Unterweltler statt Hinterwäldler

Was einst ein archaisches Initiations- und Bewährungsritual war, das ist heute zum flachen, enthemmten Besäufnis entleert worden. Der Junggesellenabschied, so erfahren wir an exponierter Stelle in Peter A. Dowlings Horrorfilm „Stag Night“, geht auf ein Jagdritual archaischer Stämme zurück, die den Bräutigam vor der Hochzeit auf die Hirschjagd schickte – und somit in einen Kampf auf Leben und Tod. Erlegte der junge Mann das Tier, erwies er sich somit seiner Braut als würdig; gelang es ihm nicht, so ließ er sein Leben in diesem Duell auf Augenhöhe. In einen Kampf auf Leben und Tod stolpern auch die Freunde Mike, Carl und Joe, die gemeinsam mit Mikes Bruder Tony den Junggesellenabschied von Mike feiern wollen – obgleich sich der Ehemann in spe seiner Sache gar nicht mehr so ganz sicher ist, scheint ihm doch der eigene Lebensweg zu glatt und ungebrochen.

Nachdem die angeheiterte Clique, dank der mangelnden Manieren des tendenziell aggressiven Tony, aus der Bar fliegt, in der sie eigentlich den Abend verbringen wollte, verschlägt es sie in eine fast ganz verlassene U-Bahn, wo sie lediglich noch auf die beiden Frauen Michelle und Brita treffen. Erneut durch Tonys respektloses Balzgebaren geraten sie in einen Streit, der schnell eskaliert, als Michelle eine Dose Pfefferspray ins Spiel bringt. Um dem zu entfliehen, zwängen die Freunde eine Tür des auf freier Strecke haltenden Zuges auf, und plötzlich finden sich alle sechs in einer stillgelegten U-Bahn-Station wieder, von deren Belebtheit eine Zeitung kündet – aus dem Jahr 1974. Bei ihrem Weg durch die Unterwelt von New York, auf der Suche nach einem Ausgang aus dem mit über 1.300 km Gleisen scheinbar endlosen Tunnelsystem, werden sie bald zur Beute für ein Rudel von verwilderten Bewohnern des Untergrundes, die Jagd auf verirrte Menschen machen, um sie selbst zu kannibalisieren oder ihren Hunden zum Fraß vorzuwerfen.

Die Ausgangssituation von „Stag Night“ ist eine sehr klassisch generische. Sowohl das bedrohliche Motiv von der unsichtbaren Zivilisation unter der sichtbaren Stadtoberfläche als auch das der Menschenjagd und der scheinbar vom Fortschritt zurückgelassenen, archaische Riten pflegenden Menschen – im Backwoods-Film die Hinterwäldler, hier die Unterweltler – zählen zu den Grundmomenten des modernen Horrorkinos. Neben zahlreichen Vorläufern aus der Kinogeschichte kommt jedoch im Falle von „Stag Night“ mit Christopher Smiths Debüt „Creep“ vor allem ein Film aus der jüngeren Vergangenheit in den Sinn, mit dem sich Dowlings Werk etliche Motive teilt. Doch war dort Hauptdarstellerin Franka Potente noch auf sich selbst gestellt auf dem Weg durch die unheimlichen Unterwelten, könnte das Personal von „Stag Night“ eher eine Konzentration auf die Gruppendynamiken innerhalb der sich selbst zunächst spinnefeind gegenüberstehenden Geschlechtergrüppchen begünstigen – und diese der unbedingten Solidarität der in ihrer Triebgesteuertheit ungezügelten Angreifer gegenüberstellen. Leider verschenkt Dowling dieses Potenzial weitestgehend, da er sich nie so recht vom Weg des allzu Erwarteten zu entfernen traut.

Das beginnt schon in der Charakterisierung der Protagonisten, die eher dem Pappkameradenarsenal für gut geölte Horrorfilmplots entstammen denn an irgendeinem Moment der Erzählung einmal wirklich zum Leben erweckt zu werden. Auch das wäre im Grunde nicht schlimm, wenn denn die Mechanik des Ganzen wenigstens so richtig gut funktionieren würde. Denn oberflächlich ist jedenfalls die erste Hälfte von „Stag Night“ dem Referenzfilm von Christopher Smith sogar überlegen: Wo „Creep“ noch in zwei Hälften zerfiel, aber den in Schauspiel und Dialog geradezu dilettantischen ersten Part durch eine unbarmherzige Terrorregieführung in der zweiten Hälfte mehr als ausbügelte, läuft der auch in den Schock- und Suspensesequenzen in seiner betont rasanten Montage vor allem an einen flashigen Videoclip erinnerende „Stag Night“ eigentlich so reibungslos ab, dass man sich schlussendlich kaum noch an etwas daraus zu erinnern vermag, sobald der Abspann über den Bildschirm läuft. Dabei ist doch, das hat Smith vielleicht ein wenig besser verstanden als Dowling, der Todesstoß für einen jeden Horror- und Splatterfilm nicht etwa das Ungeschliffene, Auseinanderklaffende – sondern vielmehr die poppig aufbereitete, mühelose Konsumierbarkeit. Zu viel Oberfläche, zu wenig Unterbau – schade.

Stag Night
(USA 2008)
Regie & Buch: Peter A. Dowling; Musik: Benedikt Brydern; Kamera: Toby Moore; Schnitt: Vanick Moradian
Darsteller: Breckin Meyer, Kip Pardue, Scott Adkins, Vinessa Shaw, Karl Geary, Sarah Barrand, Luca Bercovici u.a.
Länge: 84 Min.
Verleih: Koch Media

Zur DVD von Koch Media

Die DVD ist technisch hervorragend und hat, von einem Trailer abgesehen, keinerlei Bounsmaterial.

Bild: 1,85:1 (16:9 anamorph)
Ton: Deutsch (DTS, Dolby Digital 5.1), Englisch (Dolby Digital 5.1)
Untertitel: Deutsch
Extras: Originaltrailer
FSK: ab 18 Jahren

Diese DVD bei Amazon kaufen
Diesen Film auf BluRay bei Amazon kaufen

Schreibe einen Kommentar

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.