Die Nacht der Jägerin

Dieser Film beruht auf einer wahren Geschichte, heißt es im Vorspann, aber das ist wohl eher abstrakt gemeint. So wie auch dieser Film der Abstraktion zuneigt, verzichtet er doch auf alles vermeintlich überflüssige Beiwerk und geht fast direkt in medias res: Durch die Augen des zehnjährigen Jimmy hetzt er durch eine lange, mörderische Nacht irgendwo im Nirgendwo des sunshine state Florida. Tatsächlich scheint sich zunächst noch die Sonne brutal in die farbgesättigten Bilder einzubrennen, doch wähnt man sich atmosphärisch eher im Herz des Bible Belt. Scheunen, endlose Maisfelder, und einsame Häuser, inmitten des Nichts. Ein Ort, an dem sich dunkle Märchen noch ereignen können.

CradleWillFallEin solches bricht auch über Jimmy herein: der abwesende Vater, die mörderische Mutter. Mehr muss man nicht wissen über den Plot von „Baby Blues“ („Cradle Will Fall“), und viel mehr gibt es auch nicht nachzuerzählen. Jimmy und seine zwei jüngeren Geschwister, ihm vom Vater vor dessen Abreise explizit zum Schutze übergeben, versuchen der zur motivlos mordenden Irren gewandelten Mutter zu entkommen und aus dem Dunkel der Nacht irgendwie in den Rettung verheißenden Tag zu entfliehen. Nicht allen wird dies gelingen… „Lauf ruhig weg. Wir haben die ganze Nacht“, so ruft die böse Mutter einmal dem erneut entkommenen, schon übel zugerichteten Jimmy nach, und macht damit sehr klar, welcher Kampf hier im Grunde ausgefochten wird: nicht der einer prosaisch Wahnsinnigen gegen ihr auserkorenes Opfer, auch nicht bloß der der bösen Mutter gegen das auf schwärzeste Weise zu initiierende Kind. Im Grunde ist es der Kampf der Nacht gegen das Tageslicht, der Einbruch des Irrationalen, der Urangst, in das nur oberflächlich heile Leben in den ruralen USA. Gegen Ende des Films kehrt Jimmy nach einer Fluchtbewegung durch Maisfelder, Ställe und Scheunen, die ihn doch nur im Kreis geführt hat, in das Haus der Familie zurück, das sich inzwischen in ein blutiges Schlachtfeld verwandelt hat. Er betritt die nunmehr in Halbdunkel gehüllte Küche, um die am Nachmittag noch die Familie versammelt war, bis der Vater sie wieder allein ließ. Jimmy schaut sich einen Moment um, wie erstaunt, als sähe er diese Küche zum ersten Mal. Ein Kaffeebecher sagt „No.1 Mom“. Plötzlich bricht alles aus ihm heraus, er wirft den Tisch um, fegt das Geschirr von den Schränken, reißt die Schubladen heraus, verwüstet die gesamte Küche. Dann erst wird er erneut versuchen, mit dem alten CB-Funkgerät seines Vaters Hilfe zu rufen. Spätestens in dieser Sequenz wird evident: Es geht nicht nur um die Mutter, die zur Mörderin wird, hier wird – bis zum beunruhigenden Ende in bitterster Konsequenz – die Familie als Institution ins Visier genommen und zerschossen.

„Baby Blues“ ist deshalb ein so guter Film, weil er so konzentriert ist. Ein bisschen wie ein filetierter Stephen-King-Roman, eine Variation auch auf Charles Laughtons Überklassiker „The Night of the Hunter“ taucht er tief in eine Welt hinein, aus deren Mythen heraus sich der Kosmos Amerika, seine Ideologeme und Träume heraus überhaupt erst verstehen lassen. Die zum Schreckensbild verzerrten Familien, die rettungslose, unerlöste Weite des amerikanischen Nirgendwo, die endlos wogenden Maisfelder – das ist eindeutig King-Territorium, doch „Baby Blues“ lässt all das pompös Aufgeblasene, das dessen Werke oft so schwer lesbar macht, einfach weg. Nicht einmal 70 Minuten benötigt er, bis der Abspann zu laufen beginnt und nichts wieder gut ist.

Cradle Will Fall
(Baby Blues, USA 2008, Wenzel Storch)
Regie: Lars Jacobson, Amardeep Kaleka; Buch: Lars Jacobson; Musik: Michael Filimowicz; Kamera: Matthew MacCarthy; Schnitt: Amardeep Kaleka
Darsteller: Colleen Porch, Ridge Canipe, Holden Thomas Maynard, Kali Majors, Joel Bryant, Gene Whitham u.a.
Länge: 74 Min.
Verleih: MIG

Zur DVD von MIG

Die DVD ist im Hinblick auf die Bild- und Tonqualität absolut brauchbar ausgefallen. Die prägnante Farbdramaturgie kommt in einem sehr guten Bildtransfer voll zur Geltung. Die deutsche Synchronfassung ist eher unterdurchschnittlich ausgefallen, aber die Originaltonspur ist wuchtig im Sounddesign und sollte ohnehin vorgezogen werden. Als Bonusmaterial gibt es nur einen Trailer sowie, für diejenigen denen das wichtig ist, ein Wendecover.

Bild: 1,78:1 (anamorph)
Ton: Deutsch (Dolby Digital 5.1, Dolby Digital 2.0), Englisch (Dolby Digital 5.1)
Untertitel: Deutsch
Extras: Trailer, Wendecover
FSK: ab 16 Jahren

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Tales from the Scrap

In den frühen 1980er Jahren, als die „Twilight Zone„-Fernsehserie es gerade unter prominenter Beteiligung ins Kino geschafft hatte und kurz bevor die „Tales from the Darkside“ gerade das Fernsehprogramm eroberten, erschien von einem schon damals sehr erfolgreichen Autorengespann ein Episodenhorrorfilm, der in Sachen Bildästhetik und Erzählhaltung stilbildend werden sollte. „Creepshow“ war das Kind des Schriftstellers Stephen King und des Horrorfilmregisseurs George A. Romero – die erste Kooperation der beiden – und erzählte im Stil der US-amerikanischen „EC Comics“ fünf gruselige, groteske und streckenweise grausame Geschichten mit übersinnlichem Charakter. Unter der Regie Michael Gormicks setzten beide 1987 „Creepshow“ mit einem zweiten Teil fort, der zwar nicht ganz die Qualität des Erstlings erreichte, aber immerhin eine typische Handschrift trug, die die Fans beider Künstler ins Kino zog. Der dritte Teil hat nun leider weder etwas mit Stephen King noch George A. Romero zu tun und vielleicht liegt es daran, dass er den Tiefpunkt der Trilogie darstellt.

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Wenn der Nebel sich lichtet

Wie sehr sich die Ereignisse von 9/11 in die öffentlichen Diskurse eingeschrieben haben, wird nicht zuletzt an einem Film wie Frank Darabonts Der Nebel offenkundig, den man heute kaum noch anders als als Allegorie auf die Angst und Unsicherheit im Gefolge scheinbar irrationaler Terrorakte und die Erstarkung des religiösen Fanatismus in deren Gefolge betrachten kann. Dabei folgt diese Verfilmung einer Kurzgeschichte Stephen Kings von 1980 den Regeln eines fast vierzig Jahre alten Genres: des Katastrophenfilms. „Wenn der Nebel sich lichtet“ weiterlesen