Zwischen den Bildern…

Schon in der Beziehung zwischen zwei Menschen existieren mindestens acht Bilder: das Bild, das jeder von sich selbst hat, das Bild, wie jeder selbst sein möchte, das, wie jeder den anderen sieht, und das, wie jeder den anderen gern hätte. In jedem dieser Bilder steckt zudem Sein und Schein, Täuschung und Wahrhaftigkeit. Der neue Film von Ray Lawrence beginnt sogleich mit einem täuschenden Bild für das Publikum. Die Kamera streift durch Büsche mit rosafarbenen Blüten, Lantana, ein in Australien weit verbreitetes Gewächs. Es zirpt, knistert. Fast wie in einem Thriller von Hitchcock führt Director of Photography Mandy Walker uns durch das Gestrüpp, zuerst zu den Beinen, dann langsam zum ganzen Körper einer toten Frau. Der Gedanke an Mord drängt sich auf.

Lawrence spielt mit den Bildern, die sich Menschen voneinander und von sich malen. Er fotografiert sie für uns, lässt uns teilweise gefangen in den Selbstbildern, teilweise sie durchschauen. Was wie ein Thriller beginnt, endet mit Tango-Musik und den Gesichtern der Hauptpersonen. Ähnlich wie etliche Filme Pedro Almodóvars lässt Lawrence seinen Film ausklingen. Ja, er klingt aus. Die Täuschung, der Betrug scheinen vorbei. Gleich Pedro Almodóvar verknüpft Lawrence das Leben und das Schicksal – den „Kampf, den wir mit uns selber führen“ (Lawrence) – aller seiner Figuren miteinander, ohne dass sie oder auch zum Teil wir es wissen.

Wir treffen auf die Psychoanalytikerin Valerie (Barbara Hershey) und ihren Mann John (Geoffrey Rush), deren Tochter vor zwei Jahren Opfer eines Gewaltverbrechen wurde. Valerie schrie ihren Schmerz heraus, sie schrieb ein Buch über die Folgen dieser Tat. Äußerlich selbstbewusst, auch im Umgang mit ihren Patienten, ist sie trotzdem gebrochen, wie ihr Mann, der nicht verstehen kann, warum Valerie dieses Buch schrieb, das ihr offensichtlich das Leid nicht lindern, geschweige denn nehmen konnte. In ihre Ehe ist etwas eingebrochen, was sich nur schwer in Worte fassen lässt. Sie sind sich fremd geworden, doch zugleich in ihrem Schicksal so nah, dass es Valerie zerreißen könnte. Sie lieben sich und können diese Liebe nicht leben. John beginnt eine homosexuelle Affäre mit einem Mann namens Michael (Russell Dykstra), der wiederum begibt sich zu Valerie in Therapie, weil er Probleme mit dieser Beziehung hat – ohne dass Valerie zunächst weiß, wer Michaels Partner ist.

Zu Valeries Patientinnen gehört auch Sonja Zat (Kerry Armstrong), die in der Ehe mit ihrem Mann, dem Polizisten Leon (Anthony LaPaglia), unzufrieden ist. Sie will Leidenschaft, Herausforderung, Ehrlichkeit. Sie weiß nichts von einer Affäre ihres Mannes, meint, eine Affäre sei nicht der Betrug, sondern wenn Leon ihr sie verschweigen würde. Leon hat tatsächlich eine Affäre, mit Jane O’May (Rachael Blake), die von ihrem Mann Pete (Glenn Robbins) getrennt lebt. Leon erklärt später seiner Frau, er könne nichts mehr empfinden und wisse selbst nicht, warum er zweimal mit Jane geschlafen habe.

Jane wohnt etwas außerhalb von Sydney. Ihre Nachbarn Nik (Vince Colosimo) und Paula Daniels (Daniella Farinacci) scheinen mit ihren drei kleinen Kindern die einzigen zu sein, die glücklich miteinander leben.

Lawrence verknüpft die Geschichte dieser Figuren eng miteinander. Durch das Verschwinden von Valerie nachts auf der Straße nach einem Verkehrsunfall geraten ihr Mann und Nik in Verdacht. Leon muss im Laufe der Ermittlungen seine Geliebte Jane verhören und trifft bei ihr dessen Ex- Mann, den er vorher in einer Bar kennen gelernt hat. Alles an dieser Geschichte erscheint schicksalhaft, vorherbestimmt, wie ein Puzzle, das man zusammensetzen muss, um der Wahrheit auf die Schliche zu kommen. Selbst an der Intaktheit der Familie Daniels kommen durch den Verdacht gegen Nik Zweifel auf.

Was als Schicksal erscheint, ist ebenso Täuschung. Man kann dieser Geschichte und ihren personellen Verwicklungen, die auch vor Details nicht halt macht – z.B. bezüglich der beiden Söhne des Ehepaares Zat, Sam and Dylan, oder den Kindern der Daniels –, überraschend „einfach“ folgen. Lawrence gelingt dies vor allem dadurch, dass er nicht irgendwelche Nebenschauplätze aufmacht, sondern konsequent bei seinen Figuren und ihrer Geschichte, bei ihren Gefühlen, Problemen und ihrer Verbundenheit untereinander verbleibt. Er lässt von ihnen nicht los und versperrt dem Publikum das Ausweichen.

Zum anderen lebt der Film von einer hervorragenden Besetzung Anthony LaPaglia als Cop, wütend, ohne dass er von seiner Wut etwas hat, hat Sex mit einer anderen Frau, ohne dass er davon etwas hat, joggt, ohne dass er davon profitiert, im Gegenteil, er bekommt Herzschmerzen und stößt frontal mit einem anderen Jogger zusammen, der sich daraufhin bei ihm ausweint. LaPaglia ist auch zu verdanken, dass das Komische in diese Tragödie einbricht. Der Zusammenstoß mit dem Jogger ist eine solche Szene der tragikomischen „Verwicklung“. Oder wenn er zum wöchentlichen Tangoabend mit seiner Frau zu spät kommt und zusieht, wie Sonja ausgerechnet mit seiner Geliebten Jane tanzt.

Besonders Barbara Hershey, die diese innerlich zerrissene Psychoanalytikerin, die nach außen selbstbewusst auftritt, spielt, ist exzellent, etwa, wenn sie im Verlauf der Therapie mit Michael spürt, dass dessen Partner ihr eigener Mann sein muss, wenn sie zunehmend Ängste entwickelt. Hinzu gesellen sich Kerry Armstrong, eine in Australien bekannte Fernsehschauspielerin, die eine phantastische Rolle spielt, und Geoffrey Rush, der John Knox (einen Dekan der juristischen Fakultät) in seiner äußerlichen Selbstbeherrschung und Indifferenz und seinem tief sitzenden Leid andererseits glaubwürdig verkörpert.

Lawrence Figuren sind innerlich gebrochene Menschen, die sich auf sich selbst zurückgezogen haben, die ihre eigenen Schwächen zu Stärken erklären, indem sie andere Beziehungen beginnen. Und trotzdem gibt es einen krassen Unterschied zwischen Männern und Frauen in diesem Film. So zerrissen Valerie, Sonja und Jane auch sein mögen, sie halten – im Unterschied zu den Männern – an etwas fest, an ihrem Gefühl für Liebe und Zuneigung, Vertrauen und Zärtlichkeit, Wahrhaftigkeit und Verbundenheit. Für den Erfolg dieser emotionalen Grundierung gibt es keine Sicherheit, aber eine Chance. Auch Paula ist so eine Frau, die – als ihr Mann verhaftet wird – in ihrem Urvertrauen Nik glaubt, dass er keinen Mord begangen hat, weil er es ihr sagt. Sie kennt ihren Mann – in- und auswendig, so weit dies möglich ist.

Die Kinder stehen in diesem Film für etwas (ohne dass dies aufgesetzt wirken würde), das an dieser emotionalen Grundierung anknüpft – wenn etwa das Baby der Daniels Fieber bekommt und die etwas ältere Schwester weiß, was zu tun ist, welches Medikament notwendig ist undwo es zu finden ist. Ein Sohn der Zats nimmt Drogen, zu Hause, was den Polizisten und Menschen Leon zur Rage bringt. Sonja muss ihm erklären, dass es doch besser sei, er nehme das Zeug zu Hause, da habe man es wenigstens unter Kontrolle, und verbieten könne er es seinem Sohn sowieso nicht, weil der es dann heimlich tue. In solchen Szenen greift Lawrence auf etwas zurück, was den Erwachsenen, vor allen den Männern, nicht so sehr den Frauen, abhanden gekommen zu sein scheint: eine Art Urvertrauen, das bei den Kindern noch vorhanden ist. Die Bilder, die sich die Kinder machen, sind noch von einer Art praktischem Gespür geprägt, weniger von Phantastereien über sich selbst und die anderen.

Der Busch, Lantana, symbolisiert dies zudem in doppelter Weise. Dieser Busch lebt und seine Blüten riechen gut, sehen schön aus. Lantana steht für das Leben, nicht für die „reine“ Existenz. Lantana steht auch für das Verborgene und das Verbergen. In diesem Busch liegt eine tote Frau, verborgen, mysteriös, vielleicht Opfer eines Verbrechens. Für den Busch ist dies gleichgültig, weil in ihm Existenz und Leben eins sind. Für die Menschen sieht dies anders aus.

Für Leon und John besteht das Leben nur noch in ihrer „bloßen“ Existenz, mit der sie nichts mehr anzufangen wissen. Erst der Tod wühlt in ihnen das auf, was sie zum Leben brauchen.

„Lantana“ thematisiert diese Bilder und Selbstbilder. Der Film erscheint schicksalhaft, aber auch das ist Betrug, Täuschung. Denn das, was sich durch die Verknüpfung der Personen darstellt als: Eines ergibt sich aus dem anderen, ist nicht Schicksal, sondern resultiert aus dem Verhalten und Fühlen von Menschen, die sich fast aufgegeben haben bzw. mit ihrem Leid und ihrer inneren Verlorenheit nicht fertig werden. Umso schöner ist die Schlussszene dieses Films, ein hoffnungsgeladener Bilderreigen, der – ohne kitschig zu sein – ein Versprechen verheißt.

Für mich einer der schönsten Filme des Jahres.

Lantana
(Lantana)
Australien, Deutschland 2001, 121 Minuten
Regie: Ray Lawrence
Drehbuch: Andrew Bovell, nach seinem Stück „Speaking in Tongues“
Musik: Paul Kelly, Kamera: Mandy Walker
Schnitt: Karl Sodersten
Hauptdarsteller: Anthony LaPaglia (Leon Zat), Geoffrey Rush (John Knox), Barbara Hershey (Dr. Valerie Somers),
Kerry Armstrong (Sonja Zat), Rachael Blake (Jane O’May), Russell Dykstra (Michael),
Daniella Farinacci (Paula Daniels), Vince Colosimo (Nik Daniels), Peter Phelps (Patrick Phelan),
Leah Purcell (Claudia), Glenn Robbins (Pete O’May), Jon Bennett (Steve),
Melissa Martinez (Lisa), Owen McKenna (alter Mann), Nicholas Cooper (Sam Zat), Marc Dwyer (Dylan Zat)

Ulrich Behrens

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