Blutbad

Kamera: Maik Rauhmann

Piranha
(USA 2010)
Regie: Alexandre Aja; Buch: Pete Goldfinger, Josh Stolberg; Musik: Michael Wandmacher; Kamera: John R. Leonetti; Schnitt: Baxter
Darsteller: Richard Dreyfuss, Ving Rhames, Elisabeth Shue, Christopher Lloyd, Eli Roth, Jerry O’Connell u.a.
Länge: 88 Minuten
Verleih: Kinowelt

Unterweltler statt Hinterwäldler

Was einst ein archaisches Initiations- und Bewährungsritual war, das ist heute zum flachen, enthemmten Besäufnis entleert worden. Der Junggesellenabschied, so erfahren wir an exponierter Stelle in Peter A. Dowlings Horrorfilm „Stag Night“, geht auf ein Jagdritual archaischer Stämme zurück, die den Bräutigam vor der Hochzeit auf die Hirschjagd schickte – und somit in einen Kampf auf Leben und Tod. Erlegte der junge Mann das Tier, erwies er sich somit seiner Braut als würdig; gelang es ihm nicht, so ließ er sein Leben in diesem Duell auf Augenhöhe. In einen Kampf auf Leben und Tod stolpern auch die Freunde Mike, Carl und Joe, die gemeinsam mit Mikes Bruder Tony den Junggesellenabschied von Mike feiern wollen – obgleich sich der Ehemann in spe seiner Sache gar nicht mehr so ganz sicher ist, scheint ihm doch der eigene Lebensweg zu glatt und ungebrochen. „Unterweltler statt Hinterwäldler“ weiterlesen

Der Tag danach

Podcast mit Jörg Buttgereit, Jochen Werner und Stefan Höltgen über:

  • Summer Wars (Sama Wozu, Jp 2009, Mamuro Hosoda)
  • Heartless (GB 2009, Philip Ridley)
  • Survival of the Dead (USA 2009, George A. Romero)
  • Daybreakers (USA/Australien 2009, Michael & Peter Spierig)
  • The Shock Labyrinth: Extrem – 3D (Jp 2009, Takashi Shimizu)

»Die Menschen verfilmen heutzutage aber auch alles!«

Zu den medialen Vorboten des Kinos zählt neben der Oper vor allem das Wachsfigurenkabinett. Bereitete erstere den Weg für die synästhetische, multimediale Darstellung von Inhalten, so lieferte zweitere die „Einstellung“ einer Szenerie, die durch die stillgestellte Bewegung auf ihre Kunsthaftigkeit (die Mise-en-scène) hinweist. Die große Affinität zwischen den beiden Medien hat sich bereits recht früh darin niedergeschlagen, dass das Wachsfigurenkabinett zu einem filmischen „Topos“ wurde. 1924 hatte Paul Leni ein solches zum Handlungsort seines Films „Das Wachsfigurenkabinett“ ausgewählt; neun Jahre später entstand Michael Curtiz‘ „Das Geheimnis des Wachsfigurenkabinetts“, von dem André de Toth 1953 ein Remake mit dem Titel „Das Kabinett des Professor Bondi“ drehte, das zuletzt 2005 von Jaume Collet-Serra neu aufgelegt wurde. All diesen Filmen ist gemein, dass sie Horrorfilme sind. Und auch der 1988 entstandene Film „Waxwork“ von Anthony Hickox fällt in diese Reihe – und beteiligt sie wie alle anderen ebenfalls an der allgemeinen Reflexion über die Filmizität des Wachsfigurenkabinetts.

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Die Nacht des Lebendigen weicht vor der Helligkeit des Todes

Der Körper des Verurteilten und der pathologische Körper

Leben wir in einer Gesellschaft, die den körperlichen Horror und das Spektakel ausschließt und gegen Disziplin und Überwachung eingetauscht hat? Der französische Philosoph Michel Foucault geht von einer solchen Verschiebung im Diskurs z. B. bei der Strafgewalt aus. Wie Steffen Hantke bemerkt, findet man eine der härtesten Horrorszenen nicht in einem Film des gegenwärtig boomenden Slashergenres (z. B. Scream, USA 1996), sondern auf den ersten Seiten von Foucaults Überwachen und Strafen: »Am 2. März 1757 war Damiens dazu verurteilt worden, vor dem Haupttor der Kirche von Paris öffentliche Abbitte zu tun«, wohin er »in einem Stützkarren gefahren werden sollte, nackt bis auf ein Hemd und eine brennende zwei Pfund schwere Wachsfackel in der Hand; auf dem Grève-Platz sollte er dann in Stürzkarren auf einem dort errichteten Gerüst an Brustwarzen, Armen, Oberschenkeln und Waden mit glühenden Zangen gezwickt werden; […]« (Foucault 1994, 9)

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»The Retina of the mind’s Eye«

In seiner einhundertjährigen Geschichte haben der Film (1) und seine Autoren stets versucht, den Nimbus der bloßen Unterhaltungsware abzulegen. Eines der nachhaltigsten Ergebnisse dieser Bemühung war, dass nach dem zweiten Weltkrieg zwischen Unterhaltungs- und Kunstfilm unterschieden wurde. Die Theorien der „Neuen Wellen“ haben aber nicht „ausgegrenzt“, sondern den vormals als Unterhaltung per se diskreditierte Genrefilm ebenfalls vom Verdacht befreit, anspruchslos zu sein: Die Western John Fords oder die Thriller Alfred Hitchcocks sind zwei Beispiele von hochgradig reflektierendem Autoren-Genre-Kino. Hinter der Differenzierung von ernstem und Unterhaltungsfilm scheint ein besonderes Ansinnen zu stecken: Der Autorenfilm soll nicht allein gefallen, sondern Intention oder doch wenigstens Bedeutung transportieren, die dem Zuschauer dann auch jenseits der Kinomauern „nützt“.

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Glaubensbekenntnis

Es ist einer der ältesten Stoffe der Kinogeschichte – doch der Plot ist nicht nur deswegen hinreichend bekannt: Die Passion Chrsti. Die vier Evangelien des Neuen Testaments erzählen die letzten Stunden im Leben Jesus Christus’. Die Schilderungen darin sind bislang obligatorisch für jeden Jesusfilm gewesen, geht aus ihnen doch das zentrale Motiv des Christentums hervor, dass einer für die Sünden aller gestorben und wieder auferstanden ist. Einer im Wortsinne „dogmatischen“ Interpretation des Leidensweges bis zur Wiederauferstehung folgt Mel Gibsons dritter Spielfilm, bei dem er nicht nur selbst Regie geführt hat, sondern auch das Drehbuch mitschrieb und produziert hat. Gibson, der mehrfach betont hat, dass sein Film eine „christliche Überzeugungstat“ für ihn darstellt, verlässt sich dabei voll und ganz auf die Aura und das mythische Potenzial seines Stoffes … und versagt.

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Tradition of Terror

Was ist der Sinn eines Remakes? In einer Zeit, in der mediale Inhalte nahezu jeden Alters für jeden frei verfügbar sind, kann es wohl kaum allein um deren aufheben (im Hegelschen Sinne: bewahren/beseitigen/erhöhen) gehen. Eine weitere (vierte) Bedeutung kommt ihm zu: die kulturelle Analyse. Das Remake funktioniert als eine Art Sozial- und Mentalitätsgeschichte seiner Quelle und deren Entstehungsgeschichte. Gerade im Film wird daher der Blick des Zuschauers nicht selten zu einem kontemporären Blick auf die Epoche aus der das Original stammt. Im Fall von The Texas Chainsaw Massacre sind es die frühen 1970er Jahre; eine Zeit, die gemeinhin als Übergangszone der hochpolitisierten späten 60er in die individualistischen 80er Jahre angesehen wird. Ein Zwischenstadium, das in der Rückschau vor allem oft mit Orientierungslosigkeit gekennzeichnet wird (vgl. die Monologe von Raoul Duke in Fear and Loathing in Las Vegas). Das Remake von Tobe Hoopers Texas Chainsaw Massacre aus dem Jahre 1974 richtet seinen Blick vor allem auf den Aufbruch gesellschaftlicher Mikrostrukturen. Ein Ergebnis der politische Kritik an den überkommenen Strukturen von Familie (Stichwort: Kommunen, freie Liebe) und eine Vorbereitung auf die zunehmende Individualisierung. „Tradition of Terror“ weiterlesen

Nicht alle E.T.s sind freundlich!

Einen Film zu verbieten ist nur eine Möglichkeit, ihn verschwinden zu lassen. Eine andere und viel effektivere ist, ihn einfach in das unterste Regal des letzten Raumes in der Videothek zu stellen und ihn dann irgendwann auszumustern. Solch ein Schicksal erlitten unzählige Filme; vor allem jene aus der Riege, die niemals in irgendeinem deutschen Kino liefen: Die B-Pictures aller Genres. Solcher Werke haben sich seit Siegeszug der DVD zahlreiche Distributoren verschrieben, um dem eigenen Programm charmantes Profil zu geben und leisten dabei en passent einen großen Dienst als Filmarchivare. Denn beim Versuch, den Film in der möglichst integralen Fassung auf DVD zu pressen, werden umfangreiche Recherchen unternommen, um die bestmögliche Kopie, verschiedene Synchronisationen und Zusatzmaterial zusammenzutragen. Bei Marketing ist in diesem Sinne jetzt der kanadische Science Fiction/Horrorfilm X-Tro erschienen. „Nicht alle E.T.s sind freundlich!“ weiterlesen

Ab 18

Zensur neigt, als ideologisches Projekt, dazu, sich selbst überflüssig zu machen. Ihr Ziel ist nicht das eigene, gleichsam ewige Fortbestehen, sondern im ideellen Sinne an der eigenen Überkommenheit zu arbeiten. Nicht der sanktionierende Rotstrich, nicht der schwärzende Balken stehen im Focus, sondern das Buch, der Film, die Ästhetik, die aufgrund dieser besonderen Bedingungen erst gar nicht zustande kommen. Zensur ist also nicht allein Filtern, sondern vor allem auch Prävention. Deshalb gibt es auch keine institutionelle Zensur mehr – es wäre auch reichlich töricht, heutzutage zu schwärzen. Etabliert wurde vielmehr, ein paar Modernisierungen später, ein ineinandergreifendes »Patchwork« aus ökonomischen, juristischen und sozialen Sanktionen, welches einer zensurierenden Ideologie nur noch in Ausnahmefällen aktiv in die ästhetischen und kulturellen Diskurse einzugreifen abverlangt.

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Wundfabrikation.

»Rosa, in vielen Schattierungen, dunkel in der Tiefe, hellwerdend zu den Rändern, zartkörnig, mit ungleichmäßig sich aufsammelnden Blut, offen wie ein Bergwerk obertags […] Würmer, an Stärke und Länge meinem kleinen Finger gleich, rosig aus eigenem und außerdem blutbespritzt, winden sich, im Innern der Wunde festgehalten, mit weißen Köpfchen, mit vielen Beinchen ans Licht. Armer Junge, dir ist nicht zu helfen. Ich habe deine große Wunde aufgefunden; an dieser Blume in deiner Seite gehst du zugrunde.« (Franz Kafka: Ein Landarzt)

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