Zombies in Berlin

Die Apokalypse beginnt in Moabit. Dabei sollte es doch so schön werden: der 35jährige Wiener Michi (Michael Fuith) kommt nach Berlin, um seine große Liebe Gabi (Anka Graczyk) zurückzugewinnen, trifft jedoch in ihrer Wohnung im Bezirk mit dem spröden Westberliner Charme lediglich zwei Handwerker an. Und dann kommen die Zombies. Bald findet sich Michi mit dem 15jährigen Harper (Theo Trebs) hinter verbarrikadierter Wohnungstür wieder, während draußen die Infizierten toben. Um eine Viruserkrankung handelt es sich, per Biss übertragbar – das entschuldigt dann auch die enorme Agilität der Zombies, die in Marvin Krens „Rammbock“ mal wieder, dem Zeitgeist entsprechend, rennen dürfen. Zum Ausbruch kommt die Krankheit jedoch nicht sofort, sondern erst durch die Ausschüttung von Adrenalin im Körper des Infizierten. Folglich heißt es vor allem: Ruhe bewahren, auch im Angesicht der aggressiven Horden im Innenhof. Wie gut, dass Michi ohnehin über ein eher lakonisches, ausgeglichenes Naturell verfügt…

Mal wieder ein lustiger Zombiefilm also – und wer auch nur einen Bruchteil all jener semiprofessionellen Streifen erduldet hat, die in den letzten beiden Dekaden alljährlich den anspruchsloseren Teil des Splatternerdpublikums zu beglücken versuchten, der kann hier eigentlich nur noch das Schlimmste erwarten. Jener gewissen Tendenz in der spärlichen deutschen Genrefilmproduktion, Trends im internationalen Kino erst Jahr(zehnt)e zu spät aufzugreifen, wenn sie per endloser Wiederholung im US-Mainstream bereits restlos abgeschliffen wurden – exemplarisch zu beobachten anhand der mitleiderregenden Versuche der letzten Dekade im Genre des Serienmörderfilms –, erliegt Marvin Kren erfreulicherweise in keinem Moment. Tatsächlich legt er mit „Rammbock“ einen kleinen Glücksfall für das deutsche Genrekino vor.

Das liegt zunächst einmal an seiner bewundernswerten Stilsicherheit. Mühelos wechselt „Rammbock“ die Register, ist mal sehr komisch, dann wieder spannend, finster und atmosphärisch. Der Film funktioniert so hervorragend vor allem deshalb, weil Kren sein Sujet spürbar ernst nimmt und es nicht lediglich als Aufhänger für eine Handvoll mehr oder weniger komischer Späße verwendet. Eine Zombieepidemie, das ist zunächst einmal nicht besonders komisch, und „Rammbock“ nimmt seine Figuren ernst genug, um sie nicht bloß als Schießbudenfiguren durch dieses Bedrohungsszenario zu jagen. Seine nichtsdestotrotz beträchtliche Komik bezieht der Film eher aus einer Verschiebung: Die alltäglichen Verhaltensweisen Michis beginnen vor dem alles andere als alltäglichen Hintergrund der Erzählung ins Absurde hinüberzugleiten. Das erinnert, wenn überhaupt, am ehesten an Edgar Wrights wunderbaren „Shaun of the Dead“, der ja allem Parodistischen zum Trotz auch gerade im Vergleich zu Zack Snyders offiziellem Remake durchaus als die seriösere Auseinandersetzung mit Romeros Untotenklassikern Bestand hat. Dabei ist Krens Zombie-Kammerspiel freilich ein ganzes Stück düsterer geraten und lässt auch angesichts des – sehr österreichischen – Humors den eskapistischen Charakter seiner Scherze niemals so ganz vergessen: Auf sein unpassendes Verhalten angesichts der Bedrohung angesprochen, erwidert Michi schlicht, wenn er an den Normalfall nicht mehr glauben würde, könne er sich schließlich auch gleich aufhängen.

Was vielleicht am nachhaltigsten beeindruckt an Marvin Krens erstem (halb-)langem Film, das ist die unbeirrte Vision, die der junge Regisseur von dem Genre hat, in dessen Rahmen er hier arbeitet. „Rammbock“ ist ein Film mit einer ganz klaren Idee, konsequent und handwerklich tadellos umgesetzt. So und nicht anders funktioniert gutes Genrekino mit einer individuellen Handschrift. Voraussichtlich im Herbst wird der vom ZDF produzierte Film im deutschen Fernsehen zu sehen sein. Falls sich bis dahin noch einmal die Gelegenheit ergibt, ihn auf einer Kinoleinwand zu sehen, sollte man diese nicht versäumen.

Rammbock
(Deutschland 2010)
Regie: Marvin Kren; Buch: Benjamin Hessler; Kamera: Moritz Schultheiß; Schnitt: Silke Olthoff; Musik: Marco Dreckkötter, Stefan Will
Darsteller: Michael Fuith, Anka Graczyk, Theo Trebs, Emily Cox, Steffen Münster, Brigitte Kren u.a.
Länge: 58 Min.
Verleih: Filmgalerie 451

Dieser Text ist erstmals erschienen in Splatting Image Nr. 82.

Die DVD von Filmgalerie 451

Die DVD zu „Rammbock“ ist üppig ausgestattet und verfügt – den Festivalerfolgen sei’s gedankt – nicht nur über eine englische Untertitelspur, sondern neben Making ofs, Production Stills uns anderem auch über Marvi Krens und Benjamin Hesslers Abschlusfilm „Schautag“, der ein glänzendes Beispiel für filmisch unzuverlässiges Erzählen darstellt und sich zusammen mit Monika Treuts „Ghosted“ in die Riege guter jüngerer deutscher Gruselfilme einreiht.

Die Ausstattung der DVD im Einzelnen:

Bild: 16:9
Ton: Deutsch (DD 5.1 & DD 2.0)
Untertitel: Englisch
Extras: Kurzfilm „Schautag“, Interview mit Marvin Kren und Benjamin Hessler, Making of „Rammbock“, Teaser, Fotogalerie, Trailer, Wendecover
FSK: ab 16 Jahre
Preis: 12,99 Euro

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