Mash up oder deutsche Strenge

„Mash Up“ war das Motto des diesjährigen European Media Art Festivals in Osnabrück. Gemeint ist damit die Collage und Vermischung vorhandener Medienbilder, was dann zu einem eigenen ästhetischen, satirischen und subversiven Stilmittel wird. Bemerkenswert jedoch, dass sich gerade mehrere deutsche Filmemacher mit ihren neuen Werken genau diesem Mash Up weitgehend entzogen und ihren individuellen Stil fortgeführt haben.

Käfig

An erster Stelle ist hier Karl Kels zu nennen, dessen neuester Film „Käfig“ wieder ein ebenso konsequenter wie überzeugender Beitrag im Bereich des Strukturellen Films ist. Kels, der einst bei Peter Kubelka in Frankfurt studiert hat, bleibt auch in seiner neuesten Arbeit seiner Linie treu, obwohl der Strukturelle Film heute eher ein Randdasein fristet. In „Käfig“ verwendet Kels wie in einem früheren Film („1987 Karl Kels“, auch: „Nashörner“) Aufnahmen aus dem Nashorngehege im Frankfurter Zoo. Das ursprüngliche Material besteht aus zwei Einstellungen, aufgenommen auf 35mm Schwarzweißfilm. Die zunächst einmal völlig unspektakulären Aufnahmen wurden mittels einer komplexen, metrischen Montage aufgebrochen. Diese Montage beruht auf 3360 Einzelschnitten bei einer Gesamtlänge des Films von gerade mal 14 Minuten. Während sich auf dem ursprünglich „dokumentarischen“ Ausgangsmaterial ein Nashorn durch seinen Käfig bewegt, werden Negativbilder dazwischen geschnitten, die dem Film jeglichen dokumentarischen Charakter nehmen und die Aufmerksamkeit auf die Struktur des Filmstreifens lenken. Durch die Wirkung der neu montierten Bilder wird „Käfig“ zu einem faszinierenden ästhetischen Erlebnis und ist gleichzeitig eine intellektuelle Herausforderung, wenn der Zuschauer versucht, die metrische Struktur des Films zu durchschauen.

Materia Obscura

Nicht weniger konsequent als Karl Kels verfolgt auch Jürgen Reble seit Jahrzehnten seinen Weg. 1983 begann er als Mitglied der Gruppe „Schmelzdahin“ seine Arbeit als „Film-Alchemist“. Schon damals wurde die Emulsionsschicht von gefundenem oder selbst gedrehtem Material unterschiedlichen Zersetzungsprozessen zum Beispiel durch Algen oder Bakterien ausgesetzt und neu kopiert. In seinem neuen Film „Materia Obscura“ greift Reble auf Auszüge aus seinem Film „Instabile Materie“ von 1995 zurück. Dessen Ausgangsmaterial waren handentwickelte 16mm-Filmstreifen, die der Filmemacher mit Chemikalien überhäuft hatte. Was dabei entstanden ist, bezeichnet Reble als „Chemogramme“ bei denen die verwendeten Substanzen, überwiegend Salze, zum Bildinhalt wurden. Endgültig an der optischen Bank komponiert entstand so eine Reflexion über die chemisch/physikalische Beschaffenheit des Filmmaterials. Die nun ausgewählten Auszüge wurden von Reble Bild für Bild am Computer digitalisiert und damit hat er in „Materia Obscura“ zwei zunächst einmal disparate Ebenen miteinander verknüpft. Auf der einen Seite das ursprüngliche, als Material fassbare Zelluloid, auf dem Bilder erst durch den chemischen Prozess der Entwicklung sichtbar werden und auf dem Reble sogar einen chemischen Prozess per se festhält, auf der anderen Seite der Prozess der Digitalisierung, der sich gerade der materiellen Fassbarkeit entzieht. Wie man sich vorstellen kann, ist das Ergebnis ganz eigenwillige, ungewohnte, abstrakte Bilder, mit denen Reble so etwas wie eine Morphologie der Filmemulsion präsentiert. Vom ästhetischen Standpunkt aus bleibt jedoch anzumerken, dass die Digitalisierung die Bilder glättet und einiges von der berauschenden Faszination der ursprünglichen Filmbilder nimmt.

Weniger konsequent in der Fortführung seiner bisherigen filmischen Arbeit scheint auf den ersten Blick Florian Krautkrämer mit seinem neuesten Film „Beine Brechen“. Nach seinen rauen früheren Experimenten ist dies ein Film, der mit überraschend glatten Bildern und einer handfesten Handlung daher kommt. Mit Schauspielern sauber inszeniert sehen wir einen Mann (Lars Rudolph), der sich in seine eigene Welt zurückgezogen hat und nicht auf die widrigen Umstände seiner Umgebung reagiert. Als er selbst vom Schicksal in eine repressive Situation verwickelt wird, zeigt sich seine Unfähigkeit zur Reaktion und seine Sprachlosigkeit. Und hierfür findet Krautkrämer seine originäre, experimentelle Form der Inszenierung. „Beine Brechen“ ist ein Stummfilm, nicht aber ohne Dialoge. Was zu sagen ist, wird in schriftlichen Einblendungen mitgeteilt. Nicht als Zwischentitel wie im klassischen Stummfilm, sondern als direkte Einblendung im Bild. Und sie sind nicht starr, sondern tauchen passend zur Situation plötzlich auf, werden größer, durchstreifen den filmischen Raum und verschwinden wieder. Was zunächst durch den Bruch mit den spielfilmhaften Sehgewohnheiten irritiert, zwingt schließlich zu einem genauen Hinsehen. Die Texte bleiben nicht erläuterndes Beiwerk, sondern werden mit ihrer ausgeprägten Typografie zum festen Bestandteil der bildhaften Inszenierung und verleihen dem Film seinen ganz eigenen ästhetischen Charakter. Es ist „bemerkenswerte filmische Prosa“ wie es in der Begründung der Filmbewertungsstelle zur Vergabe des Prädikats „Besonders Wertvoll“ heißt. Und mit diesem ästhetischen Stilmittel bleibt Florian Krautkrämer seinem großen Thema „Schrift im Film“ treu, das er sowohl als Filmemacher, als auch als Publizist und Dozent erkundet.

Ebenfalls kein ausuferndes „Mash Up“, sondern eher Beschränkung auf ein Stilmittel betreibt Timo Schierhorn in seinem Film „Nacht um Olympia“, der vom Verband der deutschen Filmkritik als bester deutscher Experimentalfilm ausgezeichnet worden ist. Es ist die Geschichte einer Spurensuche, nachdem der Filmemacher in einem Dokumentarfilm über die Olympischen Spiele 1972 in München seinen früh verstorbenen Vater zu entdecken meinte. Entwickelt wird nun dessen Biografie mit Alltagsszenen aus dem Leben der Eltern, sowie historischen Aufnahmen. Was wie die Sichtung und Ordnung privater Homemovies wirkt, ist jedoch fiktive Inszenierung. Der Filmemacher selbst schlüpft in die Rolle seines Vaters, lässt die Alltagsszenen von Bekannten nachspielen und montiert sie mit auf Ebay ersteigerten Privatfilmen. Die scheinbar objektivierbare Erinnerungsarbeit ist in Wirklichkeit die Inszenierung einer Kunstfigur. Dies gelingt Schierhorn sowohl inhaltlich als auch formal in überzeugender Manier, so dass „Nacht um Olympia“ über seine eigene Geschichte hinaus weist. Was sind medial festgehaltene Erinnerungen wert, wie weit sind sie objektivierbar und bilden tatsächlich die Realität ab?

Reinhard Westendorf & Holger Tepe

Hierzu passte auch die erste öffentliche Vorführung der Super8-Filme von Reinhard Westendorf und Holger Tepe, die diese über Jahre hinweg im Umfeld des früheren Internationalen Experimentalfilm Workshops, heute European Media Art Festivals gedreht haben. Sind die frühen Filme von Westendorf zum Teil noch kurze Inszenierungen, hat Tepe einfach die Kamera drauf gehalten – auf, in seinen eigenen Worten, „Eröffnung, Preisverleihung, Abschlussfeier“ – und nicht weiter bearbeitet. Filmisch sind dabei keine Highlights zu erwarten und dennoch haben diese Filme gerade im Kontext mit der teilweise hochtechnisierten Medienkunst ihren Stellenwert. Sie sind rau und ursprünglich wie viele der frühen Experimentalfilme, als die Möglichkeiten der digitalen Medien noch nicht denkbar waren. Für die Festivalmacher sind sie Dokumente, tauchen doch die immer gleichen Rituale und Personen auf oder verschwinden im Laufe der Jahre. Aber dennoch sind sie keine Dokumentationen, erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit oder hinterfragen und reflektieren nicht. Aber sie zeugen von der puren Lust am Filmemachen und vom Verschwinden eines Mediums, nachdem KODAK, der wichtigste Hersteller von Super8-Filmen die Entwicklung eingestellt hat.

Johannes C. Tritschler

Eine Antwort auf „Mash up oder deutsche Strenge“

  1. Klingt sehr interessant. Wo gibt es die DVD denn zu kaufen? Ich konnte auf der emaf Seite keinen entsprechenden Link finden.

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