Life at 25 Frames per Seconds

Life at 25 Frames per Seconds, Deutschland 2003, Andreas Flack/Eva Rebl

Das Videdrom zu Berlin, Deutschlands – vielleicht sogar Europas – bestsortierteste Videothek, ist so ein bisschen wie der Plattenladen aus High Fidelity. Oder wie ein gewisses Tabakgeschäft aus Brooklyn. Man kommt hin und kennt sich. Man schwatzt. Unterschiedliche Welten und Geschmäcker treffen aufeinander: Das ist nicht weiter tragisch – im Videodrom wird Pluralität groß geschrieben und als Bereicherung verstanden. Und man leiht sich Videos aus. Das wird dann fast schon zur Nebensache (natürlich nicht). It’s a big little family. Und hier bekommt man, was es sonst nirgends sonst zum Leihen gibt. Asien, Klassiker, Trash, Horror, Splatter, Import, Mainstream, Kunst. Und so weiter und so fort.

Life at 25 Frames per second trägt nicht umsonst den Untertitel „Menschen im Videodrom“. Menschen diesseits wie jenseits des Tresens, über den schon mancher Schatz der Filmgeschichte gereicht wurde, machen das, was die treue Stammkundschaft im Drom, wie es liebevoll genannt wird, am liebsten machen: Sie schwatzen. Über das Drom, über Filme, über Hollywood, über magic moments und: über sich. Der Coffee-to-go zum schnellen Schnack gehört dazu. Und im Hintergrund der Tonkulisse das Knarzen des Druckers, der die zu unterschreibenden Belege für die Kundschaft druckt.

Cinephile, vom Lauf der Dinge kaum überzeugte Kulturkritiker, Gerne-mal-nen-Filme-Kucker, Exil-New-Yorker Slacker, glückliche Kunden: Für alle ist die kleine und längst eigentlich schon überquellende Videothek an einer typischen Kreuzberger Ecke, wo sonst nur berüchtigte Eckkneipen vor sich hin gammeln, zum wesentlichen Teil des Alltags geworden. Der eine steht auf Action’n’Gore, der andere verehrt Tarkowskij und Hitchock, wieder andere kucken querbeet, was ihnen unter die Finger kommt und auch nur irgend interessant scheint („Das sind mir so die liebsten Kunden“, kommentiert der wie stets eloquente Thomas Klein – an dieser Stelle Grüße – dieses Spektrum an einer Stelle gänzlich unironisch und ich selber fühlte mich da, hoffentlich zurecht, angesprochen).

Doch wo allzu viel freundliches Nebeneinander herrscht, schlagen manchmal gerne dunkle Zeitgenossen drauf. So auch im Falle des Videodroms, das 1999 von Seiten des Kreuzberger Wirtschaftsamts und der Berliner Staatsanwaltschaft einfach mal so wegen bloßen Verdachts auf den Vertrieb gewaltverherrlichender Filme geschlossen wurde. Ein denkbar schlechter Coup, denn die vermeintlich schmuddelige Nische für soziale Outsider, über deren Ende ja wohl kaum Tränen vergossen würden, entpuppte sich als international geschätzte Insel der Filmkultur. Eine ungeahnte Solidaritätsbewegung war die Folge, mit namhaften Unterzeichnern allenthalben. Wenige Wochen später zeigten sich die Behörden entsprechend beschämt und räumten der nunmehr so bezeichneten „Kultureinrichtung“ dann doch verlegen die Wiedereröffnung ein. Thomas Klein lässt das Drama auf üblich lakonische Art Revue passieren, der Film unterstützt ihn auf ganz eigene charmante Weise: An Star Wars angelehnte Jingles („DIE SCHLIESSUNG Episode 3 – DIE RÜCKKEHR DES VIDEODROMS“ etc.) deuten die, Gottlob gutausgegangene, Krise mit den Mitteln des Subversionsfilms humoresk um in eine anekdotenreiche Erfolgsstory über das Zusammenhalten und „die da oben“ gegen „uns da unten“.

Überhaupt übt sich Life at 25 Frames per Second in sympathischer Parteilichkeit. Wie die Menschen vor der Kamera, die von sich und ihrem Leben mit dem Drom erzählen, verbringen auch die hinter der Kamera offenkundig einen nicht unwesentlichen Teil ihres Lebens mit Filmen aus der Kreuzberger Off-Videothek. Deutlich wird dies, wenn sie verwinkelte Fahrten durch die, auf Video gebannt schier endlos wirkenden, Regale unternehmen (vor denen man selber schon manche Stunde verbrachte), dabei den „Trip“ aus 2001 – Odyssee im Weltraum ästhetisch simulieren und die Regale des Glücks hinter dem Tresen, wo sich auf schwindelerregend wenig Bodenfläche einmal die Essenz der derzeit abgreifbaren Filmgeschichte gelagert findet, mittels Kameraperspektive zum Monolithen aus Kubricks Weltraummeditation stilisiert werden. All dies, so gehört es sich für einen Kunden des Videodroms, mit genügend sophisticated Ironie und Alltagsabgeklärtheit, um nicht in abgehangenen Bildwitzchen zu enden.

Ein schöner Film, der den Reiz eines einzigartigen Filmarchivs und eines vielleicht noch einzigartigeren Soziotop mit den ureigenen Methoden des Films und seiner eher subversiven Tradition auch für Außenstehende nachvollziehbar auf Tape (this is home entertainment, not cinema!) gebannt hat. Und für Freunde des Hauses – hier schreibt so einer – ein zu jeder Sekunde schwer genossenes Dokument seiner Lieblingsvideothek.

Life at 25 Frames per Seconds – Menschen im Videodrom gibt es natürlich im Videodrom gratis unter der Leihnummer 2720.

Thomas Groh

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