgrößen seit dem 15. Jahrhundert zeichnet Kittler dabei eine ganz spezielle Geschichte der Theorieentwicklung nach und stellt die engen Verbidungungen der Gedanken und die Genealogie der Theorien dar. Angefangen beim Renaissance-Genie Alberti, der über die Theorie der Malerei seiner Zeit forschte und dabei deren mathematische Prinzipien offenbarte, später als Architekt und – ein „running gag“ des Bandes – Geheimschreiber tätig war. Darauf folgen die Biografien von Fermat, Leibniz, Wiener, Turing, Shannon, Luhmann, C. F. Meyer, Lacan und Foucault.

Das Besondere an Kittlers Blickwinkel auf seine Vorgänger ist das Besondere, das schon immer in Kittlers Perspektive lag: Fast alle „macht“ er sie zu Theoretikern und Vorbereitern der Computertechnologie. Bei einigen (Leibniz, Wiener, Turing, Shannon) ist das offensichtlich; bei anderen das Ergebnis von Kittler ureigenem Gespür, mit denen er etwa jenen Renaissance-Gelehrten Alberti als Urvater der „Windows“-Architektur interpretiert.

Der Kürze der einzelnen biografischen Darstellungen ist es dabei geschuldet (oder: zu verdanken), dass Kittlers überlegungen überraschend und pointiert daherkommen und nicht selten einen Parforce-Ritte durch die Jahrhunderte zurücklegen. So paraphrasiert er etwa Albertis einzig erhaltenes literarisches Zeugnis – eine Göttergeschichte, in der Jupiter die Furien verführt – wie folgt: „Albertis romanesker Heldengott rankt sich als Efeu von der Außenwand durchs Fenster namens Windows an der Innenwand entlang – bis in ihren Schoß. Das Begehren des Architekten, heißt das aber, geht auf Architektur. Sonst wären Alteuropas schöne Städte nicht so schön, wie Rumsfeld nie begreifen wird.“ (19f.)

Friedrich Kittler
Unsterbliche. Nachrufe, Erinnerungen, Geistergespräche
München: Fink 2004
150 Seiten (broschiert)
19,90 Euro

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Demselben Projekt, jedoch zu bereits durchweg „etablierten“ Autoren der Kulturwissenschaft, hat sich ein Sammelband des Surhkamp-Verlages verschrieben. Anders als Kittler, der zwar auch als Einführung gelesen werden kann, dabei jedoch vor allem Kenntnisse der Theorien von Kittler voraussetzt, verbleibt „Culture Club“ nah am Text (des jeweils behandelten Autors). 15 deutsche Kulturwissenschaftler zeichnen hier die Biografien fünfzehn von ihrer Vorfahren nach: Freud, Simmel, Park, Cassirer, Benjamin, Horkheimer und Adorno, Bataille, Lacan, Foucault, Luhmann, Bourdieu, Sahlins, Fiske, Latour und Judith Butler.

Der Band – gemeint als Festschrift zum 60. Geburtstag des Kultursoziologen Wolfgang Eßbachs – stellt zwar voran, mit seiner Auswahl eine Kanonisierung betreiben zu wollen, leistet dieser aber (natürlich) Vorschub. Und so streng die inahltlich prägnanten und konzisen Artikel sind, so sehr unterscheiden sie sich dann – genau wie der Kittler – wiederum durch die Herangehensweise der Autoren. Da klaffen teilweise „Welten“ zwischen der fast prosaesken Freud-Darstellung des Kulturwissenschaftlers Klaus Theweleit und der recht nüchternen Benjamin-Abhandlung des Mitherausgebers und Verwaltungsreferendars Tobias Korta.

„Culture Club“ bereitet seine Theoretiker-Biografien und Theorie-Darstellungen zwar ungleich „objektiver“ als Kittlers „Unsterbliche“ auf, ist wiederum nun aber zu dicht, um einletenden Charakter zu besitzen. Die Faktendichte ist teilweise so hoch, dass es Christa Karpenstein-Eßbachs Text über Bataille es bei 14 Seiten auf immerhin fast 60 Fußnoten mit Querverweisen und Literaturangaben bringt. Diesem Eindruck der Dichte wirkt der an jeden Artikel angehängte Apparat mit Bibliografien zum Werk des behandelten Kulturwissenschaftlers und einschlägiger Sekundärliteratur nur wenig entgegen. Dennoch ist der „Culture Club“ eine gute Orientierungshilfe für denjenigen, der sich bereits in das Werk der einzelnen Denker versucht einzuarbeiten. Der Überblickscharakter der Darstellungen weist auf Haupt- und Nebenwege der Gedanken hin und zeichnet (zumindest in einigen Artikeln) Vorläufer und Wirkung der Theoretiker nach.

Martin Ludwig Hofmann, Tobias F. Korta, Sibylle Niekisch (Hgg.)
Culture Club. Klassiker der Kulturtheorie
Frankfurt am Main: Suhrkamp 2004
300 Seiten (broschiert)
11,00 Euro

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