Mutierte Riesenaffen

Mit dem Band über den Horrorfilm veröffentlicht der Reclam-Verlag bereits das 5. Buch in seiner Genre-Reihe. Dieses Mal fungiert Ursula Vossen als Herausgeberin und hat 26 weitere Autoren für einen Kanon von insgesamt 60 Filmen gewinnen können.


Analog zu den vorher gehenden Bänden wird den Einzelbesprechungen der Filme ein Vorwort voran gestellt. Leider ist dies nicht mehr so ausführlich und umfangreich wie das des Abenteuerfilm-Bandes geworden. Die Herausgeberin versucht auf 16 Seiten eine Phänomenologie und Geschichte des Genres anhand der im Folgenden besprochenen Filme darzulegen. Ihr Hauptaugenmerk gilt dabei dem Phänomen der „Subkultur“, zu dem der Horrorfilm bis in die 1990er Jahre gerechnet wurde. Hier weist Vossen neben den restriktiven Versuchen der Zensur auf die Fähigkeit der Filme zum kritischen Umgang mit den an sie anschließenden Diskursen hin. Zwar sind die Darlegungen nicht immer sehr präzise (so konstatiert die Autorin, dass „der deutsche Horrorfilm immer vergleichsweise unbedeutend geblieben ist“, S. 9f. – und vergisst dabei nicht nur die für das Genre paradigmatischen Beiträge des Weimarer Kinos sondern auch den selbst in ihrem Buch aufgeführten Impulsgeber Jörg Buttgereit) und „verguckt“ sich auch schon einmal (Godzilla ist bei ihr ein „mutierter Riesenaffe“, S. 21); doch besticht ihre Einleitung vor allem durch jenes das Horrorfilmgenre so bezeichnende trialogische Prinzip zwischen Produktion, Rezeption und Restriktion.

Auf den ersten Blick wirkt die Filmauswahl – soweit sich das von Kanonisierungsversuchen behaupten lässt – grund solide. Bei genauerem Hinsehen fehlt jedoch Wesentliches: So weist der Band nur einen einzigen Beitrag zu einem Film der 1950er Jahre auf: „Der Schrecken vom Amazonas“ (1955) ist nicht unbedingt der „typischste“ 50er-jahre-Horrorfilm – hier hätte auf jeden Fall eine Produktion wie „The Curse of Frankenstein“ von 1957 (immerhin einer der ersten Farbhorrorfilme überhaupt!) – oder „Dracula“ von 1958 (der vielleicht erste Splatterfilm) aus den Hammer-Studios aufgeführt werden müssen. Ebenso gehörten in einen Kanon der „wichtigsten“ Filme Hershell Gordon Lewis’ „Blood Feast“ (1963) und George A. Romeros „Dawn of the Dead“ (1978). Letzerer wird – nebst dem dritten Teil der Trilogie „Day of the Dead“ (1985) – zwar ausführlich im Artikel zu „Night of the Living Dead“ (1968) abgehandelt, warum beide Filme jedoch keinen eigenen Eintrag bekommen haben, bleibt unklar. Dafür finden sich einige Beiträge zu zwar unbekannteren aber dennoch wichtigen Filmen, wie etwa Alberto Cavalcantis „Dead of Night“ (1945), und zu bekannteren aber für das Genre eher unwichtige(re)n Filmen, wie etwa „Anatomie“ (1999) im Band.

Die Texte selbst sind in Länge und Qualität sehr unterschiedlich. Hier zeigt sich die Einschätzung der filmhistorischen Bedeutung des jeweiligen Films vielleicht am deutlichsten: Drei Seiten für Mario Bavas „Die Stunde, wenn Dracula kommt“ (1960) stehen einer elfseitigen filmhistorisch ausführlichen Würdigung von Tod Brwonings „Dracula“ (1931) gegenüber. Die Vielfalt der einzelnen Beiträge, die – das ist die Agenda der Reihe – die jeweils wichtigsten Ansätze der Rezeption komprimiert darlegen, machen auch das Horrorbuch lesenswert.

Ursula Vossen (Hg.)
Filmgenres – Horrorfilm
Stuttgart: Reclam 2004
371 Seiten (Paperback)
8,80 Euro

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