»It’s like freedom and democracy. In the end, China will take over, and none of this will matter.«
Die ersten Minuten kommen äußerst bekannt vor: ein Paar in einem Restaurant, eine Szene voller gegenseitigem Unbehagen, er schenkt ihr einen antiken Aschenbecher. Doch sie scheint ein wenig abgelenkt. Er soll sich nicht sorgen: »… just a little déjà-vu!« Mit einer nahezu identischen Sequenz hatte Todd Solondz bereits „Happiness“, 1998 inszeniert und noch immer sein Meisterwerk, begonnen, jenes Horrorkabinett aus sexuellen Obsessionen und gescheiterten Existenzen, das er nun, eine gute Dekade später, mit „Life during Wartime“ fortschreibt.
Die durchweg neu besetzten Protagonisten von „Life during Wartime“ sind bereits aus „Happiness“ bekannt: die beziehungsunfähige Liedermacherin Joy, ihr hyperneurotischer Ehemann Allen, der pädophile Vergewaltiger Bill, das nach den Geschehnissen des ersten Films von Bill geschiedene desperate housewife Trish und der seltsam frühreife Sohn Timmy, die im Alter vom Ehemann verlassene Mutter Mona. Und Andy. Andy, damals noch von Jon Lovitz gespielt, saß am Anfang von „Happiness“ Joy im Restaurant gegenüber und schenkte ihr besagten Aschenbecher, direkt nachdem sie mit ihm Schluss gemacht hatte. Dann beschimpfte er sie, ging heim und beging Selbstmord. Nun spukt er in Gestalt des ehemaligen US-Kinderfernsehstars Paul Reubens, durch einen Sexskandal ruiniert und der große Besetzungscoup dieses Films, als todtrauriges Gespenst durch „Life during Wartime“ und die Träume der gemarterten Joy. Ebenfalls eine Art Geisterexistenz führt der soeben aus der Haft entlassene Bill für seinen Sohn, der ihn für tot hielt. Und als ein Wiedergänger aus einem anderen Film taucht der aus „Welcome to the Dollhouse“ bekannte Harvey Wiener auf, der Trish einen Ausgang aus der ganz und gar unausweichlichen Welt von Todd Solondz verspricht.
Im Anschluss an „Happiness“ ist es schnell immer deutlicher geworden, wie sehr Solondz der Abstraktion zustrebte. Bereits „Storytelling“ war in zwei Hälften gespalten, die oberflächlich nichts mehr miteinander zu tun haben wollten, und „Palindromes“ entführte dann endgültig in ein hermetisches Spiegelkabinett, in dem Versatzstücke aus Solondz’ Œuvre variiert und in geradezu manischer Manier immer aufs Neue durchgespielt wurden. Auch „Life during Wartime“ ist nicht einfach nur ein Sequel, obwohl Solondz hier die Erzählstränge aus „Happiness“ relativ geradlinig wieder aufgreift und weiterspinnt. Stattdessen sperrt er seine Figuren in tableauhaften, von Pastellfarben und großflächigen Mustern dominierten Szenenbildern ein und verknotet ihre Geschichten in einer fatalistischen Boshaftigkeit, die als einzige Erkenntnis zulässt, dass niemand sich selbst und seinen privaten Dämonen jemals entkommt. Das ist nicht mehr, wie noch „Happiness“, ein böser Zwilling zu P.T. Andersons „Magnolia“, sondern erinnert schon beinahe an die surrealen Endspiele eines Roy Andersson.
»We’re still a country at war«, heißt es einmal ganz unvermittelt, und damit dringt nur scheinbar ein bisschen Außenwelt in die Egozentrismen der Solondz’schen Protagonisten ein. Zwar sind immer mal wieder, in derlei hohlen Phrasen, der Krieg und der Terrorismus präsent, doch scheinen diese eher Metaphern für das innere Kriegsgebiet der zerstörten Menschen zu sein. Ein Pädophiler ist wie ein Terrorist, so heißt es da, und statt Antworten auf seine drängenden Fragen nach der eigenen Familiengeschichte zu erhalten, wird der junge Timmy von seiner bigotten Mutter nur immer weiter mit leeren Worthülsen verwirrt. Das Scheitern (und die Proliferation) eines Weltbildes der Schwarz-Weiß-Kontraste in einer Welt der Graustufen ist sicher auch eines der Themen von „Life during Wartime“: Ein Terrorist, so heißt es am Schluss, wenn die avisierte Ersatzfamilie bereits im Ansatz wieder in ihre Einzelteile zerfällt und an der Last des Unausgesprochenen scheitert, könne per se keine nachvollziehbaren Gründe für sein Handeln haben. Schließlich sei er Terrorist und hasse die Freiheit. Ein Hoffnungsschimmer, vielleicht, oder im Gegenteil der in Stein gemeißelte Fluch der gepeinigten Seelen in der Welt von Todd Solondz, die abschließende Sentenz: »I don’t care about freedom and democracy. I just want my father.«
Life during Wartime
(USA 2009)
Regie & Buch: Todd Solondz; Kamera: Ed Lachman; Schnitt: Kevin Messman
Darsteller: Shirley Henderson, Michael K. Williams, Allison Janney, Michael Lerner, Ciarán Hinds, Paul Reubens, Dylan Riley Snyder, Charlotte Rampling, Ally Sheedy u.a.
Länge: 98 Min.
Vertrieb: Fortissimo Films
Dieser Text ist erstmals erschienen in Splatting Image Nr. 82.