Lindenstraße

Seit der Popularisierung des Fernsehens in den 1950er Jahren findet eine weitere Art Geschichtsschreibung statt, die in Form von in Filmen und Serien veröffentlichten Kommentaren jeden Zuschauer einen medial prädisponierten Kommentar auf das Zeitgeschehen anbietet. Der einzige Nachteil ist die geringe „Halbwertzeit“ der Informationen, die, ist die Sendung erst einmal ausgestrahlt, nur im Ausnahmefall wiederholbar ist. Durch Wiederholungen alter und ältester Sendungen – gerade in den digitalen Fernsehkanälen – wird dem Zuschauer heute wieder ein einzigartiges Zeitfenster geöffnet, durch das er die jüngere Geschichte der Bundesrepublik nachvollziehen kann.


Als 1985 die Fernsehserie „Lindenstraße“ an den Start ging, verfolgte ihr Produzent Hans W. Geißendörfer damit auch einen politischen Anspruch: Man wollte nicht nur unterhalten, sondern darüber hinaus diese Unterhaltung auf dem tagesaktuellen Geschehen basieren und dies auf diese weise kommentieren. Diese Agenda hat die Serie bis heute – kurz vor ihrer 1000. Folge – behalten. Ob die Reaktorkatastrophe in Tschernobyl, der Mauerfall oder der 11. September 2001 – in der Lindenstraße wird alles behandelt. Aber auch kulturelle Konflikte und Strömungen innerhalb Deutschlands werden immer wieder aufgenommen. Um nur ein Beispiel zu nennen: Homosexualität (in der Lindestraße gab es den ersten Männer-Fernsehkuss Deutschlands). Die „Lindenstraße“ im Rückblick ermöglicht also einen besonderen Einblick in die Geschichte und Mentalitätsgeschichte Deutschlands im ausgehenden 20. Jahrhundert.

Der Berliner „Schwarzkopf & Schwarzkopf“-Verlag hat nun eine im Wortsinne „umfangreiche Chronik“ der Serie veröffentlicht, in der alle bisher ausgestrahlten Folgen mit Inhaltstext und ausgewählten Screenshots der jeweiligen Folge chronologisch präsentiert werden. Besonderer Wert wurde hierbei leider weniger auf den Text, der oft über stichwortartige Handlungszusammenfassung nicht hinausgeht, sondern vielmehr auf die Anzahl der Abbildungen gelegt. Das Buch soll als Retrospektive dienen.

Sicherlich: Die Lindenstraßen-Chronik hat sich allein zum Ziel gesetzt, zu sammeln. Doch da hätte man – zumal der Produzent die alltagspolitische Wichtigkeit der Serie nicht müde wird zu betonen – wenigstens den Anhang eben auch um jene Themen ergänzen können, die neben der Haupthandlung aspektiert wurden. So bleibt das Buch in seiner geringen Komplexität allein für die Fans der Serie interessant. Die wiederum dürften von der Druckqualität etwas enttäuscht sein: Die Fotos des Bandes weisen – trotz Reproduktion auf Kunstdruckpapier – durchgängig eine geringe Farbraumtiefe und einen auffallenden Rotstich auf.

W. Lotze/H. W. Geißendörfer (Hgg.)
Lindenstraße – 1000 Fogen in Text und Bild
Berlin: Schwarzkopf & Schwarzkopf, 2004
1088 Seiten (gebunden), ca. 5500 farbige Abbildungen
99,00 Euro

Stefan Höltgen

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