2011: A Space Odyssey

Nun ist er also da. „The Tree of Life“ – ein Film, auf dem ungeheure Erwartungen lasten, weil er seit Jahren in Produktion war, sein Start immer wieder verschoben wurde und im Oeuvre des Regie-Unikats Terrence Malick erst das fünfte Werk innerhalb von 40 Jahren darstellt. Malick gilt – wie Kubrick – als Perfektionist. Und je mehr durchsickerte, dass „The Tree of Life“ ein ähnlich avantgardistischer und philosophisch anspruchsvoller Film werden würde wie Kubricks „2001: A Space Odyssey“, wurden aus Cineasten Jünger, die weniger einen Film als eine Offenbarung antizipierten. Fast schon erwartungsgemäß wurde „The Tree of Life“ vor wenigen Wochen zum Sieger des prestigeträchtigen Festivals von Cannes gekürt. Und nun ist er also da, im Kino, aus ätherischen Höhen in die Profanität des für alle Sichtbaren hinabgestiegen, wo es mit Romantic Comedies und Action-Blockbustern zu konkurrieren gilt. Im Legendendunst seiner Vorgeschichte mag es enttäuschend erscheinen, dass „The Tree of Life“ letztlich nicht das große Meisterwerk vom Range der Kubrick’schen Vision ist. Nimmt man aber Abstand von diesen übersteigerten, nahezu unerfüllbaren Erwartungen, bleibt dennoch ein sehr gelungener, visuell berauschender und atmosphärisch starker Film. „2011: A Space Odyssey“ weiterlesen

Berlinale 2011 – Far, far from Bollywood

In „Gandu“ vom indischen Regisseur Q (bürgerlich: Kaushik Mukherjee) tauchen etwa 20 Minuten vor dem Ende bereits die Credits auf, ebenso wie Q selbst – und zwar als Q, der in diesem Film über den Jugendlichen Gandu gerade einen Film über den Jugendlichen Gandu dreht. Neben dem Leser dieser Kritik verwirrt jene Meta-Ebene auch Gandu (Anubrata) einigermaßen. Was aber auch daran liegen mag, dass Gandu, dessen Namen man als ‚Arschloch‘ oder ‚Wichser‘ übersetzen kann, gerade eine ordentliche Portion halluzinogener Drogen zu sich genommen hat. Die hypnotische Visualisierung dieses Rausches greift – wie bei der Nahtoderfahrung in Gaspar Noés „Enter the Void“ – tief in die Trickkiste experimenteller Techniken und ist sinnlich ähnlich beeindruckend wie bei Noé. Wenn der kleinkriminelle Gandu gerade nicht weiblichen Derwischen in seiner von Drogen belebten Fantasie begegnet, schaut er Pornos, masturbiert oder schmeißt in wütenden Rap-Texten mit sämtlichen ihm bekannten Schimpfwörtern um sich. Der restriktiven indischen Zensur wird das ebenso wenig gefallen wie einem einsamen, moralisch empörten Zuschauer aus Indien beim Berlinale-Screening. Für zahlreiche andere Publikumsgruppen – frustrierte Jugendliche, sozial-realistische Cineasten, Freunde des Schwarz-Weiß- und Experimentalfilms – ist „Gandu“ hingegen eine großartige Entdeckung. „Berlinale 2011 – Far, far from Bollywood“ weiterlesen

Berlinale 2011 – Mit Brecht die Illusion brechen

„Folge mir“, ein experimentelles Drama über den in völliger Apathie und Verwahrlosung endenden Zerfall einer scheinbar normalen Familie, dürfte Freunden avantgardistischer Schauspiel-Theorien gefallen – und wahrscheinlich auch fast nur diesem Zuschauer-Typus. Johannes Hammels Film merkt man die beinahe jugendlich wirkende Freude am Austoben seiner Vorstellungen von ästhetischen Provokationen deutlich an. Weder der Plot noch die Schwarz-Weiß-Bilder sind die zentralen Elemente von „Folge mir“, sondern die zahlreichen Irritationen und Verfremdungen. Dieses ständige ironische Augenzwinkern ist nicht nur anstrengend, es wirkt auch ziemlich angestrengt. „Berlinale 2011 – Mit Brecht die Illusion brechen“ weiterlesen

Die schwierige Geburt der abstrakten Filmexperimente von Hans Richter aus dem Geist der Malerei

Film und Experiment oder auch Film und Malerei – diese Schlagworte charakterisieren wohl am besten die Avantgardefilmbewegung der 1920er Jahre. Bemerkenswert erscheint die Tatsache, dass der Impuls für die Filmexperimente des sogenannten „Abstrakten“ bzw. „Absoluten Films“ aus dem Bereich der bildenden Kunst und der dort in erster Linie als Maler tätigen Künstler kam. Diese Entwicklung ist stets mit den Namen von Hans Richter und Viking Eggeling verbunden.

Warum beschäftigte sich aber insbesondere Hans Richter mit dem damals recht jungen Medium Film?
„Die schwierige Geburt der abstrakten Filmexperimente von Hans Richter aus dem Geist der Malerei“ weiterlesen

Unknown Pleasures 2011 – Trash Humpers

Harmony Korines „Trash Humpers“ ist ein Anti-Kunstfilm – ein Film, der sich allem Schönen verweigert und sich stattdessen Orten des Drecks und Verfalls, vor allem aber menschlichen Abartigkeiten widmet. In „Trash Humpers“ vermischen sich zwei Ästhetiken des Primitiven und Hässlichen. Das gesamte Bildmaterial wurde mit billigen Videokameras gedreht, anschließend über mehrere miteinander verkabelte Videorekorder kopiert und dadurch nochmals gezielt qualitativ degradiert. Für an HD und 3D gewöhnte Zuschauer ist dieser Look des Amateurhaften und Veralteten natürlich ein ästhetischer Affront. Hier wird der technologische Fortschritt nicht einfach nur entschleunigt oder angehalten, sondern komplett zurückgenommen. „Unknown Pleasures 2011 – Trash Humpers“ weiterlesen

Holy Cow! Experimentalfilme aus Indien

Eher unbekannt ist die Tatsache, dass Indien jährlich mehr Filme produziert als jedes andere Land der Welt. Noch weitaus unbekannter als der mittlerweile auch hierzulande florierende Mainstream des indischen Kinos sind jene Filme des Subkontinents, die abseits von Bollywood entstehen – so zum Beispiel die Kunst- und Autorenfilme des Parallel Cinema. Das Pariser Label Lowave bemüht sich nun mit seiner Kollektion Re:Frame – Scanning Time / Documenting Change, noch eine Schicht tiefer zu graben und ausgewählte indische Experimentalfilme vorzustellen.

„Holy Cow! Experimentalfilme aus Indien“ weiterlesen

Around the World in 14 Films – I travel because I have to, I come back because I love you

Der Geologe José begibt sich für 30 Tage ins Niemandsland der brasilianischen Wüste. Dort soll er erkunden, wie sein Arbeitgeber in dieser verlassenen Region einen Kanal bauen könnte. José wird diesen Auftrag rasch vergessen – ist er seinem Arbeitsplan zunächst einen halben Tag voraus, so hinkt er den Vorgaben bald schon fünf Tage hinterher.
I travel because I have to, I come back because I love you ist ein Road Movie – hier geht es also zuvorderst um die Erkundung des Selbst statt um die Erkundung eines möglichen Kanalbetts. José, dessen melancholische Tagebuch-Einträge wir im Voice-Over-Kommentar hören, versinkt in einer Depression. Seine Frau hat ihn verlassen, alles erinnert ihn an sie – und er weiß nicht, ob diese Reise (die er mal umgehend abbrechen und mal für immer andauern lassen will) alles nur noch schlimmer machen oder ihn ins Leben zurückführen wird. „Around the World in 14 Films – I travel because I have to, I come back because I love you“ weiterlesen

Winnipeg als Wille und Vorstellung

Die Stadt Winnipeg muss eine wahrlich bedrückende Atmosphäre ausstrahlen. Wenn wir dem (stets äußerst zuverlässigen) Erzähler Guy Maddin glauben, so hat sie mehrfach ihren Titel als ‚traurigste Stadt der Welt‘ verteidigt und beherbergt „zehnmal mehr Schlafwandler als irgendeine andere Stadt“. Ewige Dunkelheit und Kälte lasten schwer auf den Seelen der Einwohner. Kein Wunder also, dass die Hauptfigur des Films – rein zufällig ‚Guy Maddin‘ heißend, genau wie der Regisseur des Films, der auch den Voice-Over-Kommentar einspricht – in einem Zug-Abteil sitzt, um dieser Stadt endlich zu entfliehen. Dieser Stadt, in der Guys dominant-tyrannische Mutter lebt und in der all seine Lieblingsorte zerstört worden sind. Doch Guy entgleitet während der Fahrt in den Schlaf, flüchtet – wie es unter Winnipegern üblich ist – vor der Realität der Stadt in die schönere Welt des Traums. Kindheitserinnerungen bemächtigen sich seiner und übertünchen die oberflächliche Abneigung gegen die Stadt mit Nostalgie. Die affektiven Bindungen an die Heimat, die oftmals einen nicht zu unterschätzenden Teil unserer Identität ausmachen, halten Guy in der Stadt gefangen.Es gibt für ihn nur einen Ausweg: „Ich muss meinen Weg hier raus filmen.“

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Hijacking the Viewer

Inhaltsangaben von Filmen sind manchmal Mittel, um Zuschauer unter falschen Vorwänden ins Kino zu locken. Dass die Handlung oftmals nicht sonderlich ausschlaggebend für die Qualität eines Filmes ist, stellt die französisch-belgische Giallo-Hommage Amer eindrucksvoll unter Beweis. Der Plot – eine Frau kehrt an den verwunschenen Ort ihrer Kindheit zurück – ist nicht nur denkbar dünn, sondern auch eine geradezu stereotype Kopie von Standardsituationen des Genres. Dass dem Regie-Duo Hélène Cattet und Bruno Forzani dennoch ein faszinierendes Werk gelingt, hat also mit diegetischen Elementen wenig zu tun.
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Hinter’m Horizont geht’s weiter

Natürlich ist es ein Fluch, nach einem Film wie „Irréversible“ weitermachen zu müssen. Mit seinem Meisterwerk hatte Gaspar Noë im Jahr 2002 schließlich nicht nur einen der ganz zweifelsohne bedeutendsten Filme des letzten Jahrzehnts inszeniert, sondern im Grunde gleich eine ganze Entwicklungslinie der Kinogeschichte an ihren schlüssigen Endpunkt geführt und ganz buchstäblich zur Explosion gebracht. Sieben Jahre lang schwieg Noë im Anschluss an seinen großen Wurf, von einer Handvoll eher als Stilübungen zu begreifender Kurzfilme abgesehen. Nun liegt mit „Enter the Void“ sein neuer, mit einer Spielzeit von knapp 160 Minuten nur als monumental zu bezeichnender Kinofilm vor. Und das ist er sicherlich im allerwörtlichsten Sinne: ein KINOfilm, begriffen als somatische Rauscherfahrung.
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Mash up oder deutsche Strenge

„Mash Up“ war das Motto des diesjährigen European Media Art Festivals in Osnabrück. Gemeint ist damit die Collage und Vermischung vorhandener Medienbilder, was dann zu einem eigenen ästhetischen, satirischen und subversiven Stilmittel wird. Bemerkenswert jedoch, dass sich gerade mehrere deutsche Filmemacher mit ihren neuen Werken genau diesem Mash Up weitgehend entzogen und ihren individuellen Stil fortgeführt haben.

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Ein seltsames Spiel …

Vor zehn Jahren ist Cominic Ancianos und Ray Burdis „Filmexperiment“ mit dem Titel „Final Cut“ erschienen und es hat bis heute gedauert, bis der Film hierzulande auf DVD erhältlich war. Das mag angesichts der Unmengen von Filmen, die niemals einen deutschen Verleih finden werden, vielleicht nicht verwundern. Dass hingegen Jude Law, der die vermeintliche Hauptrolle in „Final Cut“ spielt, nicht einmal als Zugpferd für die Auswertung herhalten konnte, macht skeptisch. Und tatsächlich sind es wohl auch die enormen dramaturgischen und ästhetischen Schwächen, die „Final Cut“ so lange in der Warteschleife gehalten haben. Jetzt sind sie für jedermann sichtbar auf einer DVD von „Galileo Medien“.

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13 Lakes

Der Titel könnte den Inhalt des Films nicht treffender bezeichnen. James Benning, dessen Filme in der derzeitigen Kinolandschaft einzigartig sind, hat sich dieses Mal 13 Seelandschaften vorgenommen. Wie bereits in seinen früheren Filmen sind die statischen, jeweils um die 10 Minuten langen Einstellungen, von einer mehrere Sekunden andauernden Schwarzblende unterteilt. So kommt der gut 130 minütige Film zustande.
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10 Skies

Nach „13 Lakes“ am nächsten Morgen „Ten Skies“. Von der Nacht gezeichnet bin ich einen Moment unsicher, ob ich nicht doch lieber eine andere Vorführung wählen soll. Die Befürchtung ist klar. Was soll nach dem gestrigen Erlebnis noch Neues hinzukommen. Ich hätte mich kaum gründlicher täuschen können.
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Kreuzberger Kleinkunst

Frank Behnke (Hrsg.): Das System Klaus Beyer, Berlin: Martin Schmitz Verlag 2003

D.I.Y., also “Do it yourself”, ist nicht nur Parole und Glaubensbekenntnis ungezählter Flanellhemdträger mit Heimwerker-Ambitionen, es ist auch Kampfbegriff und identitätsstiftendes Moment jener Punk-Subkultur, die, jenseits von Kommerz und Major Labels, totale Kontrolle über das eigene Werk als Ideal formuliert. An Platten alleine hält sich das nicht auf: Selbstkopierte Fanzines, oft liebevoll mit Uhu und Schere gestaltet, ungewöhnliche Plattencover aus selbstbedrucktem Jutestoff oder gleich aus Pappe selbstgefaltet bis hin zum im Wohnzimmer veranstalteten Konzert sind die Markenzeichen jener Bewegung. Im Jahr 1978, dem Jahr als die erste große kommerzielle Punkwelle zusehends degenerierte (und somit letztendlich auch den ersten Nährboden für den folgenden Underground stellte), sollte auch ein zweites Großereignis der Geschichte der D.I.Y.-Kultur stattfinden, weitab von Punk und Jugendrebellion allerdings: Klaus Beyer, gelernter Kerzenwachszieher, bezieht in Kreuzberg eine Ein-Zimmer-Wohnung.
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