Ein Lexikon hat es in den Pantheon der Nachschlagewerke „geschafft“, wenn man es nicht mehr mit dem Titel, sondern mit dem Namen seines Autors oder Herausgebers zitiert und jeder weiß, was gemeint ist. So ist „der Wilpert“ zum Synonym für das „Lexikon der Weltliteratur“ geworden, wie „der Mittelstraß“ die „Enzyklopädie Philosophie und Wissenschaftstheorie“ benennt. Der Metzler-Verlag (aus dem letztgenanntes Nachschlagwerk stammt) stellt diesbezüglich einige prominente Nachnamen zum Nachschlagen zur Verfügung. Vor allem auf dem immer weiter und schneller wuchernden Gebiet der Kulturwissenschaften verschafft der Stuttgarter Verlag in den letzten Jahren Überblick.
In der mittlerweile dritten Auflage ist im vergangenen Jahr das von Ansgar Nünning herausgegebene „Metzler Lexikon Literatur- und Kulturtheorie“ erschienen. Das seit 1998 bestehende Lexikonprojekt ist das mit Abstand „einschlägigste“ auf seinem Gebiet. Auf nun mittlerweile etwa 740 Seiten verschafft das Werk Ein- und Überblick über mehr als 600 Begriffe, Konzepte und Personen der Kulturwissenschaften.
Die dritte Auflage ist noch einmal überarbeitet und um etwa 30 Artikel erweitert worden. Neben Personenartikeln zu Slavoj Žižek, Donna Haraway. Maurice Halbwachs und Richard Schechner sind Begriffe wie Adresse/Adressierung, Heterotopie, Index, Inszenierung, Maskerade/Geschlechtermaskerade, Mimikry, Rhizom, Supplement sowie Zentrum und Peripherie eingefügt worden. Zu den kulturwissenschaftlichen Stichwortbeiträgen haben sich Artikel über „Gedächtnis und Gedächtnistheorien“, „Erinnerungsorte“ und „Trauma und Literatur“ gesellt, womit der in den letzten Jahren verstärkten Forschung auf dem Gebiet von „Gedächtnis und Erinnerung“ Sorge getragen wird.
Zweifellos baut „der Nünning“ seinen Ruf und seine Reputation mit dieser dritten Ausgabe noch weiter aus, auch wenn verschiedene kleine Fehler der Vorgängerausgaben (etwa die Bibliografie zum Derrida-Artikel, in der immer noch Titel aufgeführt werden, die nie erschienen sind) nicht korrigiert wurden und einige auch der neu hinzu gekommenenen Beiträge (wie etwa der Heterotopie-Artikel) allzu paraphrastisch vorgehen.
Ansgard Nünning (Hg.)
Metzler Lexikon Literatur- und Kulturtheorie
dritte, aktualisierte und erweiterte Auflage
Stuttgart: Metzler 2004
742 Seiten (gebunden)
29,95 Euro
In einer nicht nur preislich anderen Liga rangiert das dreibändige, von Friedrich Jaeger (Bd. 1-3), Burkhard Liebsch (Bd. 1), Jürgen Straub (Bd. 2) und Jörn Rüsen (Bd. 3) herausgegebene „Handbuch der Kulturwissenschaften“. Das 2004 erstmals erschienene Werk verfolgt nur in zweiter Hinsicht das Projekt eines Lexikons. In über einhundert Artikeln von ebenso vielen Autoren versucht es das Feld der Kulturwissenschaften von drei Seiten her zu beschreiben.
Band Eins widmet sich den zentralen Grundlagen und Schlüsselbegriffen Erfahrung, Sprache, Handlung, Geltung, Identität und Geschichte unter speziellen Aspekten und in der Vernetzung miteinander. Die einleitenden Artikel erfüllen dabei zuvorderst den Anspruch von Forschungsberichten, was die an jeden Text angehängten umfassenden Literaturangaben noch unterstützen.
Der zweite Band stellt die kulturwissenschaftlichen Disziplinen und Paradigmen vor. Neben einer Eingrenzung des zunächst diffus wirkenden Begriffes „Kulturwissenschaften“ zunächst von ihrer lebenspraktischen Relevanz her (Kapitel 7), später innerhalb einzelner akademischer Disziplinen (Kapitel 11), wendet sich dieser Band vor allem den zentralen Gegenständen und Forschungsfragen aus handlungstheoretischer (Kapitel 9) und sprachphilosophischer (Kapitel 10) Perspektive zu. Den kulturwissenschaftlichen Methodenkanon aspektieren die sechs Artikel des Kapitels 8.
In den vier Großkaptiteln des dritten Bandes schließlich werden die Disziplinen und Perspektiven aus Band Eisn und Zwei noch weiter konkretisiert und einzelne Themen und Forschungstendenzen der Kulturwissenschaften vorgestellt. Grade hiermit zeigt sich der Wert des Handbuch-Projektes deutlich: In der Verschränkung von Themen aus Theologie, Ästhetik, Kunstgeschichte, Psychologie und Psychoanalyse, Gendertheorie, Geschichte, Alteritätsforschung, Ethnologie, Wirtschaftswissenschaften (vor allem im Kapitel 13), Naturwissenschaften, Soziologie (zentral in Kapitel 14), Politik- und Rechtswissenschaften (Schwerpunkt in Kapitel 15) offenbart sich die Kompetenz der kulturwissenschaftlichen Perspektive als übergreifende Wissenschaft.
Die Artikel des dreibändigen Werkes liefern jenen, die sich in einem Forschungsfeld orientieren wollen, genau den richtigen, knappen Einstieg. Die Vielzahl von Autoren bürgt dabei für einen äußerst heterogenen Zugriff auf die Gegenstände, Methoden und Konzepte. Das Handbuch versammelt hier die produktivsten und prominentesten Vertreter der Einzeldisziplinen und wartet sogar mit dem einen oder anderen „überraschenden“ Beiträger (etwa dem „Neostruktualismus“-Erfinder Manfred Frank über Derridas Sprachphilosophie) auf.
Friedrich Jaeger, Burkhard Liebsch, Jörn Rüsen, Jürgen Straub (Hgg.)
Handbuch der Kulturwissenschaften
Grundlagen und Schlüsselbegriffe / Paradigmen und Disziplinen / Themen und Tendenzen
3 Bände, 1783 Seiten (gebunden)
Stuttgart: Metzler 2004
179,85 Euro
Stefan Höltgen