Wenn der Nebel sich lichtet

Wie sehr sich die Ereignisse von 9/11 in die öffentlichen Diskurse eingeschrieben haben, wird nicht zuletzt an einem Film wie Frank Darabonts Der Nebel offenkundig, den man heute kaum noch anders als als Allegorie auf die Angst und Unsicherheit im Gefolge scheinbar irrationaler Terrorakte und die Erstarkung des religiösen Fanatismus in deren Gefolge betrachten kann. Dabei folgt diese Verfilmung einer Kurzgeschichte Stephen Kings von 1980 den Regeln eines fast vierzig Jahre alten Genres: des Katastrophenfilms.
18826206.jpgFamilie Drayton ahnt nichts Böses, als sie am Morgen nach einem gewaltigen Sturm eine Nebelbank beobachtet, die über die nah gelegene Gebirgskette Richtung Stadt kriecht. Schon wenig später wird diese Nebelbank zu einer tödlichen Bedrohung: Vater David befindet sich mit seinem Sohn beim Einkauf im örtlichen Supermarkt, als ein Mann blutüberströmt hineinstürmt und von merkwürdigen Wesen stammelt, die seinen besten Freund geschnappt hätten. Nach der Begegnung mit einem Tentakelwesen beschließt eine Gruppe von Männern, unter ihnen auch David Drayton, sich im Supermarkt zu verbarrikadieren und auf Hilfe zu warten. Doch während sich die Bedrohung von außen in allerlei fremdartigem und gefräßigem Krabbeltier an der Schaufensterscheibe konkretisiert, lässt jede Hilfe auf sich warten. Die Anspannung unter den Eingesperrten wächst, zumal die religiöse Fanatikerin Mrs. Carmody mit ihrem Gerede vom Jüngsten Gericht mehr und mehr Anhänger um sich schart. Bald ist die Bedrohung durch die Christofaschisten im Supermarkt größer als die durch die Monstren im Nebel …

Nebel gehört seit den seligen Universal-Schinken der Dreißigerjahre zum Inventar des Horrorfilms. Er repräsentiert das Unheimliche, das langsam, aber unaufhaltsam ins Bewusstsein kriecht, die ungreifbare Latenz, aus der sich alles das herausschälen kann, vor dem wir uns fürchten. Der Nebel ist, das wissen wir spätestens seit John Carpenters „The Fog – Nebel des Grauens“, die perfekte Kinometapher: Er ist gleichzeitig die Projektionsfläche, die Leinwand für unsere Ängste, wie auch der Raum, in dem diese Ängste Gestalt annehmen. Frank Darabont hat die ungebrochene Kraft dieses Bildes erkannt und einen Film daraus gemacht, dessen Erfolg aus den vielseitigen Deutungsmöglichkeiten erwächst und diese gleich mit thematisiert. Wie Kinozuschauer starren die Supermarkt-Insassen auf die Scheibe, die sie von dem unheimlichen Nebel trennt, versuchen den Weißraum vor ihnen mit ihren Blicken zu durchdringen, die doch immer wieder nur davon abprallen. Formal arbeitet Darabont mit allen filmischen Stilmitteln, die ein Versinken unmöglich machen, die Gemachtheit seines Films zu jeder Sekunde verdeutlichen: Fokusverlagerungen und Schwenks vom Bildvorder- auf den Bildhintergrund duplizieren das quasifilmische Erlebnis der Protagonisten, sogar ein Zoom – mittlerweile beinahe verpöntes Mittel der Fokussierung – kommt zum Einsatz. Die reale Angst vor dem Unbekannten, Unerklärlichen, so scheint er uns sagen zu wollen, gehorcht denselben Mechanismen wie der Spannungsaufbau eines Films.

Wie der Katastrophenfilm interessiert sich auch Darabont vor allem für die Reaktionen der Menschen auf die Katastrophe, für die sozialen Prozesse, die in Gang gesetzt werden, wenn sie sich in einer Ausnahmesituation befinden. Doch anders als Erdbeben, Poseidon Inferno oder Flammendes Inferno ist die Katastrophe in Der Nebel nicht auf Versagen der Technik oder die Rache der Natur zurückzuführen, sie ist der Einbruch der Irrationalität selbst. Die Protagonisten stehen nicht vor der Aufgabe, zu handeln, Wege zu finden, sich zu retten, sondern vor allem zu verstehen. Eine Aufgabe, die umso schwieriger ist, weil das Licht der Erkenntnis den Nebel nicht durchbricht, die suchenden Blicke ihn nicht durchdringen. Welche Entscheidung die richtige ist – die für die Vernunft oder die für Gott –, entscheidet sich erst, wenn sich der Nebel der Unwissenheit lüftet. Doch für manchen ist es bis dahin schon zu spät …

Der Nebel
(The Mist, USA 2006)
Regie: Frank Darabont, Drehbuch: Frank Darabont, Kamera: Ronn Schmidt, Musik: Mark Isham, Schnitt: Hunter M. Via
Darsteller: Thomas Jane, Marcia Gay Harden, Laurie Holden, Andre Braugher, William Sadler
Länge: 124 Minuten
Verleih: Senator

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