Fantasy Filmfest 2011: Meine Stadt, mein Bezirk, mein Block

Nachts toben in den Straßen Londons Chaos und Gewalt. Im britischen Horror-Spaß „Attack the Block“ liegt das allerdings weniger an Polizeigewalt, Sozialkürzungen und jugendlicher Perspektivlosigkeit, sondern an Aliens. Schwarze, stark behaarte Aliens, die – um vom einen Ende des Kino-Spektrums zum anderen zu springen – vage an den Geist aus Apichatpong Weerasethakuls metaphysischem Kunstfilm „Uncle Boonmee who can recall his past lives“ erinnern. Aliens, die messerscharfe illuminierte Reißzähne sowie bläulich leuchtende Augen haben und sich auf der Erde einnisten wollen. Diese Wesen, die der lokale Drogendealer treffend als „big alien-gorilla-wolf- motherfuckers“ bezeichnet, haben es auf den jugendlichen Gang-Leader Moses (John Boyega) abgesehen, weil der einem der ihren den Garaus gemacht hat. Und so müssen Moses und seine Crew aus Möchtegern-Gangstern plötzlich ihren Plattenbau-Block in den ärmlichen Randbezirken der Stadt gegen die Invasion der Außerirdischen verteidigen. „Fantasy Filmfest 2011: Meine Stadt, mein Bezirk, mein Block“ weiterlesen

Berlinale 2011 – Far, far from Bollywood

In „Gandu“ vom indischen Regisseur Q (bürgerlich: Kaushik Mukherjee) tauchen etwa 20 Minuten vor dem Ende bereits die Credits auf, ebenso wie Q selbst – und zwar als Q, der in diesem Film über den Jugendlichen Gandu gerade einen Film über den Jugendlichen Gandu dreht. Neben dem Leser dieser Kritik verwirrt jene Meta-Ebene auch Gandu (Anubrata) einigermaßen. Was aber auch daran liegen mag, dass Gandu, dessen Namen man als ‚Arschloch‘ oder ‚Wichser‘ übersetzen kann, gerade eine ordentliche Portion halluzinogener Drogen zu sich genommen hat. Die hypnotische Visualisierung dieses Rausches greift – wie bei der Nahtoderfahrung in Gaspar Noés „Enter the Void“ – tief in die Trickkiste experimenteller Techniken und ist sinnlich ähnlich beeindruckend wie bei Noé. Wenn der kleinkriminelle Gandu gerade nicht weiblichen Derwischen in seiner von Drogen belebten Fantasie begegnet, schaut er Pornos, masturbiert oder schmeißt in wütenden Rap-Texten mit sämtlichen ihm bekannten Schimpfwörtern um sich. Der restriktiven indischen Zensur wird das ebenso wenig gefallen wie einem einsamen, moralisch empörten Zuschauer aus Indien beim Berlinale-Screening. Für zahlreiche andere Publikumsgruppen – frustrierte Jugendliche, sozial-realistische Cineasten, Freunde des Schwarz-Weiß- und Experimentalfilms – ist „Gandu“ hingegen eine großartige Entdeckung. „Berlinale 2011 – Far, far from Bollywood“ weiterlesen

Berlinale 2011 – Bärenstark

Wahrheit und Schuld – um diese beiden zentralen Themen geht es in Asghar Farhadis brillantem Drama „Nader and Simin, A Separation“ („Jodaeiye Nader az Simin“). Die Wahrheit wird sich – wie in Akira Kurosawas Klassiker „Rashomon“ – als eine Frage der Perspektive erweisen. Oder anders gesagt: Als ein Puzzle, dessen einzelne Teile zusammen kein kohärentes Bild ergeben. Die Schuldfrage wiederum gestaltet sich zunehmend unentscheidbarer: In „Nader and Simin, A Separation“ gibt es nicht einfach nur gerechtfertigte oder kriminelle Handlungen, sondern auch solche, die zugleich gerechtfertigt und kriminell sein mögen. Das Justizsystem, welches über Recht und Unrecht zu entscheiden hat, offenbart angesichts solcher Veruneindeutigungen seine fundamentale Unfähigkeit, eine offene, vielschichtige Wirklichkeit nach rigide vorformulierten Paragraphen zu beurteilen. „Berlinale 2011 – Bärenstark“ weiterlesen

Berlinale 2011 – Disconnected

Die Eltern des etwa 17-jährigen Emo-Jungen Dominik (Jakub Gierszal) sind erfolgreich, wohlhabend und attraktiv. Nur eines sind sie nicht: gute Eltern. Ihr rasanter beruflicher Aufstieg geschieht auf Kosten einer immer schwächer werdenden Verbindung zu ihrem Sohn. Dass er die Schule schwänzt, weil er dort wegen seiner homosexuellen Neigungen gemobbt wird, bemerken sie ebenso wenig wie, dass die Online-Community ‚Suicide Room‘ für ihn zum Familienersatz wird. Als Dominik sich tagelang in seinem Zimmer einschließt, reißt der Vater das DSL-Kabel aus der Wand und kappt damit auch die emotionale Verbindung komplett. Dominik kann sein Internet-Forum nicht mehr betreten und droht in seiner Verzweiflung sein Zimmer zum ‚Suicide Room‘ zu machen. Aus dem geltungssüchtigen Spiel der mit ihren vermeintlichen Selbstmordabsichten kokettierenden User wird bitterer Ernst, als Dominik tatsächlich den finalen Logout versucht. „Berlinale 2011 – Disconnected“ weiterlesen

Berlinale 2011 – Mit Brecht die Illusion brechen

„Folge mir“, ein experimentelles Drama über den in völliger Apathie und Verwahrlosung endenden Zerfall einer scheinbar normalen Familie, dürfte Freunden avantgardistischer Schauspiel-Theorien gefallen – und wahrscheinlich auch fast nur diesem Zuschauer-Typus. Johannes Hammels Film merkt man die beinahe jugendlich wirkende Freude am Austoben seiner Vorstellungen von ästhetischen Provokationen deutlich an. Weder der Plot noch die Schwarz-Weiß-Bilder sind die zentralen Elemente von „Folge mir“, sondern die zahlreichen Irritationen und Verfremdungen. Dieses ständige ironische Augenzwinkern ist nicht nur anstrengend, es wirkt auch ziemlich angestrengt. „Berlinale 2011 – Mit Brecht die Illusion brechen“ weiterlesen

Berlinale 2011 – Teacher in the Twilight

Das Vampirfilm-Genre ist seit dem Erfolg einer christlich-konservativen Filmreihe in den Augen von Cineasten ziemlich diskreditiert worden. Viel mehr kann man der Figur des immer schon erotisch konnotierten Vampirs nicht schaden, als wenn sie man als trojanisches Pferd für eine sexualfeindliche Askese-Ideologie instrumentalisiert. Shunji Iwais poetisches Drama „Vampire“ trägt zur Rehabilitation der auf Zelluloid gebannten Blutsauger bei, hat aber an sich wenig mit dem Horrorgenre und noch viel weniger mit Vampirmythologie gemeinsam. Stattdessen rückt Iwai („All about Lily Chou-Chou“, „Swallowtail Butterfly“) den Vampir aus der Sphäre des Übernatürlichen heraus und erdet ihn – wie George Romeros „Martin“ oder Claire Denis‘ „Trouble every day“ – durch Vermenschlichung. „Berlinale 2011 – Teacher in the Twilight“ weiterlesen

Berlinale 2011 – Konventionellerweise unkonventionell

Oliver Tate (Craig Roberts) ist ziemlich gut in der Schule, was sich folgerichtig in einem nicht besonders guten Ruf niederschlägt. Abends liest er in Wörterbüchern oder stellt sich vor, wie die Welt reagieren würde, wenn er stürbe. Geht es auf dem Schulhof einmal ruppig zu, ist der intellektuell überentwickelte 15-Jährige meist der Unterlegene. Auch in sozialen Situationen wirkt der etwas verklemmte Junge nicht immer souverän. Diese Mischung aus geistigem Überflieger und emotionalem Analphabeten nutzt „Submarine“ als Basis für viel Situationskomik und Wortwitz. „Berlinale 2011 – Konventionellerweise unkonventionell“ weiterlesen

Berlinale 2011 – Ein Film für Inner- und Außerirdische

„Life in a Day“ ist auf den ersten Blick ein Vorzeigekind des Web 2.0. Am 24. Juli 2010 begleiteten Tausende Menschen aus aller Welt ihren Alltag mit einer Kamera. Die Online-Plattform Youtube hatte dazu aufgerufen – mit dem Ziel, aus den Clips einen Dokumentarfilm über das menschliche Leben an sich zu gestalten. Das klingt sehr demokratisch und selbstbestimmt. Allein, bei über 4.500 Stunden Videomaterial aus 192 Ländern bedarf es eines Mitarbeiterstabs, der all die Einsendungen sichtet, daraus Szenen willkürlich und autoritär auswählt und schließlich zu einem inhaltlich kohärenten Werk montiert. Diese Arbeit hintergeht einerseits die Ideale des Web 2.0, ist aber zugleich die größte Leistung von „Life in a Day“. Dem Team um Regisseur Kevin MacDonald, Produzent Ridley Scott (Regisseur von „Alien“, „Blade Runner“) und Cutter Joe Walker ist es gelungen, aus der unübersichtlichen Bilderflut einen zusammenhängenden 95-minütigen Kinofilm zu machen. „Berlinale 2011 – Ein Film für Inner- und Außerirdische“ weiterlesen

Britspotting 2011 – Wolfzeit

Im Ausnahmezustand gibt es weder Recht noch Unrecht, da alle Gesetze wirkungslos sind und durch die Willkürherrschaft des Stärksten ersetzt werden. Das Ordnungsprinzip einer zusammen gebrochenen Gesellschaft beruht nicht mehr auf sozialem Status, moralisch gebundenen Verhaltensregeln und dem Primat des Intellekts – was zählt, ist allein die physische Stärke, die Fähigkeit zur Ausübung von Gewalt und Zwang. In Conor Horgans post-apokalyptischem Drama „One Hundred Mornings“ ist dieser Zustand eingetreten: Thomas Hobbes‘ Kampf aller gegen alle hat begonnen, die Menschheit ist zum längst überwunden geglaubten Sozialdarwinismus zurück gekehrt. Survival of the fittest, so heißt das neue, uralte Gesetz. „Britspotting 2011 – Wolfzeit“ weiterlesen

Mash up oder deutsche Strenge

„Mash Up“ war das Motto des diesjährigen European Media Art Festivals in Osnabrück. Gemeint ist damit die Collage und Vermischung vorhandener Medienbilder, was dann zu einem eigenen ästhetischen, satirischen und subversiven Stilmittel wird. Bemerkenswert jedoch, dass sich gerade mehrere deutsche Filmemacher mit ihren neuen Werken genau diesem Mash Up weitgehend entzogen und ihren individuellen Stil fortgeführt haben.

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Serbien, postapokalyptisch

Marko ist ein junger, ambitionierter Filmschüler und will eigentlich Kunstfilme machen. Nicht als gefälliges Arthousekino, sondern in Horror- und Science-Fiction-Stoffe verpackt die nationalen Mythologien Serbiens erkundend. Natürlich findet er für seine ehrgeizigen Projekte keine Finanziers, und so nimmt er, was er bekommen kann: zunächst einmal das Geld des schmierigen Pornoproduzenten Cane. Damit inszeniert er einen surreal-prätentiösen Kunstpornofilm, der bei seinem Auftraggeber und dessen Kompagnon, einem skrupellosen Polizisten, auf wenig Begeisterung stößt. Marko wird gefeuert, bedroht und schließlich brutal zusammengeschlagen. Darauf entschließt er sich zu einem Medienwechsel und begründet das erste serbische Porno-Theater. Noch während der Premiere von der Polizei zerschlagen, entschließt sich die bunte Truppe um Marko herum schließlich, auf Tournee durch die Dörfer des ländlichen Serbiens zu gehen.

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