Winnipeg als Wille und Vorstellung

Die Stadt Winnipeg muss eine wahrlich bedrückende Atmosphäre ausstrahlen. Wenn wir dem (stets äußerst zuverlässigen) Erzähler Guy Maddin glauben, so hat sie mehrfach ihren Titel als ‚traurigste Stadt der Welt‘ verteidigt und beherbergt „zehnmal mehr Schlafwandler als irgendeine andere Stadt“. Ewige Dunkelheit und Kälte lasten schwer auf den Seelen der Einwohner. Kein Wunder also, dass die Hauptfigur des Films – rein zufällig ‚Guy Maddin‘ heißend, genau wie der Regisseur des Films, der auch den Voice-Over-Kommentar einspricht – in einem Zug-Abteil sitzt, um dieser Stadt endlich zu entfliehen. Dieser Stadt, in der Guys dominant-tyrannische Mutter lebt und in der all seine Lieblingsorte zerstört worden sind. Doch Guy entgleitet während der Fahrt in den Schlaf, flüchtet – wie es unter Winnipegern üblich ist – vor der Realität der Stadt in die schönere Welt des Traums. Kindheitserinnerungen bemächtigen sich seiner und übertünchen die oberflächliche Abneigung gegen die Stadt mit Nostalgie. Die affektiven Bindungen an die Heimat, die oftmals einen nicht zu unterschätzenden Teil unserer Identität ausmachen, halten Guy in der Stadt gefangen.Es gibt für ihn nur einen Ausweg: „Ich muss meinen Weg hier raus filmen.“

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Mash up oder deutsche Strenge

„Mash Up“ war das Motto des diesjährigen European Media Art Festivals in Osnabrück. Gemeint ist damit die Collage und Vermischung vorhandener Medienbilder, was dann zu einem eigenen ästhetischen, satirischen und subversiven Stilmittel wird. Bemerkenswert jedoch, dass sich gerade mehrere deutsche Filmemacher mit ihren neuen Werken genau diesem Mash Up weitgehend entzogen und ihren individuellen Stil fortgeführt haben.

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Kurzrezensionen Februar 2010

TV-Debatten

Das Fernsehen ist ideen- und technikgeschichtlich gesehen älter als das Kino. Sieht man von den „Live-Übertragungen“ der Laterna Magica einmal ab, so hat sich schon kurz nach Erfindung der Telegrafie die Überlegung entwickelt, nicht nur Sprache, sondern auch Bilder zu übertragen. Über diesen Umstand ist in der ausländischen wie deutschsprachigen Fernsehwissenschaft viel publiziert worden und es existieren zahlreiche Bände mit mittlerweile kanonischen Schriften zur Fernsehtechnikgeschichte. Dass sich neben dieser materiellen Forschung auch eine inhaltliche entwickelt hat, zeigt der Reclam-Band „Texte zur Theorie und Geschichte des Fernsehens“ jetzt anhand von 25 Beiträgen, die zwischen 1910 (!) und 1997 erschienen sind. Besonders interessant ist die ästhetisch-ideologischen Debatte in den 1950er und 1970er Jahren in Deutschland verlaufen, deren Protagonisten von Adorno (1953) bis Enzensberger (1970) das Medium mal als kulturelle Katastrophe, mal als Chance zeichnen. Die teilweise irrationale und erhitzte Debatte fand natürlich ebenso im Ausland statt, wie die Beiträge von Neil Postman (1985) oder Pierre Bourdieu (1996) zeigen. Man lernt im Durchgang durch die Geschichte der Fernsehtheorie also nicht nur viel über das Medium und seine Ästhetiken, sondern auch über die Ängste davor und dessen kulturellen Impetus. Metahistorische Beiträge, die diese ideologisch-ästhetischen Debatten wieder an die Technikgeschichte des Mediums zurück binden, wie sie etwa durch den Medienwissenschaftler Wolfgang Hagen geführt wurden, vermisst man allerdings. Hagen hat seinen Auftritt im Band lediglich als Interviewpartner mit Niklas Luhmann (1997).

Michael Grisko (Hg.): Texte zur Theorie und Geschichte des Fernsehens. Stuttgart: Reclam 2009. 343 Seiten (Paperback), 9,80 Euro. Bei Amazon kaufen.

(SH)

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