Der Blick in den Psychopathen

Eine Folge der zunehmenden Mediatisierung des Gewaltverbrechens ist die Verschiebung der Perspektive, die der Film seinem Gegenstand gegenüber einnimmt. Ließen sich in der Frühzeit des Psychothrillers noch hochgradig spekulative und reißerische Titel vermarkten, so verlangt das Publikum, dessen Wissen nicht zuletzt durch die Filmgeschichte selbst genährt wurde, heute nach differenzierten Betrachtungen. Der diesbezügliche Wandel wird recht deutlich, wenn man sich Remakes von bestimmten Stoffen (z. B. Es geschah am helllichten Tag, D 1958 vs. The Pledge, USA 2001) oder Wiederaufnahmen bestimmter authentischer Fälle (z. B. des Ted Bundy-Falls in The deliberate Stranger, USA 1986 vs. Ted Bundy, 2002) im Spielfilm ansieht. Mit dieser neuen Betrachtungsweise einher geht auch ein »intentionaler Gestus« des jeweiligen Filmautoren, der sein Werk nun nicht länger allein als reine Unterhaltung, sondern darüber hinaus auch als »Studie« über seinen Gegenstand verstanden wissen will (siehe meinen Beitrag über die Jack the Ripper-Adaptionen in dieser Ausgabe).

„Der Blick in den Psychopathen“ weiterlesen

Aus 10 mach 4

Monolithisch steht es nun schon seit 15 Jahren in der Filmlandschaft und man kommt an ihm nicht vobei: Das Lexikon des internationalen Films. Als Zusammenstellung der seit Ende des zweiten Weltkrieges für den katholischen Filmdienst entstandenen Filmkritiken hat es Umfang und Bedeutung wie kein zweites Nachschlagewerk erhalten – und das trotz aller Kritik am vermeintlichen Dogmatismus des filmdienst, aus dessen Kurzbesprechungen das Lexikon seine Kritiken rekrutiert.

„Aus 10 mach 4“ weiterlesen

Cronenberg als Objekt klein a.

Manfred Riepe: Bildgeschwüre, Bielefeld: [transcript] 2002

Jeder Leser Freuds, denke ich, wird sich seiner ersten Eindrücke erinnern: Eine unglaubliche Voreingenommenheit für die am wenigsten wahrscheinlichen Interpretationen, ein fanatisches Insistieren auf dem Sexuellen. Und alles in seinen verfallenen, pervertierten Formen: Bedeutung, Wort, Handlung – heruntergekommen zu lächerlichen Kalauern.
„Cronenberg als Objekt klein a.“ weiterlesen

Vorstoß in die Zone

Das filmische Werk Andrej Tarkowskijs stellt ästhetisch wie narrativ eine Ausnahmeerscheinung der Filmgeschichte dar. Wie kaum ein zweites lässt es auch heute noch den Rezipienten mit Fragen zurück, gibt Anlass zur tiefergehenden Reflexion. Die quasi-autistische Verschlossenheit, mit der Tarkowskij in seinen Filmen existenzielle Thematiken wie Isolation, Entfremdung, Grenzerfahrungen, das Sein des Menschen überhaupt verhandelt, macht eine Auseinandersetzung auf philosophischer Ebene so erkenntnisversprechend wie naheliegend. Marius Schmatloch hat sich mit dem vorliegenden Band dieser Aufgabe gestellt.

„Vorstoß in die Zone“ weiterlesen

Ab 18

Zensur neigt, als ideologisches Projekt, dazu, sich selbst überflüssig zu machen. Ihr Ziel ist nicht das eigene, gleichsam ewige Fortbestehen, sondern im ideellen Sinne an der eigenen Überkommenheit zu arbeiten. Nicht der sanktionierende Rotstrich, nicht der schwärzende Balken stehen im Focus, sondern das Buch, der Film, die Ästhetik, die aufgrund dieser besonderen Bedingungen erst gar nicht zustande kommen. Zensur ist also nicht allein Filtern, sondern vor allem auch Prävention. Deshalb gibt es auch keine institutionelle Zensur mehr – es wäre auch reichlich töricht, heutzutage zu schwärzen. Etabliert wurde vielmehr, ein paar Modernisierungen später, ein ineinandergreifendes »Patchwork« aus ökonomischen, juristischen und sozialen Sanktionen, welches einer zensurierenden Ideologie nur noch in Ausnahmefällen aktiv in die ästhetischen und kulturellen Diskurse einzugreifen abverlangt.

„Ab 18“ weiterlesen

Cut or Ban

»Vieles auf der Welt wäre völlig uninteressant,
wenn es nicht verboten wäre (William Faulkner)

Schon die wenigen aktuellen Fälle von Medienzensur der letzten Monate zeigen, dass auch ein demokratischer Rechtsstaat längst nicht alles erlaubt, was nicht ausdrücklich verboten ist. Die Meinungs-äußerungsfreiheit unterliegt so manchen moralischen Tabus oder gesetzlichen Beschränkungen. Manchmal notwendig, gelegentlich skurril, häufig publicitywirksam.

„Cut or Ban“ weiterlesen

Kollateralbilder

Der amerikanische Film Black Hawk Down (USA 2001, R: Ridley Scott) hat sehr unterschiedliche Reaktionen ausgelöst. Die einen – wie auch ich – sehen in dieser Visualisierung eines Militäreinsatzes keinen tauglichen Beitrag zur Diskussion um Kriegseinsätze, andere loben den von Kriegsfilmspezialist Jerry Bruckheimer produzierten Streifen wegen seiner »ungeschminkten«, »realistischen« Darstellung des Kriegsgeschehens. Es ist von »Reinheit« abseits aller politischen oder sonstigen Implikationen usw. die Rede. Das Motto lautet (altbekannt): Je »realistischer« und auch umfassender, technisch versierter das Kriegsgeschehen visualisiert werde, desto näher sei man am Thema und desto »realistischer« könne Krieg dargestellt und empfunden werden.

„Kollateralbilder“ weiterlesen

And the Roads Lead to Nowhere.

Wes Cravens Last House on the Left (1972) ist ein Vorläufer des Rape-Revenge-Genres, in dem auf eine Vergewaltigung gewaltsame Rache folgt. Er gehört zu denjenigen Filmen, die sich durch die Visualisierung exzessiver am Körper, am Fleisch verübter Gewalt auszeichnen und daher als Splatter bezeichnet werden. Die Entstehung des Splatterfilms wird mit der kulturellen Situation in den USA der Vietnam-Ära in Zusammenhang gebracht. Als filmische Vorläufer gelten Hitchcocks Psycho (1960) sowie frühe amerikanische Exploitation-Filme der 1960er Jahre, wie Herschell Gordon Lewis’ Blood Feast (1963) oder George A. Romeros Night of the Living Dead (1968). Neben den Verbindungen von Splatterfilmen der 1970er Jahre zum amerikanischen (Low-Budget-)Kino der vorausgehenden Dekade lassen sich aber auch Einflüsse des europäischen Autorenkinos auf das Genre ausmachen. Regisseure wie Carpenter, DePalma, Hooper und Romero werden in Anlehnung an den Auteur-Begriff dem sich in den späten 1960ern entwickelnden »American Auteurism« zugerechnet (Carroll). Am Beispiel von Last House wird diese Verbindung offenkundig, denn bei Cravens Film handelt es sich um ein Remake von Jungfrukällan des schwedischen Regisseurs Ingmar Bergman von 1960. Der Film lief in den USA und Deutschland im selben Jahr unter dem Titel Virgin Spring respektive Die Jungfrauenquelle an. Das Drehbuch zu Bergmans Film wurde von der schwedischen Romanautorin Ulla Isaksson verfasst. Isaksson greift dabei auf eine Vorlage zurück: sie adaptiert den Stoff einer mittelalterlichen skandinavischen Ballade. Dieser kann den Aneignungen also noch hinzugefügt werden. Last House on the Left bildet damit den vorläufigen Abschluss der Reihe intermedialer und intertextueller Transformationen, die im Folgenden untersucht werden. Die Analyse konzentriert sich auf die Frage nach Strategien der Visualisierung und der narrativen Einbettung von Gewalthandlungen.

„And the Roads Lead to Nowhere.“ weiterlesen

Wundfabrikation.

»Rosa, in vielen Schattierungen, dunkel in der Tiefe, hellwerdend zu den Rändern, zartkörnig, mit ungleichmäßig sich aufsammelnden Blut, offen wie ein Bergwerk obertags […] Würmer, an Stärke und Länge meinem kleinen Finger gleich, rosig aus eigenem und außerdem blutbespritzt, winden sich, im Innern der Wunde festgehalten, mit weißen Köpfchen, mit vielen Beinchen ans Licht. Armer Junge, dir ist nicht zu helfen. Ich habe deine große Wunde aufgefunden; an dieser Blume in deiner Seite gehst du zugrunde.« (Franz Kafka: Ein Landarzt)

„Wundfabrikation.“ weiterlesen

Wunden

Wunden sind sichtbare Zeichen für Verletzung und Schmerz. Sollen diese eigentlich nicht-kommunizierbaren Phänomene vermittelt werden, so ermöglicht die Darstellung der Wunde dies noch am besten. Über sie wird beim Betrachter Empathie evoziert – aber auch Abscheu. Die blutende Wunde stößt ab – der Verwundete fordert jedoch Anteilnahme ein. Über den filmischen Kodierungsprozess und dessen Interpretation durch den Betrachter lassen sich eine Reihe sichtbarer und unsichtbaerer Wunden darstellen: von der Verletzung des Körpers über das psychische Trauma bis hin zur historischen (Erb-)Schuld. Filme bilden jede Form von Verwundung ab und bieten sich selbst als Bestandteil des Heilungsprozesses an.

„Wunden“ weiterlesen