Ein seltsames Spiel …

Vor zehn Jahren ist Cominic Ancianos und Ray Burdis „Filmexperiment“ mit dem Titel „Final Cut“ erschienen und es hat bis heute gedauert, bis der Film hierzulande auf DVD erhältlich war. Das mag angesichts der Unmengen von Filmen, die niemals einen deutschen Verleih finden werden, vielleicht nicht verwundern. Dass hingegen Jude Law, der die vermeintliche Hauptrolle in „Final Cut“ spielt, nicht einmal als Zugpferd für die Auswertung herhalten konnte, macht skeptisch. Und tatsächlich sind es wohl auch die enormen dramaturgischen und ästhetischen Schwächen, die „Final Cut“ so lange in der Warteschleife gehalten haben. Jetzt sind sie für jedermann sichtbar auf einer DVD von „Galileo Medien“.

Von einem Film, der im Titel bereits einen produktionstechnischen Begriff enthält, hat man ein gewisses Maß an Selbstreflexivität in der Story zu erwarten. Die bedient „Final Cut“ auch vom ersten bis zum letzten Bild, denn der Film erzählt vom Hobbyfilmer Jude (Jude Law), der jung und offenbar unerwartet verstorben ist, der Nachwelt, das heißt seiner Frau Sadie (Sadie Frost) und seinen Freunden jedoch einen selbstgedrehten Film hinterlassen hat. Die Witwe lädt nun all diese Freunde zur Trauerfeier ein, auf deren Höhepunkt – es soll der letzte Wille des Verstorbenen gewesen sein – sie den Film vorführt. Was sich dann ereignet, hat sich bereits in einigen Cut-ins, die wir, die Zuschauer von „Final Cut“ zuvor schon zu sehen bekommen haben, angedeutet: Nacheinander werden alle Freunde und deren Partner von Jude bloßgestellt. Er filmt sie mit oder ohne dass sie es wissen, auf der Toilette, während sie stehlen, während sie übereinander lästern, während sie sich gegenseitig die Partner auszuspannen versuchen, während sie Verbrechen begehen, beim Geschlechtsverkehr, bei der Masturbation. Reihum wird jeder der Anwesenden Trauergäste vom gezeigten Video kompromittiert, ohne dass er oder sie sich dagegen wehren kann, denn ein kräftiger Freund der Witwe hält jeden, der der Situation entkommen will, mit körperlicher Gewalt im Raum.

Das alles klingt zunächst einmal so, als habe Michael Haneke wieder zu einem Experiment mit seinen Zuschauern aufgerufen. Wir sollen nämlich einerseits Fremdscham mit den (im doppelten Wortsinne) vorgeführten Videoguckern empfinden, andererseits soll uns vor Augen gehalten werden, wie heuchlerisch doch solche vermeintlichen Freundschaften sind, wie sehr jeder doch nur um sich selbst besorgt ist, sobald Dritte es nicht mitbekommen. In jedem von uns steckt im Zweifelsfall ein Dieb, Erpresser oder vielleicht sogar Schlüpferklauer, will uns „Final Cut“ wahr machen. Dass es natürlich bzw. kultürlich ist, dass jeder Mensch ein öffentliches und ein privates Gesicht hat, dass er in verschiedenen Lebenszusammenhängen verschiedene Rollen spielt, also durchaus Masturbator und Sparkassenfilialleiter sein kann, davon will „Final Cut“ nichts wissen, denn dann wäre das Experiment mit dem Zuschauer ja von vornherein gescheitert: Wie glaubhaft wäre schon, mit einem Federstrich über Menschen zu urteilen, die sich nicht einfach in Schwarz und Weiß kategorisieren lassen? Dem Film und dem Experimentator Jude (und dessen Frau, die sich später als seine willige Gehilfin offenbart) kommt es aber gar nicht auf ein komplexes Menschenbild an, sondern darauf, zu provozieren.

„Final Cut“ versagt aber leider nicht nur auf seiner philosophischen Oberfläche, sondern auch in seinen ästhetischen Untiefen. Zunächst ist schon die Situation, in der sich die etwa 10 Gäste zunächst freiwillig, dann unter Androhung der Gewalt eines einzelnen Bewachers aufhalten, bestenfalls hypothetisch. Wer würde sich einer solch konsequenten gesellschaftlichen Demontage freiwillig aussetzen, wenn er doch ahnen muss, dass er der nächste ist und – wie im Fall der diegetischen Videogucker – vielleicht sogar schlimmste und konsequentenreiche Offenbarungen erwarten muss? Selbst als die Zuschauer in der Mitte des Experiments während einer Pause die Möglichkeit haben, die Trauerfeier zu verlassen, zieht sie es unverständlicherweise doch wieder vor den Fernseher zurück. Gleich zu Beginn des Films lässt die Witwe jeden einzelnen von ihnen, noch während er oder sie den Mantel an die Garderobe befördert, einen „Abtretungsvertrag“ unterzeichnen, um sicher zu gehen, dass alle gefilmten Bilder ihrem Verwertungsrecht unterliegen. Es ist nämlich auch ein Kamerateam anwesend, dass das Experiment filmt und „Final Cut“ suggeriert, dass wir den Film dieses Teams zu sehen bekommen. Diese zugegebenermaßen trickreiche mise-en-abyme-Perspektive hält der Film allerdings nicht lange durch, denn als dieses Team mehrfach angegriffen wird, taucht plötzlich eine „dritte“ Kamera auf, die uns diese Angriffe aus auktorialer Perspektive vorführt und damit die Illusion des Dokumentarischen (an der neben der Kamera auch Montage, der fehlende Soundtrack und die Tatsache, dass die Figuren die Vornamen der Darsteller tragen, arbeiten) vernichtet.

Zu welchem Zweck „Final Cut“ letztlich überhaupt produziert wurde, lässt sich kaum raten. Als moralisches Lehrstück ist er durch seine Unterkomplexität und seinen überbordenden Zynismus und den Menschenhass, der sich im immer lächelnden Jude und seiner Frau offenbart, kaum zu ertragen. Die wenigen hier aufgezählten plotlogischen und filmästhetischen Patzer (die Liste ließe sich noch stark erweitern!) reichen bereits, um den Film auch als quasi-dokumentarisches Experiment ungenügend erscheinen zu lassen. Es ist wohl letztlich doch nur eine Provokation, die „Final Cut“ anstrebt. Eine Provokation der Intelligenz seiner Zuschauer, die das Spiel freiwillig mitspielen, denen Regeln egal sind und die sich damit begnügen können ohne Grund gleich von Beginn an als die Verlierer dieses Spiels hingestellt zu werden. Ein seltsames Spiel.

Final Cut
(UK 1998)
Regie & Buch: Cominic Ancianos & Ray Burdis; Kamera: John Ward; Schnitt: Sam Sneade; Szenenbild: Sabina Sattar; Kostüme: Ali Brown
Darsteller: Ray Winstone, Jude Law, Sadie Frost, John Beckett, William Scully u. a.
Länge: 93 Minuten
Verleih: Galileo Medien

Zur DVD von Galileo

Angesichts der Anmutung des amateurhaften Dokumentarischen, das der Film auszustrahlen versucht, lässt sich über die Bild- und Tonqualität nur wenig sagen. Beide sind schlecht – so schlecht, wie es sich für eine auf technische Authentizität heischende Mockumentary gehört. Da der Film inhaltlich und formal aber nun kaum zu bestechen weiß, hilft leider auch kein Rückzug auf die Bild- und Tonebene, um sich am vielleicht Restschönen zu erfreuen.

Die Ausstattung der DVD im Einzelnen:

Bild: 16:9 (1,78:1)
Ton: Deutsch, Englisch (DD 5.1)
Untertitel: Deutsch
FSK: ab 16 Jahren
Preis: 14,45 Euro

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