Die Todsünden des Historienschinkens

Es gibt Filme, bei denen man den Kinosaal mit einem unguten Gefühl betritt. Irgendwie glaubt man, dass man den Film schon kennt und dass er nichts Gutes verheißt. An A. E. W. Masons Roman von 1902 versuchte sich Shekhar Kapur nicht als erster; fünf Kino- und ein TV-Film gingen seiner Adaption des Abenteuerromans voraus (1). Ich verrate nicht viel, wenn ich hier zitiere, was Lieutenant Jack Durrance am Schluss des Films in einer pathetischen Rede wiedergibt: Im Krieg kämpfe man zum Schluss nicht mehr für eine Fahne, ein Ziel oder ein Interesse. Es zähle nur noch der Mann rechts und der Mann links von einem. Das habe ich doch irgendwo schon mindestens zweimal gehört. Genau. In „We Were Soldiers“ (USA, 2002) und „Black Hawk Down“ (USA, 2001). Auch in diesen Filmen wurde der Krieg von allen politischen, ökonomischen, historischen, sozialen Umständen, Ursachen, Bedingungen und Voraussetzungen mehr oder weniger befreit, um etwas zu zeigen, was sich angeblich als etwas Reines, fast Unschuldiges hinter allem verbirgt: „Solidarität“, tief empfundene „Freundschaft“. In „The Four Feathers“ allerdings wirkt dieser Schluss eher peinlich, denn patriotisch oder als Ausdruck von Landserromantik.

Meistens ist es eine Art göttliche Fügung, die solche Schmachtfetzen zusammenhält, der Handlung den nötigen Kitt verschaffen soll, den ein Drehbuch für eine glaubhafte Geschichte nicht benötigen würde, und zwar in Gestalt einer Person, deren Realitätsgehalt so gering ist, dass es einen graust. In „Die vier Federn“ ist es eine Lichtgestalt aus dem Sudan, Abou Fatma, ganz passabel gespielt von Djimon Hounsou (bekannt als Juba in „Gladiator“ (USA, 2000)), aber nichtsdestotrotz nicht mehr als eine mehr schlechte als rechte Märchenfigur.

Die Geschichte ist schnell erzählt. Im Jahr 1875 scheint das Britische Empire auf dem Höhepunkt seiner Macht, als im Sudan unter Führung des Mahdi der Widerstand gegen die britische Kolonialmacht organisiert wird. Vier junge Offiziere des Royal Cumbrian Regiment, ausgelassen und voller Illusionen darüber, was Krieg wirklich bedeutet, sollen ebenfalls nach Afrika verschifft werden. Jack Durrance (Wes Bentley, „American Beauty“ (USA, 1999)) und William Trench (Michael Sheen) freuen sich darauf, endlich für Krone und Vaterland zu kämpfen. Thomas Willoughby (Rupert Penry-Jones), den alle freundschaftlich als „Miss Willoughby“ hänseln, weil er penibel auf sein Äußeres achtet, hat Angst, will aber kein Feigling sein. Nur Harry Faversham (Heath Ledger, „Ritter aus Leidenschaft“) weiß nicht so recht, was er weit weg von Great Britain im Sudan eigentlich soll. Er quittiert den Dienst und wird unehrenhaft entlassen – zur bitteren Enttäuschung seiner drei Freunde, die ihm als Zeichen der Feigheit jeweils eine Feder zukommen lassen.

Auch Harrys designierte und nun resignierte Verlobte Ethne Eustace (Kate Hudson) kann ihn nicht verstehen und schickt ihm die Feder der Feigheit. Nachdem Jack, William und Thomas in den Sudan gefahren sind, entschließt sich Harry, ihnen nachzureisen, um ihnen die Federn zurückzugeben. Er sieht sich gezwungen seinen Freunden, seiner Verlobten – die sich später freundschaftlich Jack zuwendet und aus Mitleid heiraten will –, seinem Vater, der ihn verstoßen hat, und der Gesellschaft, die sich von ihm abwendet, zu beweisen, dass er kein Feigling ist.

Halb verhungert rettet ein Einheimischer, Abou Fatma (Djimon Hounsou), Harry in der Wüste vor dem Tod und bietet ihm bei der Suche nach seinen Freunden seine Unterstützung an. Als Harry und Abou herausfinden, dass ein britisches Fort von Männern des Mahdi besetzt wurde, schickt Harry den neuen Freund zum Royal Cumbrian Regiment, das sich gerade auf dem Weg zu diesem Fort befindet, um die Offiziere und Soldaten zu warnen. Statt ihm zu glauben, lässt man ihn als vermeintlichen Spion des Mahdi auspeitschen. Das Regiment zieht weiter und gerät in die Falle des sudanesischen Widerstandskampfes. Die Schlacht kostet viele Briten und Sudanesen das Leben. Die überlebenden britischen Soldaten und auch Harry werden gefangen genommen und müssen in einem Steinbruch unter schwierigsten Bedingungen arbeiten …

Nein, „The Four Feathers“ des indischen Regisseurs Shekhar Kapur ist – jedenfalls vordergründig – kein revisionistischer Film, der das britische Kolonialreich im nachhinein legitimiert und imperialistischer Ideologie zuarbeitet. Dazu sind Drehbuch und Inszenierung viel zu simpel gestrickt und die Darsteller zu schlecht, teilweise grottenschlecht. Allerdings kann man durchaus sagen, dass Kapur das Empire sehr schonend behandelt (nach Sicht seiner überzeugenden Arbeit „Elizabeth“ (UK, 1998) über die britische Königin Elisabeth I. und seines neuen Films liegt nahe, dass Kapur anglophile Tendenzen hat). Ich will einmal vermuten, dass es ihm auch um anderes ging. Um die Geschichte einer Freundschaft vier junger Männer und einer Liebe, die auf die Probe gestellt wird.

Allerdings, wie die Amerikaner so schön sagen: It doesn’t work. Zunächst ist der Film ein gutes Stück zu lang. Die Anfangssequenz, in der die Personen vorgestellt werden, zieht sich wie ein Kaugummi über die Leinwand. Dass Kapur auf die Charaktere keinen besonders großen Wert legt, macht diese erste halbe Stunde zu einer Qual. Und: Warum quittiert Harry den Dienst? Wir wissen nur, warum nicht: nicht wegen seiner Verlobten, die er möglichst schnell heiraten will, und nicht aus Feigheit. Warum dann aber? Weil er Kritik an der Kolonialpolitik hat? Warum sagt er das dann nicht? Aus einem „unbestimmten Gefühl“ heraus? Dann hätte Kapur uns im Laufe des Films dahingehend aufklären müssen – was nicht geschieht. Außerdem spielt Heath Ledger diesen jungen Mann in einer Naivität, dass einem die Haare zu Berge stehen: Obwohl Harry nicht dumm ist, rechnet er nicht mit gesellschaftlicher Verachtung und damit, dass sich seine Freunde und Ethne von ihm abwenden. Unglaubwürdig! Dasselbe gilt für den Schluss, der in völlig überzogenem Maße den Figuren ein Happy End zubilligt, das ebenso realitätsfremd und zudem wenig spannend ist.

Das Schlimmste aber passiert in der Mitte des Films. Abou Fatma rettet Harry nicht nur. Er bietet sich ihm als Helfer, ja sogar Freund an. Begründung: Gott habe ihm Harry über den Weg laufen lassen. Dieser Abou Fatma rettet Harry mehrmals das Leben, kämpft mit ihm gegen die eigenen Leute, rettet auch einem seiner Freunde das Leben, tötet für Harry Kämpfer des Mahdi, spricht zudem fließend englisch und benimmt sich – trotz Bemalung, spärlicher Bekleidung und Kopfschmuck – wie ein Engländer oder Amerikaner, dem man verzweifelt eine sudanesische Identität verpasst hat. Dieser Deus ex machina, diese scheinbar von Gott geschickte Schicksalsfigur, soll eine Handlung zusammenhalten, die dann aber trotz seines Auftritts letztlich wie ein Kartenhaus in sich zusammenbricht. Denn Ledger, Bentley, Sheen und Penry-Jones wirken als britische Offiziere mit entsprechendem häuslichen Hintergrund gegen Ende des 19. Jahrhunderts, als ob man sie aus der Gegenwart in die Vergangenheit gehievt hätte mit dem Auftrag: Make the best of it though no one will believe you.

Und dann noch Kate Hudson (völlig verändert gegenüber ihrer Rolle in „Almost Famous“ (USA, 2000))! Sie lächelt sich verstohlen durch satte zwei Stunden – als eine Art Unschuld vom Lande, die ebenso reingepfercht in eine andere Zeit wirkt wie die anderen und die diese Ethne so unbeholfen und schrecklich naiv spielt, dass es ab und zu an Lächerlichkeit grenzt.

So bleibt von einer avisierten Geschichte über Freundschaft und Liebe und ihre Prüfungen ein holpriges und spannungsarmes, ein wenig überzeugendes Spektakel. Das beste an diesem Film sind noch die beeindruckenden Bilder von Robert Richardson, vor allem die Bilder aus der Wüste und die Kontraste zwischen den in Braun und Weiß gehüllten Sudanesen und den Briten in ihren roten Uniformen. Auch die Schlachtszene, bei der die Briten ein Karree bilden und von allen Seiten angegriffen werden, ist exzellent gefilmt.

Summa summarum gelangt es Kapur nicht, den angestaubten Abenteuerroman Masons gegen den Strich zu bürsten. Daher wirkt sein Film in gewisser Weise auch anachronistisch. Da schaue ich mir dann doch lieber zum x-ten Mal Peter O’Toole in „Lawrence of Arabia“ (UK, 1962) an.

(1) Unter dem Titel „The Four Feathers“:
# USA, 1915
# UK, 1921
# USA, 1929
# UK, 1939
# UK, 1977 (TV-Film)

und unter dem Titel „Storm Over the Nile“ (UK, 1955)

Die vier Federn
(The Four Feathers)
USA 2002, 131 Minuten
Regie: Shekhar Kapur
Drehbuch: Michael Schiffer, Hossein Amini, nach einem Roman von A. E. W. Mason
Musik: James Horner
Kamera: Robert Richardson
Schnitt: Steven Rosenblum
Darsteller: Heather Ledger, Wes Bentley, Kate Hudson,
Djimon Hounsou, Michael Sheen, Laila Rouass, u.a.

Ulrich Behrens

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