Ausgegraben

Als Dan O’Bannon am 17. Dezember des vergangenen Jahres nach langjähriger Krankheit verstarb, ging eine Persönlichkeit des Filmgeschäfts, die zwar nicht zu den ganz Großen zählte, aber dem fantastischen Film der letzten drei Jahrzehnte doch seinen Stempel aufgedrückt hatte. Als Schreiber und Drehbuchautor war Dan O’Bannon (meist im Verbund mit Ronald Shusett) maßgeblich beteiligt an John Carpenters Debüt „Dark Star – Finsterer Stern“, an Ridley Scotts „Alien“ und dessen Sequels sowie etwa an Verhoevens „Total Recall“. Als Regisseur konnte O’Bannon zwar nicht richtig Fuß fassen, doch hinterließ er mit der Zombiekomödie „Verdammt, die Zombies kommen!“ immerhin einen maßgeblichen Vorreiter des bis heute populären Funsplatters. Dan O’Bannons Scripte waren von einem schrägen Humor geprägt und ließen jederzeit erkennen, dass ihr Autor sich seinem Genre mit Leib und Seele verschrieben hatte. Diese Vorzüge zeichnen auch den von O’Bannon gescripteten „Tot & Begraben“ von Gary Sherman aus, der jetzt nach langjähriger Indizierung (von einigen minderwertigen Bootlegs abgesehen) zum ersten Mal ungekürzt in Deutschland auf DVD erscheint. „Ausgegraben“ weiterlesen

Die Geister der Ghettos

Matt sieht tote Menschen. Seit sein jüngerer Bruder Tom spurlos verschwand, wird er von Schuldgefühlen geplagt und (vielleicht) auch vom Geist des Jungen verfolgt. Ganz schuldlos ist Matt am vermuteten Tod seines Bruders nämlich nicht, hing er doch saufend und kiffend mit seinen Freunden herum, statt sich wie vorgesehen um das Kind zu kümmern. Die Erzählung von Johnny Kevorkians Geisterfilm „The Disappeared“ setzt erst einige Zeit später ein, als Matt nach einem Aufenthalt in einer psychiatrischen Klinik nach Hause zurückkehrt und sich dort mit seinem zur Gewalttätigkeit neigenden Alkoholiker-Vater und der schmerzhaft klaffenden Lücke der Ungewissheit, die das Verschwinden Toms gerissen hat, auseinandersetzen muss. Von Erscheinungen und Stimmen verfolgt und mit der Hilfe des offenbar selbst mit familiärer Gewalt konfrontierten Nachbarmädchens Amy dringt Matt immer tiefer in die Geschehnisse der Vergangenheit vor und kommt allmählich der Wahrheit näher – doch welche dunklen Geheimnisse birgt diese? Steckt der Vater selbst hinter dem Verschwinden des Jungen? Oder war es gar der offensichtlich verwirrte Matt selbst, der Schuld trägt am Tod des Kindes?

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Familienzusammenführung

Eigentlich wollte Rob Zombie nie eine Fortsetzung seines John Carpenter-Remakes „Halloween “ drehen, doch als das Studio ihm die Pläne für ein Sequel eröffnete, gemahnte ihn sein künstlerischer Stolz, sein Projekt lieber selbst zu beenden, als es in die Hände eines anderen zu übergeben. Also willigte  Zombie ein und griff das Thema des von klein auf delinquenten Michael erneut auf. Im Gegensatz zum zahmeren ersten Teil fällt „Halloween II“ durch brutale und auch groteske Gewaltdarstellungen auf. Bereits die erste Sequenz eröffnet dem Zuschauer einen voyeuristischen, doch anatomisch gut recherchierten Blick in die Erste-Hilfe-Behandlung der Überlebenden des ersten Teils, wobei einige Zuschauer bereits beim Anblick der Wundbehandlung zusammenzucken mögen. Man sieht Myers aus dem Leichenwagen fliehen und mit Brachialität  den Kopf eines Coroners mit einer Glasscherbe abtrennen. Die Unwirksamkeit und mangelnde Schärfe einer derartigen Waffe rufen durchaus Bilder der Enthauptung von Nicholas Berg durch irakische Terroristen ins Gedächtnis, die ähnlich schwerfällig mit stumpfen Schnittwaffen den Tod des Geschäftsmannes herbeiführten. (Dass freilich derartige Vergleiche ein heißes Eisen sind, wissen wir seit des Bildvergleichs von Abu Ghuraib mit Pasolinis „Die 120 Tage von Sodom“ durch Ulrich Raulff, weshalb dieser Faden gar nicht weiter gesponnen werden und nur als Anmerkung bestehen bleiben soll.)

halloween2-usposterDie einleitende Sequenz, in der Myers Laurie  bereits im Krankenhaus nachstellt, entpuppt sich, zum Glück des Regisseurs, als Albtraum der Protagonistin. Wäre dies die Realität der Exposition gewesen, hätte der Film bereits hier sämtliche Kredibilität eingebüßt, da er in diesem Fall von Minute Eins ein Slasher-Stalker-Film und somit als leidenschaftslose Pflichtproduktion erschienen wäre. Die Ehrenrettung durch das Erwachen der traumatisierten Laurie leitet einen ästhetisch wie dramaturgisch ausgeklügelteren Film ein, um dessen Nichterscheinen in deutschen Kinos es tatsächlich schade ist. Doch leider wird den deutschen Horror-Aficionados hier der Leinwandgenuss verweigert, der nur einigen wenigen dank der Macher des Fantasy Filmfests in einer Handvoll einmaliger bundesweiter Vorführungen ermöglicht wurde. Rob Zombie ästhetisiert in seinem Film das Hässliche: Neben Detailaufnahmen der von Michael Myers voll Inbrunst zerstörten Körper finden sich auf der Ton- und Bildebene absolute Kunstgriffe, die diese Gewalt zum Teil eines Gesamtkunstwerkes machen. Der gekonnte Einsatz von Schachtelmontagen und der den Zuschauer stellenweise in festgelegte Richtungen manipulierende Schnitt rufen Erinnerungen an Sergej Eisensteins Theorie der ‚Montage der Attraktionen‘ wach. So beispielsweise in der Szene, als der Sheriff versucht, seine Tochter von der Natürlichkeit des Fleischessens („man was meant to eat meat“!) zu überzeugen, während Zombie parallel dazu eine Szene montiert, in der Myers einen Hund schlachtet und dessen Innereien isst.

Wie bereits im ersten Teil setzt Zombie auch in „Halloween II“ auf gekonnt in den Vordergrund gestellte Alarmsignale, um die Prägnanz von Situationen zu betonen. So dröhnte in „Halloween“  ausschließlich der Alarm des Sanatoriums, in dem der kleine Michael gerade eine Krankenschwester tödlich verletzt hat, während sich auf der Bildebene die Handlung in Slow Motion tonlos weiter vollzieht. Die Fortsetzung bedient sich eben dieses sehr effektiven Mittels, diesmal in Form einer Hupe, die aus einem verunglückten Auto schmettert, in dem Laurie sich vor ihrem großen Bruder retten wollte. Michael Myers ist kein kunstvolles Monster, das seine Morde mit Präzision ausführt wie etwa Dexter Morgan oder Hannibal Lecter. Er ist ein unbegreifliches Böses, das seine gesamte Wut an seinen Opfern entlädt, deren Körper nicht nach einem bestimmten Muster destruiert, sondern vielmehr nach Belieben zerschmettert werden. Nicht die Methode zählt, sondern der Moment der Tat. Es fällt auf, dass Myers seinen Tötungsakt mit leidenschaftlicher Wut vollzieht. Obwohl sein Gesicht aufgrund der Maske den steten Ausdruck der Gleichgültigkeit trägt, macht sich die Intensität seiner Monstrosität durch Schnaufen und stellenweise sogar Grunzen bemerkbar. Die Debatte um die bio-psycho-soziale Prägung versus die genetische Bedingtheit von Delinquenz wird durch die Figur der Laurie wie bereits im Original aufgegriffen. Einerseits ist Laurie als Opfer einer Gewalttat eine  therapiebedürftige Traumapatientin, andererseits werden besonders in ihren Albträumen und Halluzinationen Züge einer ähnlich gestörten Persönlichkeit wie die ihres Bruders Michael erkennbar. Die Trennung  von Traum und Wirklichkeit wird von Anfang an aufgehoben, indem gleich einleitend auf ein Symbol der Psychoanalytischen Traumdeutung (das weiße Pferd als Vorbote eines Akts der Brutalität und Grausamkeit) hingewiesen wird und die Anfangssequenz sich als grausamer Albtraum entpuppt. Phantasmen dieser Art durchziehen den gesamten Film: die traumatisierte Laurie wird selbst ein Jahr nach der Konfrontation mit Michael Myers noch von luziden und verstörenden Albträumen geplagt, die sich im weiteren Verlauf auch in Tagträumen und Phantasien sowie somatischen Auswirkungen manifestieren. Je mehr Myers sich dem Ort Haddonfield, Illinois nähert, desto stärker wird die Belastung für Laurie.

Regelmäßig zeigt der Film einen bärtigen, verhüllten – aber außerhalb der Morde häufig maskenlosen – Myers, der sich langsam zu Fuß einen Weg durch die Landschaft bahnt, eine Reise, die für ihn und Laurie wie vom Schicksal gefügt scheint. Trugbilder und Wahnvorstellungen durchziehen den Film, sodass der Blick nicht nur auf die Opfer, sondern – wenn auch nur teilweise – auf gewisse Aspekte des Monsters  fällt.  Es offenbart sich wiederholt die Beziehung zur Mutter (die erneut durch Zombies Ehefrau Sheri Moon Zombie besetzt und erstaunlich überzeugend dargestellt ist), die ihn als Symbol seines Drangs, die Familie wieder zu vereinen, begleitet.  Er, wie später auch Laurie, sieht diese Mutterfigur als regelmäßige Erscheinung, als imperative Stimme, die zu perfiden Taten anstachelt. Myers selbst wird in den Szenen der Interaktion mit dieser Revenanten stets als kleiner Junge gezeigt, eine Freud/Jungsche Anspielung par excellence. Rob Zombie arbeitet demnach tatsächlich mit Versatzstücken der Psychoanalyse, anstatt nur schräge Traumsequenzen zur Verwirrung seines Publikums einzubauen.

Der „Genuss“ eines derartigen Films, und damit die Wiederkehr der anatomischen Genauigkeit von Rob Zombies Gewaltdarstellungen laden eventuell  zur Neuauflage der Gewaltdebatte ein, die an dieser Stelle nicht zu ausführlich ausgetragen werden soll. Dennoch kann eine kurze Anmerkung nicht schaden: Wenn man erst einmal die Fragilität des menschlichen Körpers akzeptiert hat, ist diese ausführliche Darstellung von Gewalt zwar nicht harmloser, doch nicht so drastisch Ekel induzierend wie bei einer unbedarften und unschuldigen Art des Sehens. Das  habitualisierte Auge erkennt hier anatomische Präzision,  während der unbedarfte Zuschauer abgeschreckt und schockiert wird. In dem Seherlebnis eines Rob Zombie Films stecken demnach die Habitualisierungs- und die Inhibitionsthese theoretisch sogar unter einer Decke, anstatt in gegnerischen Ecken des Horror-Boxrings.

Halloween II (USA 2009)
Regie & Buch
: Rob Zombie; Schnitt: Glenn Garland, Joel Pashby; Kamera: Brandon trost; Musik: Tyler Bates Darsteller: Sheri Moon Zombie, Tyler Mane, Scout Taylor-Compton, Brad Dourif, Malcolm McDowell, Margot Kidder, Al Yankovic
Länge
: 105 Min. (Unrated Director’s Cut: 119 Min.)
Verleih
: Tiberius Film / Sunfilm

Jana Toppe

Schweinefleisch süßsauer

In einem kleinen südkoreanischen Bergdorf, das ausschließlich von der Landwirtschaft lebt und sich damit rühmt, noch nie Schauplatz eines Verbrechens gewesen zu sein, stapeln sich auf einmal die Leichen. Ursache für die Tode ist ein riesenhaftes Wildschwein, das auch vor Häuserwänden nicht Halt macht. Nachdem das Tier während einer großen Veranstaltung gewütet hat, macht sich eine Gruppe Unverzagter auf den Weg in den Wald, um das Tier zu erlegen … „Schweinefleisch süßsauer“ weiterlesen

Die kinematografische Unschuld der Kinder

Sich Horrorfilme zusammen mit Kindern anzuschauen bedarf schon eines sehr ausgefeilten medienpädagogischen Konzeptes oder Erziehungsprogramms. Das Weltwissen von Kindern reicht nicht aus, um viele der Genre-Motive verstehen zu können, ihre Selbstsetzung als Subjekt, das sich von den Objekten der Welt abzugrenzen in der Lage ist, ist noch zu unvollständig, um den Horror nicht über die Maßen als Bedrohung für die eigene Existenz zu empfinden – erst recht, wenn darin die Erwachsenen als Instanzen der Sicherheit und des Vertrauens so nachhaltig beschädigt werden. Umso erstaunlicher ist es vor diesem Hintergrund eigentlich, dass es so viele Filme gibt, in denen von den Kindern selbst der Horror ausgeht und die damit eben auch auf Kinder als Darsteller zurückgreifen müssen. In den entscheidenden Situationen werden die kleinen Schauspieler dann mit Handlungen konfrontiert, die sie auf der anderen Seite der Leinwand besser gar nicht sehen sollten. In Tom Shanklands neuem Horrorfilm „The Children“ wird aus dieser vermeintlichen Diskrepanz ein ästhetisches Prinzip gemacht.

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Frau fickt Tintenfisch

Layout 1„A woman is fucking an octopus.“ Mit diesen markigen Worten versuchte Produzentin Marie-Laure Reyre Andrzej Zulawskis Film zu vermarkten – nur der Startschuss für die hochgradig bewegte Editionsgeschichte von „Possession“, die erst jetzt, fast 30 Jahre nach seiner Entstehung, mit der Veröffentlichung des Films auf DVD beendet zu sein scheint. Zulawskis in das Gewand eines bizarren Horrorfilms gekleidete Abrechnung mit dem Kommunismus (und totalitaristischen Systemen überhaupt), der ihm bei seiner Arbeit in Polen so oft in die Quere gekommen war, fand trotz solcher Verkaufsbemühungen und einer medienwirksamen Aufführung bei den Filmfestspielen in Cannes 1981 nie sein Publikum: Weltweit erschien der Film später als Genrefilm beworben in radikal gekürzten, vollkommen sinnentstellenden Rumpffassungen, die ihr Publikum gar nicht erreichen konnten, oder aber – wie etwa im stets konsequenten Deutschland – überhaupt gar nicht erst verfügbar waren. Von dem erst vor kurzem ins Rennen gegangenen, aber schon jetzt unverzichtbaren Label „Bildstörung“ erscheint „Possession“ nun zum ersten Mal in Deutschland, pünktlich zum 20. Jahrestag der Maueröffnung. Ein großer Clou des jungen Labels, das so Kontext schafft und damit auch den Zugang zu einem Film erleichtert, der in den vergangenen Jahrzehnten kein Stück seines verstörenden Potenzials, seiner erschütternden Direktheit, seiner Faszination eingebüßt hat.

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Die Nacht der Jägerin

Dieser Film beruht auf einer wahren Geschichte, heißt es im Vorspann, aber das ist wohl eher abstrakt gemeint. So wie auch dieser Film der Abstraktion zuneigt, verzichtet er doch auf alles vermeintlich überflüssige Beiwerk und geht fast direkt in medias res: Durch die Augen des zehnjährigen Jimmy hetzt er durch eine lange, mörderische Nacht irgendwo im Nirgendwo des sunshine state Florida. Tatsächlich scheint sich zunächst noch die Sonne brutal in die farbgesättigten Bilder einzubrennen, doch wähnt man sich atmosphärisch eher im Herz des Bible Belt. Scheunen, endlose Maisfelder, und einsame Häuser, inmitten des Nichts. Ein Ort, an dem sich dunkle Märchen noch ereignen können.

CradleWillFallEin solches bricht auch über Jimmy herein: der abwesende Vater, die mörderische Mutter. Mehr muss man nicht wissen über den Plot von „Baby Blues“ („Cradle Will Fall“), und viel mehr gibt es auch nicht nachzuerzählen. Jimmy und seine zwei jüngeren Geschwister, ihm vom Vater vor dessen Abreise explizit zum Schutze übergeben, versuchen der zur motivlos mordenden Irren gewandelten Mutter zu entkommen und aus dem Dunkel der Nacht irgendwie in den Rettung verheißenden Tag zu entfliehen. Nicht allen wird dies gelingen… „Lauf ruhig weg. Wir haben die ganze Nacht“, so ruft die böse Mutter einmal dem erneut entkommenen, schon übel zugerichteten Jimmy nach, und macht damit sehr klar, welcher Kampf hier im Grunde ausgefochten wird: nicht der einer prosaisch Wahnsinnigen gegen ihr auserkorenes Opfer, auch nicht bloß der der bösen Mutter gegen das auf schwärzeste Weise zu initiierende Kind. Im Grunde ist es der Kampf der Nacht gegen das Tageslicht, der Einbruch des Irrationalen, der Urangst, in das nur oberflächlich heile Leben in den ruralen USA. Gegen Ende des Films kehrt Jimmy nach einer Fluchtbewegung durch Maisfelder, Ställe und Scheunen, die ihn doch nur im Kreis geführt hat, in das Haus der Familie zurück, das sich inzwischen in ein blutiges Schlachtfeld verwandelt hat. Er betritt die nunmehr in Halbdunkel gehüllte Küche, um die am Nachmittag noch die Familie versammelt war, bis der Vater sie wieder allein ließ. Jimmy schaut sich einen Moment um, wie erstaunt, als sähe er diese Küche zum ersten Mal. Ein Kaffeebecher sagt „No.1 Mom“. Plötzlich bricht alles aus ihm heraus, er wirft den Tisch um, fegt das Geschirr von den Schränken, reißt die Schubladen heraus, verwüstet die gesamte Küche. Dann erst wird er erneut versuchen, mit dem alten CB-Funkgerät seines Vaters Hilfe zu rufen. Spätestens in dieser Sequenz wird evident: Es geht nicht nur um die Mutter, die zur Mörderin wird, hier wird – bis zum beunruhigenden Ende in bitterster Konsequenz – die Familie als Institution ins Visier genommen und zerschossen.

„Baby Blues“ ist deshalb ein so guter Film, weil er so konzentriert ist. Ein bisschen wie ein filetierter Stephen-King-Roman, eine Variation auch auf Charles Laughtons Überklassiker „The Night of the Hunter“ taucht er tief in eine Welt hinein, aus deren Mythen heraus sich der Kosmos Amerika, seine Ideologeme und Träume heraus überhaupt erst verstehen lassen. Die zum Schreckensbild verzerrten Familien, die rettungslose, unerlöste Weite des amerikanischen Nirgendwo, die endlos wogenden Maisfelder – das ist eindeutig King-Territorium, doch „Baby Blues“ lässt all das pompös Aufgeblasene, das dessen Werke oft so schwer lesbar macht, einfach weg. Nicht einmal 70 Minuten benötigt er, bis der Abspann zu laufen beginnt und nichts wieder gut ist.

Cradle Will Fall
(Baby Blues, USA 2008, Wenzel Storch)
Regie: Lars Jacobson, Amardeep Kaleka; Buch: Lars Jacobson; Musik: Michael Filimowicz; Kamera: Matthew MacCarthy; Schnitt: Amardeep Kaleka
Darsteller: Colleen Porch, Ridge Canipe, Holden Thomas Maynard, Kali Majors, Joel Bryant, Gene Whitham u.a.
Länge: 74 Min.
Verleih: MIG

Zur DVD von MIG

Die DVD ist im Hinblick auf die Bild- und Tonqualität absolut brauchbar ausgefallen. Die prägnante Farbdramaturgie kommt in einem sehr guten Bildtransfer voll zur Geltung. Die deutsche Synchronfassung ist eher unterdurchschnittlich ausgefallen, aber die Originaltonspur ist wuchtig im Sounddesign und sollte ohnehin vorgezogen werden. Als Bonusmaterial gibt es nur einen Trailer sowie, für diejenigen denen das wichtig ist, ein Wendecover.

Bild: 1,78:1 (anamorph)
Ton: Deutsch (Dolby Digital 5.1, Dolby Digital 2.0), Englisch (Dolby Digital 5.1)
Untertitel: Deutsch
Extras: Trailer, Wendecover
FSK: ab 16 Jahren

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Objects in the mirror are closer than they appear

Kim Sung-Hos „Into the Mirror“ von 2003 war ein recht eleganter Beitrag zur bis heute ungebrochenen Welle asiatischer Geisterfilme, der in allerlei Schnörkeln um den im Grunde schlichten Plot herum jede Möglichkeit nutzte, seine zentrale Spiegelmetapher auszureizen und zumindest visuell immer weiter zu treiben. Immer neue Rahmungen, Spiegelungen und Reflexionen zogen dem Betrachter den sicheren narrativen Boden unter den Füßen weg, bis Kim seine Erzählung in einer konsequenten und schlussendlich tieftraurigen Pointe kulminieren ließ. Mit „Mirrors“ legt Alexandre Aja nun seine Variation auf das Motiv für den US-Markt vor – und somit auch sein zweites Remake in Folge.

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Vorsicht! Spielende Kinder

Im spanischen Original fragt der Titel: ¿Quién puede matar a un niño? – also: „Wer kann (schon) ein Kind töten?“. Diese Frage beantwortet der Film in den ersten sieben Minuten des Filmes sehr deutlich, wenn uns im Schnelldurchlauf anhand von Ausschnitten aus amerikanischen Wochenschauen das Jahrhundert, das noch so hoffnungsvoll mit Ellen Keys „Das Jahrhundert des Kindes“ (1902) eingeläutet wurde, als ein Jahrhundert des Kindes als Opfer von Krieg und Hunger – Nöten also, die von uns Erwachsenen verursacht sind – präsentiert. Vor diesem Hintergrund erhalten die Ereignisse des Films auch eine vage Erklärung – eine Erklärung die im deutschen Erst-Release des Filmes weggekürzt wurde. Der deutsche Titel damals, „Tödliche Befehle aus dem All“, reicht die Ursache des Konfliktes zwischen Erwachsenen und Kindern an ein Drittes, an eine außerirdische Macht, weiter. „Vorsicht! Spielende Kinder“ weiterlesen

Während du schläfst …

Was gibt es „unfilmischeres“ als einen schlafenden Menschen? Andy Warhol hat das 1963 fünfeinhalb Stunden in seinem Film „Sleep“ vorgeführt. Wenn der Protagonist sich nicht bewegt, nicht agiert, nicht reagiert, ist schlicht kein Spielfilm mit ihm zu machen – zumindest keiner, in dem er der alleinige Erzählgegenstand bleibt. So ist Warhols Film dann auch eher ein Experiment und ästhetische Provokation. Einen Thriller um einen schlafenden hat 2007 der US-amerikanische Regisseur Joby Harold als Debüt vorgelegt: „Awake“ insinuiert vom Titel her genau das Gegenteil von dem, worum es im Film geht.

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1-18-08

Viren und Monster scheinen auf den ersten Blick recht verschiedene Stoffwechsel zu haben. Auf der einen Seite wäre das meist aus natürlichen oder auch hausgemachten Umständen, oder von Atomstrahlen zum wachsen gebrachte Ungetüm, dessen übernatürliche Kraft ausreicht, um es locker mit einer ganzen Armee aufzunehmen; auf der anderen das Virus, das eigentlich gar keinen eigen Stoffwechsel hat und sich definitionsgemäß in einer Zwischenwelt von Leben und Tod verorten lassen muss. Das Virus ist allerdings in der Lage, die Sprache seines Wirtes zu sprechen, um sich in dessen Zellen zu reproduzieren, wohingegen das Monster weitestgehend auf die Überzeugungskraft seiner nackten Präsenz setzt. Matt Reeves‘ „Cloverfield“ schafft es in gewisser Hinsicht, beides zu vereinigen und überschreitet dabei die Grenzen seines eigenen Films.
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Kathartische Rückversicherung

Auch das australische Hinterland beherbergt den Redneck. Den grimmigen Antipoden zu Crocodile Dundee hat bereits Greg McLean mit „Wolf Creek“ auf die Leinwand gebracht (welcher als Produzent auch an „Storm Warning“ beteiligt ist). Hier nun hat er Gesellschaft bekommen, ist zu einer dreiköpfigen Familie, einem Vater und zwei Brüdern, gewachsen und nach wie vor auf den zivilisierten Städter nicht gut zu sprechen. Das bietet mittlerweile nicht mehr allzuviel Anlass zur Verwunderung: „The Texas Chainsaw Massacre“ samt Prequel, „Hostel“, „The Hills have Eyes“ und „Wrong Turn“ samt Fortsetzungen, nicht zuletzt eben auch „Wolf Creek“ haben genügend Steilvorlagen geboten, um die Pioniere des 70er und frühen 80er Terrorfilms des vergangenen Jahrhunderts ins zeitgenössische Kinogedächtnis zu retten und lassen mittlerweile nicht mehr sonderlich viel Variationsbreite des bekannten Sujets zu. Indem die urbanisierten Eindringlinge die Fesseln ihrer inneren Naturbeherrschung abstreifen und ihnen nichts anderes bleibt, als sich den enthemmten Trieben ihrer hinterwäldlerischen Antagonisten anzugleichen, um das eigene Überleben zu sichern, bleibt ihnen zum Schluss meist die kathartische Erkenntnis von der eigenen Bestialität im Korsett der zivilisatorischen Hybris.

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Tales from the Scrap

In den frühen 1980er Jahren, als die „Twilight Zone„-Fernsehserie es gerade unter prominenter Beteiligung ins Kino geschafft hatte und kurz bevor die „Tales from the Darkside“ gerade das Fernsehprogramm eroberten, erschien von einem schon damals sehr erfolgreichen Autorengespann ein Episodenhorrorfilm, der in Sachen Bildästhetik und Erzählhaltung stilbildend werden sollte. „Creepshow“ war das Kind des Schriftstellers Stephen King und des Horrorfilmregisseurs George A. Romero – die erste Kooperation der beiden – und erzählte im Stil der US-amerikanischen „EC Comics“ fünf gruselige, groteske und streckenweise grausame Geschichten mit übersinnlichem Charakter. Unter der Regie Michael Gormicks setzten beide 1987 „Creepshow“ mit einem zweiten Teil fort, der zwar nicht ganz die Qualität des Erstlings erreichte, aber immerhin eine typische Handschrift trug, die die Fans beider Künstler ins Kino zog. Der dritte Teil hat nun leider weder etwas mit Stephen King noch George A. Romero zu tun und vielleicht liegt es daran, dass er den Tiefpunkt der Trilogie darstellt.

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Die Wurzeln des Bösen

Man ist verleitet, einen Film, der, wie „Acacia“, das Thema Familie so eng an das Motiv eines Baums koppelt, auf der symbolischen Ebene zu lesen und vielleicht Metaphern wie den „Stammbaum“ oder die „familiären Wurzeln“ als Strukturprinzipien der Erzählung auszumachen. Bei „Acacia“ wäre ein solches Vorgehen jedoch zu nahe liegend und würde vielleicht dazu führen, viele Facetten des Films zu übersehen oder unterkomplex und klischeehaft zu deuten. Dass man überhaupt zu solch einer Lektüre verführt wird, liegt zum einen am Untertitel, den der Verleiher e-m-s dem koreanischen Film gegeben hat (eben: „Wurzeln des Bösen“), andererseits daran, dass in „Acacia“ viele Stil- und Motivtraditionen des westlichen Kinos aufgegriffen und mit denen des ost-asiatischen Geisterfilms amalgamiert werden.
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Flöhe im Waschbärpelts

Der italienische Regisseur Dario Argento gehört zu denjenigen Filmemachern, deren kontinuierlicher Output das Gesicht des europäischen Genrefilms seit über drei Jahrzehnten mitbestimmt. Angefangen als typischer Vertreter des „Giallo“-Thrillers in den frühen 1970er Jahren über Horrorfilme in den 1970er und 1980er Jahren bis hin zu Horror- und Mysterystoffen, die Argento bis heute inszeniert, zählt er sicherlich zu den „Masters of Horror“ und damit zur Reihe illustrer Regisseure, denen der Produzent Mick Garris seit 2005 eine Kurzfilmreihe widmet. In dieser dürfen sich Genregrößen wie Stuart Gordon, Joe Dante, Tobe Hooper, John Carpenter und einige andere an knapp einstündigen Kurzfilmen versuchen, die oft die spezifische Handschrift, die die Macher in ihrer Karriere entwickelt haben, aufgreift und in der „kleinen Form“ verdichtet. Gerade das ab Mitte der 1990er Jahre zunehmend desaströser geratene Alterswerk Argentos zeigt in beiden bislang von ihm inszenierten „Masters of Horror“-Episoden deutlich, dass diese Hommagen nicht immer ihren Zweck erfüllen.

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Vom Wandel der Perspektiven

Die zeitgenössische Renaissance des Splatterfilms drückt sich nicht bloß in der schlichten Entität zahlreicher Neuinterpretationen der klassischen Gattungsvertreter aus, sondern geht auch einher mit einer sukzessiven Transformation der ihnen zugrunde liegenden Sujets und Motive, der man mit neuen Kategorisierungsversuchen, wie etwa dem sogenannten Torture Porn, beizukommen versucht. „Welcome to the Jungle“ ist kein genuines Remake, dennoch drängt sich der Vergleich zu Ruggero Deodatos 1980 enstandenen Kannibalenfilm „Cannibal Holocaust“ förmlich auf: Hier wie dort begibt sich eine Gruppe, in diesem Fall zwei sehr gegensätzliche adoleszente Pärchen, in die Tiefen des Dschungels; hier wie dort sind sie Vertreter westlicher Hegemonialmächte, angetrieben nicht nur von dem Willen ein Geheimnis zu lüften, sondern auch aus dessen Aufklärung entsprechendes Kapital zu schlagen und hier wie dort bekommt der Zuschauer das quasi unverfälschte Destillat dieser Expedition präsentiert: nämlich die unbearbeiteten Aufnahmen des verschollenen Grüppchens, obgleich ungeklärt bleibt, wie dieses Rohmaterial in die Hände eines findigen Produzenten gelangen konnte, um einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht zu werden.

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Wenn der Nebel sich lichtet

Wie sehr sich die Ereignisse von 9/11 in die öffentlichen Diskurse eingeschrieben haben, wird nicht zuletzt an einem Film wie Frank Darabonts Der Nebel offenkundig, den man heute kaum noch anders als als Allegorie auf die Angst und Unsicherheit im Gefolge scheinbar irrationaler Terrorakte und die Erstarkung des religiösen Fanatismus in deren Gefolge betrachten kann. Dabei folgt diese Verfilmung einer Kurzgeschichte Stephen Kings von 1980 den Regeln eines fast vierzig Jahre alten Genres: des Katastrophenfilms. „Wenn der Nebel sich lichtet“ weiterlesen

Schwein oder Nichtschwein?

Ein Greis sackt im Wüstensand zusammen, stößt einen beinahe unmenschlichen Schrei aus, unter dem sich sein Körper aufbäumt; ein Autowrack hängt kopfüber in einem vertrockneten Baumgerippe, wird von einer rätselhaften Lichtquelle angestrahlt; ein Mann sitzt auf dem Turm eines Windrades, das von einer Horde Schweine umgestürzt wird; eine Känguruhschlachterei in einer verrotteten Fabrik mitten im Nirgendwo.

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Die Einsamkeit des Wurstfachverkäufers

Am Ende des Gemetzels wankt der Koloss mit der Kettensäge langsam ins Dunkel. Sein Tagewerk ist verrichtet, das Geheimnis der Familie bewahrt. Doch er strahlt keine Freude aus, kein rauschhafter Triumph beflügelt ihn. Sein Kopf ist gesenkt, er wankt wie ein angeschlagener Boxer, erschöpft. Dann verschluckt ihn die Nacht. Der nächste Morgen wird auch nur einen weiteren Tag der Arbeit für ihn bereithalten, die er gewohnt zuverlässig verrichten wird.

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Lesen, Morden, Schreiben

Glaubt man dem Film, bekommen Serienmörder im Gefängnis selten gute Ideen für ihr Leben in Freiheit. Das war bei Kargls „Angst“ so und ist auch noch bei Demmes „Schweigen der Lämmer“ nicht anders gewesen. Auch Antonio Frau, der wegen eines Eifersuchtsmordes an seiner Ehefrau 25 Jahre (!) einsitzt, hat sich für die Zeit nach seiner Freilassung etwas vorgenommen: Er will seine Überlegungen zur Lektüre der Biografie des französischen Serienmörders Henri Landru in die Tat umsetzen und zu einem berühmten Frauenmörder werden. Ihm kommt entgegen, dass er von seiner Tante ein großes Haus (ehemaliges Bordell) erbt, in welchem er sich ein Zimmer einrichtet, das allein diesem Zweck dienen soll. Um sich den Anschein von Bürgerlichkeit zu geben, heiratet Antonio eine Krankenschwester, die ihn in ihren Nachtschichten permanent betrügt. Das ist ihm jedoch egal, denn gerade nachts führt Antionio auch nichts Gutes im Schilde.

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