Die Lücke in der Viererkette

Nein, mit dieser Geschichte wäre Andreas Dresen niemals an Gelder für sein Filmprojekt gekommen. Interesse am Alltag zweier befreundeter Pärchen um die vierzig, bei denen plötzlich ein einseitiger, geheimer Partnertausch stattfindet? Wer hat das schon. Aber weil Dresen sich von seiner Vision nicht abhalten lassen wollte und (von seinen Erfolgen mit „Nachtgestalten“ und „Die Polizistin“) noch ein wenig Geld übrig hatte, wurde dann doch gefilmt. Ohne Drehbuch, ohne technischen Schnickschnack, dafür mit offenem Ausgang. Und jetzt das: Silberner Bär auf der Berlinale, zum Kinostart größtmögliche Präsenz in den Feuilletons und mit seinen Produktionskosten von nur 600 000 Euro wohl ein richtig gutes Geschäft. Dabei klingt das, was der Film zu erzählen hat, nun wirklich alles andere als aufregend.

Da hätten wir Chris (Thorsten Merten). Als Radiomoderator sendet er vom 24. Stock des Oderturms in Frankfurt mit der „Dauer-Power vom Power-Tower“. Er tut dies so übelgelaunt, dass es eine wahre Freude ist, ihm dabei zuzuschauen. Währenddessen ist seine Frau Katrin (Gabriela Maria Schmeide) an der polnischen Grenze damit beschäftigt, LKWs einzuweisen. Wenn sie die Gelegenheit dazu hat, den zynischen Astro-Prognosen ihres „Magic Chris“ zu lauschen, hört sie ganz genau zu; wohlwissend, dass Chris auch gerne nützliche Hinweise der ganz persönlichen Art in seinen Vorhersagen versteckt: „Und: Füllen Sie ihren Kühlschrank auf!“

Uwe und Ellen haben noch weniger Zeit füreinander. Das liegt vor allem an Uwe (Axel Prahl), der als Betreiber der Imbissstube „Halbe Treppe“ bis in die Abendstunden schuftet, während Ellen (Steffi Kühnert) in einer Parfümerie verkauft. Nun passiert das, was eigentlich für einen Plot viel zu wenig erscheint: Ellen und Chris kommen sich näher, das fliegt schnell auf, und vorbei ist es mit der Stagnation.

Wer jetzt befürchtet, „Halbe Treppe“ sei mal wieder einer dieser Streifen, in denen irgendwelche Menschen aus irgendwelchen Gründen nicht miteinander kommunizieren können und deshalb Katastrophen heraufbeschwören, bei denen am Ende alle als Verlierer dastehen, liegt nicht ganz falsch. Viel zu oft verfallen Autorenfilmer einer Larmoyanz und glauben dann auch noch, dem Publikum von ihrem diffusen Weltschmerz erzählen zu müssen. Aber erstaunlicherweise scheint Andreas Dresen ganz genau gewusst zu haben, wie aus dieser tristen, recht altbacken anmutenden Story, ein aufregender Film zu machen ist. Er entlockt der Tragik des Geschehens immer wieder ganz überraschende humorvolle Situationen. Etwa, wenn der verlassene Uwe zum „Runden Tisch“ bei Kaffee und Kuchen einlädt, um die ganze Misere mal ganz nüchtern zu besprechen (Also, er könne das ja verstehen, dass mal so ein Ausrutscher passiere, aber so eine Regelmäßigkeit, also nee; willste wirklich keinen Kuchen?) In vielen Szenen entwickelt sich immer im richtigen Moment eine Tragikomik, die nicht allzu sehr menschelt und dennoch der Dramatik nicht entgegenwirkt.

Auf ganz unterschiedlichen Ebenen funktioniert die Inszenierung. Wenn sich Uwe und Ellen auf halber Treppe begegnen, und Uwe seine Frau verzweifelt um eine Erklärung bittet, ist man Zeuge einer quälend intimen Szene. Für Schwung sorgt die allmähliche Vergrößerung der „17 Hippies“, eine Kapelle, die unmittelbar vor Uwes Imbiss vor sich hin „hupt“, wie Uwe es nennt. Und dann gibt es noch kurze pseudo-dokumentarische Interviews mit den vier Hauptpersonen; hierdurch ergeben sich ganz interessante Einblicke in ihre Handlungsmotivationen.

Leider aber weiß der Film fast nur durch seine herausragenden Schauspielerleistungen zu überzeugen. Und durch seine Authentizität. So fühlt sich das schon an, wenn der Betrug im Freundeskreis passiert. Aber wenn schon so wenig Geld für die Produktion zur Verfügung stand, hätte man auch innovativer und experimentierfreudiger an das Projekt herangehen können. Wie man eine kleine Geschichte mit DV-Kamera formal interessant (auch für die große Kinoleinwand) in Szene setzen kann, hat Dominik Graf mit „Der Felsen“ (der ebenfalls auf der Berlinale lief) wesentlich eindrucksvoller gezeigt.

Halbe Treppe, D 2002
Regie: Andreas Dresen; Drehbuch: Andreas Dresen; Kamera: Michael Hammon; Schnitt: Jörg Hauschild; Darsteller: Steffi Kühnert, Gabriela Maria Schmeide, Thorsten Merten, Axel Prahl u.a.

Christoph Simon

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