Entdeckt der „deutsche Film“ die Familie? Einige Jugend-Filme der letzten Zeit könnten ein Hinweis darauf sein. Auch Drehbuchautor und Schriftsteller Chris Kraus (Drehbücher u.a. zu „Der Einstein des Sex“, „Liebesluder“) beschäftigt sich in seinem neuesten Werk mit der Familienbande. Im Mittelpunkt des Scherbentanzes, einem Tanz auf heißen Kohlen, bei dem sich alle kräftig verbrennen, steht der Modedesigner und Rockträger Jesko (Jürgen Vogel), Mitte 30, der an Krebs erkrankt ist und nur durch eine Knochenmarkspende eines nahen Familienangehörigen eine Chance auf Leben hätte. Sein älterer Bruder Ansgar (Peter Davor) und beider Vater Gebhard (Dietrich Hollinderbäumer) haben die verwahrloste und verwirrte Mutter der Familie Käthe (Margit Carstensen) durch einen Detektiv suchen lassen und gefunden. Sie scheint Jeskos einzige Chance – in einer Familie, deren Geschichte von tragischen Ereignissen überhäuft zu sein scheint.
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We all come from something like that
„Wie geh ma vor?“ „Vorgehn is scho folsch“, antwortete Josef Hader in „Komm süßer Tod“ (2000) als Rettungsfahrer seinem Kollegen. Hader spielt gerne und gut den Unsympathischen, der für andere Null Interesse zeigt, mal übel gelaunt, mal stur, meist beides. So spielte er auch in „Indien“ (1993). In Andrea Maria Dusls „Blue Moon“ ist Hader auch nicht gerade gut drauf. Als Geldbote Johnny Pichler, der einem dubiosen Mafiosi zu wenig Geld, weil zu spät überbringt, wird er in dessen Super-Schlitten verfrachtet. Der Edel-Prostituierten Shirley (Viktoria Malektorovych), die zwar einen amerikanischen Namen trägt und sich auch so kleidet, aber aus der Ukraine stammt, verdankt Pichler dann eine Reise. Sie setzt den Mafiosi kurz entschlossen mit „Kampfgas“ aus dem Spraydöschen außer Gefecht und flüchtet mit Pichler gen Osten.
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A New Age Hero?
James Bond oder XXX? Ist das hier die Frage? Heiß diskutiert wird sie jedenfalls. Und tatsächlich hat sich Rob Cohen („The Fast and the Furios“, 2001) mit „XXX“ eng an der Machart der James-Bond-Filme orientiert. Ende November wird man einen zusätzlichen zeitnahen Vergleich haben, wenn Pierce Brosnan in „Stirb an einem anderen Tag“ die Bond-Serie fortkämpfen wird. Die Urteile der Bond-Fans sind jedenfalls teilweise schon jetzt hart. James Berardinelli meint etwa, im Vergleich zwischen „XXX“ und Bond wirkten die Drehbücher der Kult-Serie wie Shakespeare, während „XXX“ vor allem Kasse machen wolle.
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Die Lücke in der Viererkette
Nein, mit dieser Geschichte wäre Andreas Dresen niemals an Gelder für sein Filmprojekt gekommen. Interesse am Alltag zweier befreundeter Pärchen um die vierzig, bei denen plötzlich ein einseitiger, geheimer Partnertausch stattfindet? Wer hat das schon. Aber weil Dresen sich von seiner Vision nicht abhalten lassen wollte und (von seinen Erfolgen mit „Nachtgestalten“ und „Die Polizistin“) noch ein wenig Geld übrig hatte, wurde dann doch gefilmt. Ohne Drehbuch, ohne technischen Schnickschnack, dafür mit offenem Ausgang. Und jetzt das: Silberner Bär auf der Berlinale, zum Kinostart größtmögliche Präsenz in den Feuilletons und mit seinen Produktionskosten von nur 600 000 Euro wohl ein richtig gutes Geschäft. Dabei klingt das, was der Film zu erzählen hat, nun wirklich alles andere als aufregend.
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Gegen den Strich
Lang ersehnt, heiß erfleht. Die beiden (meines Erachtens) führenden US- amerikanischen Filmkritiker Roger Ebert und James Berardinelli loben Spielbergs Sciencefiction (einschließlich Hauptdarsteller Tom Cruise) in den höchsten Tönen. Beide vergeben Höchstpunktzahlen, was bei ihnen nicht allzu oft vorkommt. Ebert schreibt, Spielberg habe „Minority Report“ mit Hilfe (!) der neuen technischen Möglichkeiten inszeniert, während andere Regisseure diese Technologien zum Inhalt ihrer Filme machten. Spielberg sei ein Meister der neuen Techniken des Films, aber er setze ausschließlich auf Geschichte und Charaktere.
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Krieg – Photographie – Gewissen
»Mein größtes Problem als Fotograf des Krieges ist,
dass ich vom Elend anderer profitieren könnte.
Dieser Gedanke verfolgt mich. Ich schlage mich
tagtäglich damit herum, weil ich weiß,
dass ich meine Seele verkaufen würde,
wenn ich jemals Karriere und Geld Herr
werden ließe über mein Mitgefühl«
(James Nachtwey)
»Ich weiß nicht, was ihn wirklich antreibt«
(Christiane Amanpour, Chefkorrespondentin CNN)
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Die Todsünden des Historienschinkens
Es gibt Filme, bei denen man den Kinosaal mit einem unguten Gefühl betritt. Irgendwie glaubt man, dass man den Film schon kennt und dass er nichts Gutes verheißt. An A. E. W. Masons Roman von 1902 versuchte sich Shekhar Kapur nicht als erster; fünf Kino- und ein TV-Film gingen seiner Adaption des Abenteuerromans voraus (1). Ich verrate nicht viel, wenn ich hier zitiere, was Lieutenant Jack Durrance am Schluss des Films in einer pathetischen Rede wiedergibt: Im Krieg kämpfe man zum Schluss nicht mehr für eine Fahne, ein Ziel oder ein Interesse. Es zähle nur noch der Mann rechts und der Mann links von einem. Das habe ich doch irgendwo schon mindestens zweimal gehört. Genau. In „We Were Soldiers“ (USA, 2002) und „Black Hawk Down“ (USA, 2001). Auch in diesen Filmen wurde der Krieg von allen politischen, ökonomischen, historischen, sozialen Umständen, Ursachen, Bedingungen und Voraussetzungen mehr oder weniger befreit, um etwas zu zeigen, was sich angeblich als etwas Reines, fast Unschuldiges hinter allem verbirgt: „Solidarität“, tief empfundene „Freundschaft“. In „The Four Feathers“ allerdings wirkt dieser Schluss eher peinlich, denn patriotisch oder als Ausdruck von Landserromantik.
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Ein Eastwood ist ein Eastwood ist ein Eastwood
Clint Eastwood gibt nicht auf. In seinem neuen Film nach einem Bestseller von Michael Connelly, für den Brian Helgeland („L.A. Confidential“ (USA, 1997)) das Drehbuch schrieb, spielt der 72jährige „Space Cowboy“ (USA, 2000) und „Dirty Harry“ (USA, 1971) auf der Klaviatur des Alters. Der Film lebt größtenteils von den Schwierigkeiten zwischen den Anforderungen an einen Profiler im Außendienst und den Gebrechen des Alters. Die Herzattacke, die die Karriere des FBI-Agenten McCaleb (Eastwood) vorzeitig beendet – unter den strengen Augen seiner Ärztin Dr. Fox (Anjelica Huston) – holt ihn allerdings auch unfreiwillig in den Dienst zurück. Eastwood ist wohl der einzige Schauspieler, der es geschafft hat, in 20 Filmen sowohl die Hauptrolle zu spielen, wie Regie zu führen. „Blood Work“ ist allerdings, gottlob, keine Selbstbeweihräucherung des Regisseur-Schauspielers. Zwar steht Eastwood im Zentrum des Geschehens, aber da stehen auch noch andere.
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Zwischen den Bildern…
Schon in der Beziehung zwischen zwei Menschen existieren mindestens acht Bilder: das Bild, das jeder von sich selbst hat, das Bild, wie jeder selbst sein möchte, das, wie jeder den anderen sieht, und das, wie jeder den anderen gern hätte. In jedem dieser Bilder steckt zudem Sein und Schein, Täuschung und Wahrhaftigkeit. Der neue Film von Ray Lawrence beginnt sogleich mit einem täuschenden Bild für das Publikum. Die Kamera streift durch Büsche mit rosafarbenen Blüten, Lantana, ein in Australien weit verbreitetes Gewächs. Es zirpt, knistert. Fast wie in einem Thriller von Hitchcock führt Director of Photography Mandy Walker uns durch das Gestrüpp, zuerst zu den Beinen, dann langsam zum ganzen Körper einer toten Frau. Der Gedanke an Mord drängt sich auf.
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Don’t analyze that! You go mad!
Wieder ein Sequel, das einen mäßigen Buddy-Movie, ANALYZE THIS (USA 1999) in gleicher Besetzung auf einer ebenso mäßigen Linie weiterverfolgt. Wieder Robert de Niro als Komödiant – wie schon in SHOWTIME (USA 2002), wo er mit Eddie Murphy kläglich scheiterte –, dessen Humor nicht so richtig funktionieren will, und wieder ein Drehbuchautor Peter Steinfeld, der mit DROWNING MONA (USA 2000) eine klägliche Möchtegern-Sozialposse fabrizierte, die in meiner Liste „Die ungeliebtesten Filme aller Zeiten“ ganz oben steht. Dazu eine Geschichte, die nicht so richtig in die Gänge kommt und an allen Ecken und Enden nach ihrer eigenen Plausibilität schreit.
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Watch it, if you like – Mike
Als „brain-dead and character-less“ bezeichnet James Berardinelli in seiner Besprechung des Lil’-Bow-Wow-Promotion-Films „Like Mike“ Handlung und Figuren – „a cynical attempt to lure children into theaters.“ So ganz daneben liegt Berardinelli mit dieser Wertung des Films nicht. Nach Britney Spears („Not A Girl“ (USA, 2002)) hat nun auch Rapper Lil’ Bow Wow seinen Kino- Auftritt, und niemand lüge sich selbst und anderen in die Tasche: Auch hier geht es vor allem um Werbung. Aber nicht nur, denn auch das jugendliche Publikum hat zumeist einen gewissen Geschmack, den man mit absolutem Blödsinn allein – in aller Regel jedenfalls – nicht in die Kinos locken kann. Paramount und die anderen mächtigen Produktionsfirmen können davon ein Lied singen: Nur jeder zwölfte Film aus Hollywoods Reich der Fiktion wird ein wirklicher Kassenschlager.
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Ex und hopp – zuviel des Guten?
Wer hierzulande – womöglich auch noch ohne belehrenden oder distanzierenden Kommentar – nationalsozialistisches Gedankengut und seine Träger in einer Dokumentation wiedergibt, hat es schwer. Das musste Winfried Bonengel mit seinem Dokumentarfilm „Beruf: Neonazi“ (D, 1993) bereits 1993 feststellen. Ob es ihm fast zehn Jahre später mit seinem neuen Film, diesmal einem Spielfilm, der auf (auto)biographischen Erinnerungen von Ingo Hasselbach beruht, besser gehen wird, wird sich zeigen. Zusammen mit Bonengel hatte Hasselbach, der der neonazistischen Szene einmal angehörte, ausstieg und Mitbegründer von EXIT wurde, 1993 das Buch „Die Abrechnung“ geschrieben. Motive aus dem Leben Hasselbachs sind in Bonengels neuem Film verarbeitet.
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Schwindel und Entschleierung
Als »Vertigo« 1958 in die amerikanischen Kinos kam, waren die Reaktionen von Publikum und Kritik nicht gerade überschwänglich. Eine Zeitung bezeichnete die Handlung sogar als Unsinn. Andere meinten, der Einstieg sei viel zu langatmig geraten. Erst in den 60er Jahren, dann 1984 bei der Wiederaufführung und 1996 in einer aufwendig restaurierten 70mm-Fassung interessierte man sich wieder für den »Schwindel« von »Vertigo«. Seitdem wurde der Film zu einem der meist besprochenen und analysierten Hitchcock-Streifen.
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To catch a Husband
Lange Zeit war »To Catch a Thief« nur in einer unvollständigen Kopie zu sehen. Paramount erlaubte dann dem ZDF, das farbenfrohe Original zu rekonstruieren. Das Problem bestand darin, dass die bisherige Kopie wegen der verblassten Farbränder von der Paramount beschnitten worden war, so dass etwa 30% des Films nicht zu sehen waren. In einer wahren Sisyphusarbeit wurden etwa 1.200 Einstellungen des in Technicolor gedrehten Films bezüglich Lichthelligkeit und Farbabstimmung erneuert, so dass jetzt eine ansehnliche, wenn auch nicht 1:1 dem Original entsprechende Kopie genossen werden kann.
Inhalt
John Robie (Cary Grant) hat sich zur Ruhe gesetzt – und will seine Ruhe haben. Früher einmal, vor dem Krieg, war er als »Die Katze« bekannt, sprich: als genialer Juwelenräuber. Während des Krieges war er als Amerikaner Mitglied der französischen Résistance. Jetzt wohnt er in einem schicken Haus oberhalb von Cannes.
Eines Tages überzieht eine neue Reihe von Juwelendiebstählen die französische Riviera. Und da der Täter offensichtlich die Methode Robies bei seinen Raubzügen haargenau kopiert, gerät er in Verdacht. In einer wilden Verfolgungsjagd kann er mit Hilfe von Germaine (Georgette Anys) zunächst im Auto, dann im Bus der Polizei entkommen. Auch sein Ex-Kollege, der Besitzer des Küstenrestaurants Bertani (Charles Vanel), glaubt Robie nicht so richtig, dass er mit den neuerlichen Raubzügen nichts zu tun habe. Robie fasst einen Entschluss: »I’ve got to hit this copy-cat before he hears I’m after him. To catch him in the act, I need better information than he has, the kind that takes months to dig out.« So bittet er Bertani, ihm Informationen über die potentiellen Opfer zu verschaffen. Denn einen Dieb könne man nur als Dieb fangen.
Weil die Polizei ihm bereits wieder auf den Fersen ist, verhilft ihm die Tochter des Weinstewards Foussard (Jean Martinelli), Danielle (Brigitte Auber), zur Flucht in den Beach Club. Dort soll ihn Bertani anrufen, sobald er die gewünschten Informationen hat. Und Bertani hat bereits eine Information: Der Mann, der ihm in seiner Gaststätte schon Fragen über die Juwelendiebstähle gestellt habe, wolle sich mit ihm treffen. Es handelt sich um den Agenten der Londoner Lloyds-Versicherung Hughson (John Williams), der ihm eine Liste reicher Klienten überreicht, die möglicherweise auch bestohlen werden könnten. Robie bietet ihm an, nach dem Juwelendieb zu fahnden. Die Polizei würde stillhalten, weil sie darauf hoffe, dass Robie einen Fehler mache und man ihn dann auf frischer Tat ertappen könne.
Während eines Diners mit der neureichen Amerikanerin Mrs. Stevens (Jessie Royce Landis), die mit ihrer Tochter Frances (Grace Kelly) unterwegs ist, schlägt Hughson vor, sie solle ihren Schmuck – Wert: 280.000 Dollar – lieber im Hotelsafe deponieren. Doch Mrs. Stevens hat andere Sorgen. Sie will für ihre Tochter einen Mann. Im Casino lernt sie Robie, der sich als Geschäftsmann Mr. Burns ausgibt, kennen. Robie begleitet beide zu ihren Hotelzimmern. Und Frances scheint Robie zu mögen. Sie küsst ihn zum Abschied.
Am nächsten Morgen bittet Hughson Mrs. Stevens erneut, ihre Kostbarkeiten im Safe des Hotels zu deponieren. Denn in der Nacht war »Die Katze« wieder unterwegs – Versicherungsschaden: 35.000 Dollar. Robie bleibt unter Verdacht …
Inszenierung
Ein farbenprächtiges Spektakel hat Hitchcock mit »Über den Dächern von Nizza« (einmal mehr ein verfälschender deutscher Filmtitel) angerichtet. Die urlaubsähnlichen Bilder von der Cote d’Azur dürften einen jedoch nur bei oberflächlicher Betrachtung dazu verleiten, in dem Film lediglich eine elegant inszenierte Kriminalkomödie zu sehen. Mal wieder interessiert den ausgebufften Hitchcock vor allem: Sexualität. »To Catch a Thief« ist ein durchaus zweideutiger Titel. Zum einen geht es darum, dass Robie sein ruhiges Leben wiederherstellen will, das durch den Imitator-Dieb heftig gestört wird. Andererseits wird der eher ruhige, fast ernüchternd wirkende Robie als Jagdtrophäe zwischen zwei Frauen positioniert, die beide nicht nur positiv dargestellt werden. Danielle, linkisch, eine Frau, die das haben will, was sie sich in den Kopf gesetzt hat, und wenn sie es nicht bekommt, wie ein Kind reagiert, und die verwöhnte und arrogante, reiche Göre Frances. Besonders deutlich in dieser Hinsicht ist eine Szene, in der Robie zwischen beiden Frauen im Wasser schwimmt. Beide giften sich an, Robie ist nur Zuschauer, schweigt, schaut von einer zu anderen, kann den Streit nicht schlichten, in dem es um ihn als Objekt der Begierde geht.
Als Frances letztendlich Robie unter die Haube locken kann, heiratet er ihre leicht zynische Mutter gleich mit. Pessimismus pur, allerdings grandios umrahmt von komödiantischen Szenen und satirischen Dialogen. Robie, so sympathisch er auch durch Cary Grant dargestellt wird – und nicht die neue »Katze« – ist das eigentliche Opfer der Handlung. Er wollte in Ruhe sein Leben genießen, hatte keine Lust zum Heiraten und war weder auf Danielle, noch auf Frances aus. Doch unweigerlich ist von Anfang an klar: Er landet entweder im Netz der einen oder der anderen. Ich würde noch weitergehen: Letztlich hat Robie keine Kraft, keinen Mut, beiden Frauen zu widerstehen. Die kämpfen es unter sich aus, wer ihn bekommt. Der folgende Dialog zwischen Robie und Danielle mag dies veranschaulichen:
Danielle: Don’t you think it’s foolish to remain here without knowing what will happen to you? But if you were in South America with me, you will know exactly what will happen.
John: You make it sound dangerous either way.
Danielle: It would be so much nicer to be killed by love, no?
John: Ah, pardon me while I get the water out of my ear.« usw.
Und als bittere Pille erhält er zum Schluss noch eine Schwiegermutter, der er auch nicht gewachsen ist. Ach du schöne Côte d’Azur! Eindrücklich in dieser Hinsicht ist z.B. die Szene, als Mama Stevens ihre Zigarette in fried eggs ausdrückt. Das charakterisiert diese Frau fast mehr als jedes Wort.
Suspense? Merkwürdigerweise enthält der Film so gut wie keinen Suspense, wie man ihn ansonsten von Hitchcock gewöhnt ist, auch wenn der Meister im Gespräch mit Truffaut etwas anderes behauptete. Der Suspense ist sozusagen minimalisiert und rankt sich um die Frage, wer Robie bekommt. Die Verhaftung der wirklichen Diebe ist nur noch kriminalistische Genre-Logik. Von Anfang an ist bekannt, dass die Polizei Robie zwar in Verdacht hat, aber selbst nicht so richtig daran glaubt, dass er »The Cat« ist. Auch die Polizei und Hughson instrumentalisieren Robie, um die neue Katze zu fangen, zu enttarnen. Das Angebot Robies an Hughson, für diesen den Juwelenräuber zu fangen, kommentiert Hughson mit den Worten: »It strikes me that only an honest man would be so foolish.« Hughson kann zufrieden sein: Ohne weitere Kosten wird Robie ihm den wirklichen Dieb zuführen – selbst wenn es doch Robie sein sollte, den die Polizei weiterhin genauestens beobachten wird. Somit ist Robie eine der sympathischsten und zugleich schwächsten Gestalten in Hitchcocks Filmen.
So deutlich wie in fast keinem anderen Film stehen Frauen als Handlungstreibende in »To Catch a Thief« im Mittelpunkt. Der unterkühlte Sex von Grace Kelly macht Halt vor ihrem Schlafzimmer; dort wird er heiß: »Ich brauche Damen, wirkliche Damen, die dann im Schlafzimmer zu Nutten werden. Der armen Marilyn Monroe konnte man den Sex vom Gesicht ablesen, auch Brigitte Bardot, und das ist nicht besonders fein«. Hitchcock untertreibt. Als Frances und John beim Picknick sitzen, fragt sie: »Do you want a leg or a breast?« Und Robie antwortet: »You make the choice.« Ein verschlüsseltes, aber eindeutiges, fast aufdringliches Angebot, gegenüber dem Robie seine Entscheidungsfreiheit schon so gut wie aufgegeben hat.
Fazit
Kein glattes Happy End: Frances hält Robie am Ärmel fest; er gibt auf. »Aber die Schwiegermutter wird bei ihnen leben. So ist das fast ein tragischer Schluss.« Robie bekommt seine Ruhe – doch zu welchem Preis? Jedenfalls auf andere Weise, als ursprünglich erwartet. Und das Publikum kann trotzdem zufrieden sein. Denn »To Catch a Thief« ist einer der humorvollsten Filme Hitchcocks, in dem die Gefahr, das Risiko für die tragenden Figuren auf ein Minimum reduziert ist und trotzdem ein Spannungsbogen gute 100 Minuten lang für Abwechslung sorgt.
Zitate aus:
François Truffaut (in Zusammenarbeit mit Helen G. Scott): Truffaut / Hitchcock, München / Zürich 1999 (Diana-Verlag) (Originalausgabe: 1983), S. 188, 189.
Vgl. auch Beier/ Seeßlen (Hrsg.): Alfred Hitchcock, Berlin 1999, S. 370-373.
Über den Dächern von Nizza
(To Catch a Thief)
USA 1955, 106 Minuten
Regie: Alfred Hitchcock
Drehbuch: John Michael Hayes, nach einem Roman von David Dodge
Musik: Lyn Murray
Kamera: Robert Burks, Wallace Kelley
Schnitt: George Tomasini
Spezialeffekte: John P. Fulton, Farciot Edouart
Hauptdarsteller: Cary Grant (John Robie), Grace Kelly (Frances Stevens), Jessie Royce Landis (Jessie Stevens), John Williams (H. H. Hughson), Charles Vanel (Bertani), Brigitte Auber (Danielle Foussard), Jean Martinelli (Foussard), Georgette Anys (Germaine), George Adrian (Detective), John Alderson (Detective auf dem Kostümball)
Ulrich Behrens
Hitchcock auf Abwegen?
Auch das war Hitchcock: Mangels eines besseren Stoffes verfilmte Hitchcock unter chaotischeren Umständen als üblich einen eher inhaltlich verzettelten denn stringent durchgearbeiteten Roman von Leon Uris. Szenen wurden gedreht und wieder verworfen. 1999 tauchte auch in hiesigen Landen ein Director’s Cut auf, der etwa 20 Minuten länger war als die bisherige Kinofassung. Eine Handlung gibt es eigentlich gar nicht, es gibt mehrere, die angeschnitten, verfolgt, aber nie so richtig zu Ende dramatisiert werden.
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Schänder in Schlaghosen
Wenn die Schweizer mal einen Film drehen, dann aber auch direkt ’nen Hammer. „Greta – Haus ohne Männer“ (Teil 3 der „Ilsa“-Reihe), „Mad Foxes – Feuer auf Räder“ (jo, der heißt wirklich so!) oder der ultraseltene und mir leider auch unbekannte „Ruf der blonden Göttin“ sind neben „Mosquito“ wohl die prägnantesten Titel in der Filmografie der Eidgenossen. Und eines haben sie alle gemein: Einen Trashfaktor jenseits Ed Woods kühnster Träume.
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Mad Foxes
MAD FOXES – FEUER AUF RÄDER ist einer jener Filme, die ich in meiner Filmliste mit einem dicken roten Vermerk „Granate“ markiert habe. Schon der Titel ist ein wahrer Genuss, oder hat man in der Schweiz etwa seine ganz eigenen Grammatik-Regeln?
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Voyeurismus und Suspense
Eine Kurzgeschichte von Cornell Woolrich diente Hitchcock als Vorlage für diesen ausgezeichneten, stilistisch einwandfreien, klaren Thriller, in dem er den Zuschauer über die Hauptfigur in den Film direkt hineinzieht.
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Normalität und Brüchigkeit
Eine der spannendsten Fragen (nicht nur) des Films ist die, wie Menschen aus ihrer Normalität durch ein existentielles Ereignis herausgerissen und zu unerwarteten Handlungen verleitet werden. Todd Field ging einer solchen Frage nach.
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Über eine sich selbst genügsam gewordene Welt
Der bei den Filmfestspielen in Venedig ausgezeichnete Film von Alfonso Cuarón (»Great Expectations«, 1998) erhielt von der Filmkritik teilweise merkwürdige Auszeichnungen. In der NZZ war von einem Film über Teenager zu lesen, anderswo, es ginge um das Erwachsenenalter, das die Scherben einer verkorksten Jugend aufsammeln müsse. Andere sehen in dem Streifen einen Film, der wie das Leben sei, mal so, mal so (http://www.de.Cineman.ch, sehr vielsagend), mit sozialkritischen Untertönen« (Cinema), bei dem aber nicht mehr als »effektheischendes Geknister« herausgekommen sei (http://www.filmtext.com); andere bewundern ihn als »Roadmovie« mit politischen »Anklängen« (Blickpunkt: Film), als Streifen über die Pubertät (»Schnitt«). Die »Zeit« sieht in »Y tu mamá también – Lust for Life!« gar eine Auseinandersetzung mit dem Machismo. Und in der »Frankfurter Rundschau« wird der Streifen zum »Hochschul-Abschlussfilm« degradiert. Was zeigt er denn nun wirklich?
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