It’s the sense of Touch!

Humanismus, Rassismus und Straßenverkehr in Paul Haggis’ „Crash“

»I think we miss that touch so much,
that we crash into each other,
just so we can feel something.«
(Graham)

Los Angeles gilt als die Stadt mit dem höchsten Auto-pro-Einwohner-Verhältnis der Welt. Darüber hinaus ist die Stadt zum traurigen Sinnbild für permanente Rassenkonflikte geworden. Beide Themen sind in der Vergangenheit immer wieder auch in Filmen aufgearbeitet worden. 1993 wirft Joel Schumacher in „Falling Down“ einen bitteren Blick auf die Konflikte zwischen den verschiedenen Ethnien in Los Angeles – zwei Jahre später inszeniert David Cronenberg dort in seinem Film „Crash“ eine Verkehrsdystopie. Paul Haggis’ ebenfalls mit „Crash“ betitelter Film greift nun beide Themen auf, deutet sie jedoch positiv um und wirft damit einen hoffnungsvollen Blick auf die Stadt und ihre Bewohner.

„Crash“ erzählt die Geschichten seiner Protagonisten in episodenartiger Struktur. Zwei weiße Polizisten, ein persischer Ladenbesitzer und seine Familie, ein schwarzer Polizeikommissar, dessen Bruder auf die schiefe Bahn geraten ist, ein schwarzer TV-Produzent, der sich mit seiner Frau überworfen hat, zwei junge Schwarze, die Autos stehlen, ein Mann, der seinen kranken Vater pflegt … ihre Geschichten werden in kurzen Sequenzen fokussiert, ergänzen einander und überschneiden sich thematisch. Figuren der einen „Episode“ spielen eine Rolle in den anderen Erzählsträngen und so wird aus einem anfangs sehr disparaten Erzählgewirr schließlich „eine Geschichte“, in der alle und alles irgendwie miteinander in Verbidung steht.

Die Bindeglieder, die gleichsam die Scharniere zwischen den einzelnen Episoden bilden, finden sich in der leitmotivischen Verkehrs- und der Rassenproblematik. Der Film beginnt mit einem Unfall, in seinen zentralen Sezenen spielen Autos, deren Besitzt und die Verwechslung verschiedener Fahrzeuge eine zentrale Rolle, motivieren und forcieren die Handlungen. Und ebenfalls stehen alle Protagonisten auf irgend eine Weise zueinander in einem Rassenkonflikt, der die gesamte Atmosphäre des Films dominiert. Die Stereotype der Weißen gegenüber den Schwarzen und umgekehrt, die verzweifelte Suche der Einwanderer aus dem nahen und dem fernen Asien nach Unterstützung, schließlich: die Gewalt, die sich zwischen all diesen Gruppen zu entladen droht: Darin findet „Crash“ augenscheinlich sein Thema.

Und doch ist es ganz anders, denn der Film nutzt diese problemgeladenen Erzählmotivationen, die Figurenkonstellationen und die sich anbahnenden Katastrophen, um eine durch und durch humanistische Botschaft vorzubereiten: Gerade der allgegenwärtige Rassismus und die „Zusammenstöße“ zwischen Menschen und Maschinen aller Art sind es, die die Figuren schließlich zueinander führen. Die Ohnmacht der Gewalt kippt in der Peripetie des Films vollständig um: Ein Polizist, der Tags zuvor bei einer willkürlichen Fahrzeugkontrolle eine schwarze Frau sexuell belästigt hat, wird ihr Lebensretter; ein persischer Ladenbesitzer, der einen schwarzen Schlüsseldienstmitarbeiter auf blutige Weise für den Einbruch in sein Geschäft zur Verantwortung ziehen will, wird nach der „geplatzten“ Tat zum Umdenken auf ganzer Linie bewegt … „Crash“ hält etliche solcher Wendungen bereit, die zu keiner Zeit kitschig wirken, sondern die Beziehungen der Figuren zueinander in einem Was-wäre-Wenn-Konstrukt veranschaulichen.

Handwerklich bewegt sich Paul Haggis’ Film auf allerhöchstem Niveau. Der Rhythmus der aneinander gefügten Sequenzen verdichtet sich zusehends, läuft – wie die Geschichten seiner Protagonisten – auf mehrere und dann schließlich einen Höhepunkt zu. Die Montage, mit der die einzelnen Erzählfragmente verbunden werden, ist meisterhaft und wird gerade im noch unübersichtlichen ersten Teil des Films zum „optischen Anker“ für den Betrachter. Der Soundtrack, der sich zentral aus einem wiederholten und variierten Gesangsmotiv rekrutiert, unterstreicht gerade die emotional aufgeladenen Szenen des Films so perfekt, dass man sich der Rührung kaum zu erwehren vermag. Und schließlich spielen die Darsteller des Films ihre verzweifelten, glücklichen, ängstlichen und wütenden Figuren mit großer Empathie. Kurzum: An „Crash“ stimmt einfach alles.

L.A. Crash
(Crash, USA 2004, Paul Haggis)
Regie & Buch: Paul Haggis
Kamera: James Muro, Schnitt: Hughes Winborne, Musik: Div.
Darsteller: Sandra Bullock, Don Cheadle, Matt Dillon, Jennifer Esposito, William Fichtner, Brendan Fraser u.a.
Länge: 100 Min.
Verleih: Universum

Stefan Höltgen

Schreibe einen Kommentar

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.