Kreuzberger Kleinkunst

Frank Behnke (Hrsg.): Das System Klaus Beyer, Berlin: Martin Schmitz Verlag 2003

D.I.Y., also “Do it yourself”, ist nicht nur Parole und Glaubensbekenntnis ungezählter Flanellhemdträger mit Heimwerker-Ambitionen, es ist auch Kampfbegriff und identitätsstiftendes Moment jener Punk-Subkultur, die, jenseits von Kommerz und Major Labels, totale Kontrolle über das eigene Werk als Ideal formuliert. An Platten alleine hält sich das nicht auf: Selbstkopierte Fanzines, oft liebevoll mit Uhu und Schere gestaltet, ungewöhnliche Plattencover aus selbstbedrucktem Jutestoff oder gleich aus Pappe selbstgefaltet bis hin zum im Wohnzimmer veranstalteten Konzert sind die Markenzeichen jener Bewegung. Im Jahr 1978, dem Jahr als die erste große kommerzielle Punkwelle zusehends degenerierte (und somit letztendlich auch den ersten Nährboden für den folgenden Underground stellte), sollte auch ein zweites Großereignis der Geschichte der D.I.Y.-Kultur stattfinden, weitab von Punk und Jugendrebellion allerdings: Klaus Beyer, gelernter Kerzenwachszieher, bezieht in Kreuzberg eine Ein-Zimmer-Wohnung.

Diese sollte sich in den folgenden Jahren zum Entstehungsort unzähliger Kleinkunstwerke gerieren, darunter Dutzende Super8-Videos, denen die charakteristische 70er-Tapete zur Kulisse diente. Weil seine Mutter kein Englisch verstand, begann Klaus Beyer Songs der Beatles merkwürdig zwar, aber an sich stimmig einzudeutschen und sang diese ein: „Es sollte sich reimen“, so Beyer. Weil er zu der Musik noch ein Bild vermitteln wollte, drehte er kurzerhand mit seiner Kamera Videos dazu: Die Kulissen bastelte er selbst, wie er auch alle Rollen übernahm. Der Rest ist Legende: Im Berliner Frontkino entdeckte die damals sehr vitale Super8-Szene der Alternativ- und Punkkultur, der auch Regisseur und Filmkritiker Jörg Buttgereit entspringen sollte, die unbekümmerten Filme, es folgten die Documenta in Kassel, TV-Auftritte und Konzerte im ganzen Land: Mit seiner im besten Sinne des Wortes naiven Kunst wurde Beyer schnell Kult und obendrein Vaterfigur der in Berlin Mitte bis Ende der Neunzigerjahre überaus angesagten Wohnzimmerkonzert-Szene. Beyer blieb auf dem Boden und Kerzenwachszieher obendrein und lebt auch heute noch, wenn auch mittlerweile arbeitslos, in seiner Ein-Zimmer-Wohnung. Nur die Tapete ist mittlerweile weiß. Damit er einen neutralen Hintergrund für Aufnahmen habe, wie er meint. Unlängst beging man im Berliner Brotfabrikkino seinen 50. Geburtstag.

Zu diesem Ereignis erschien im Martin Schmitz Verlag „Das System Klaus Beyer“, in erster Linie eine Sammlung von Gesprächen von, wenn man so will, Fans und, zumindest entfernt, Geistesverwandter mit Klaus Beyer und seinem langjährigen Manager wie auch Herausgeber des Buches, Frank Behnke: Jörg Buttgereit, Christoph Schlingensief und der Journalist Detlef Kuhlbrodt stellten sich jeweils für ein „Kaffeekränzchengesprächen“ (Verleger Schmitz) ein. Des weiteren finden sich Reproduktionen von Beyers handcolorierten Schwarzweißfotografien (darauf meist zu sehen: er selbst, wie sich überhaupt alles immer um die Person Beyer dreht) und selbstgemaltem und –gebasteltem Artwork, das auch vor kurzem in einer Ausstellung in Berlin zu sehen war, wie auch einige Texte aus Beyers akribisch geführtem Konzert-Tagebuch.

Dankenswerterweise hat man die Gespräche nicht einfach nur protokolliert, sondern – ähnlich der Vorgehensweise bei einem Dokumentarfilm, vielleicht ja aber auch an Beyers Collagen-Ästhetik selbst angelehnt – wesentliches ausgeschnitten und aneinander montiert: Zu gut zwei Dutzend Schlagworten, wie etwa Liebe, Kunst oder Wohnung, finden sich kurze Gesprächsfragmente, in denen, das ist das interessante, meist eher die Gesprächspartner über sich selbst und ihr Verhältnis zu Klaus Beyer sprechen, als dass Beyer selbst der Interviewte ist. Beyer beschreibt sich selbst als ruhigen Menschen und die Gespräche unterstreichen dies: Oft ist es nur ein kurzer Satz, eine Bestätigung oder kleine Relativierung, die er einbringt, gefolgt von absatzlangen Gedankengängen seiner Gegenüber. Ein sympathischer, uneitler Eindruck, der dem Idealbild vom Künstler, der sein Werk nicht erklärt, sehr nahe kommt. So ist es, neben den schön anzusehenden Reproduktionen natürlich, das Spannende an diesem Buch, dass etablierte Künstler wie Schlingensief und Buttgereit, die ähnliche Wurzeln aufweisen wie Beyer, sich selbst und ihr Werk zum „anderen Universum des Klaus Beyer“ (so der Titel einer Dokumentation) in Bezug nehmen, Gemeinsamkeiten in Herangehensweise, Schaffungsprozess und Intention feststellen (oder aber im einzelnen auch nicht) oder aber Bezüge in der Kunstgeschichte aufdecken, die dem unbekümmerten Kreuzberger noch nicht einmal oder kaum bekannt sind: Buttgereit zieht John Waters und Andy Warhol heran, Schlingensief, der selbst schon mehrfach mit Beyer gearbeitet hat, verweist auf Méliès. Nur Kuhlbrodt ist weit weniger verkopft und ist schlicht und ergreifend guter Bekannter und langjähriger Fan. Auch das ist im Rahmen des Buchs gewiss nicht ohne Reiz.

Eine kleine Welt tut sich beim Lesen auf, bestehend aus 70er Jahre Panorama-Tapeten, bemalten Bettlaken, Plattenspielern aus orangem Plastik und der naiven Gemütlichkeit von verschmitzt in Hosen steckenden Kragenhemden und Pantoffeln. Dies alles aber ohne den beißenden Zynismus des White Trash, ja selbst Trash ist, paradoxerweise, nur ein unzulänglicher Begriff für Klaus Beyers oft schon solipsistisch anmutende Arbeiten, die sich zwar aus ganz ähnlichen Quellen des 70er Jahre Universums speisen wie etwa die Retro-Filme Wenzel Storchs, von deren oft bemüht wirkendem Appeal aber weit entfernt sind. Mit dem Begriff des „System Klaus Beyer“ hat Schlingensief das Phänomen wohl in der Tat gelungen umrissen. Man muss Klaus Beyer einfach mögen, bzw. ernstnehmen.

Frank Behnke (Hrsg)
Das System Klaus Beyer
Berlin: Martin Schmitz, 2003
128 Seiten, zahlreiche Abbildungen
24,50 Euro

Thomas Groh

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