HERR WICHMANN VON DER CDU

Don Quichotte im Kampf gegen die Windmühlen – ein altbekanntes, gerne verwendetes Bild, hier passt es wohl zurecht. Andreas Dresen, der mit HALBE TREPPE im letzten Kinojahr für eine kleine Sensation sorgte, hat für die Reihe „Denk ich an Deutschland“ des Bayerischen Rundfunks den Wahlkampf von Henryk Wichmann, Direktkandidat für die CDU in der Brandenburgischen Uckermark, mit der Kamera – kommentarlos! – begleitet. Den Wahlkampf, das sollte man vorab wissen, eines gerade mal 24jährigen Frischlings in der Welt der Bundespolitik, noch dazu in einem Wahlbezirk, der die SPD gerne mal mit absoluten Mehrheiten verwöhnt.

Zu Beginn zunächst die Demaskierung des inszenatorischen Charakters dieses, eigentlich ja jedes, Wahlkampfes: Beobachtet werden die Dreharbeiten zu Wichmanns Fernseh-Werbespot. Aufgenommen aus einem nur leicht versetzten Winkel zur eigentlichen Kamera, entpuppt sich der Spot – natürlich, wie sollte es auch anders sein – als reine Scharade, die den Zuschauer vor allem durch ihre unfreiwillige Komik zwischen den einzelnen Takes und der etwas unbeholfenen, schlacksigen Art Wichmanns zu begeistern weiß. Dann etwa, wenn die Dreharbeiten wegen störender Fußgänger abgebrochen werden müssen, und der gerade noch so einnehmend zu wirken versuchende Wichmann, der als „einer von hier“ „frischen Wind in die Poltik“ zu bringen gedenkt – Phrasen, die im weiteren Verlauf des Filmes im Minutentakt fallen werden -, sich über jene Passanten moniert und vehement in Abrede stellt, dass das potentielle Wähler sein könnten. „Die bestimmt nicht!“, meint er halb lakonisch, halb resigniert. Hier steht also einer mit dem Willen zur Macht. Allein, ihm fehlt der Wille zur Volksvertretung, so möchte man – nicht nur zu Beginn des Filmes, solche Szenen folgen noch gehäuft – meinen.

Andererseits, vielleicht weiß Wichmann auch einfach nur, welche Rolle er in der Bundespolitik der näheren Zukunft spielen wird: nämlich gar keine, nicht einmal die des Hinterbänklers. Am Ende des Filmes und all der Mühen steht, im Vergleich zur Bundestagswahl davor, ein Plus der Uckermärker CDU von exakt einem einzigen Prozent als statistisches Fazit – und wenn man mal keine Phantasterei unterstellt, dürfte das Herrn Wichmann allem herbeigeredetem Optimismus zum Trotz eigentlich auch klar gewesen sein. So ist es vielleicht gerade jener im Film nie ausgesprochene, weil vermutlich eh obligatorische Realismus, der Herrn Wichmanns Auftreten, seinen Umgang mit den Menschen auf der Straße und auf Wahlkampfdiskussion mit dem politischen Gegner nicht selten so absurd lakonisch und unbeholfen erscheinen lässt. Denn witzig – zumindest für den Betrachter im Kinosaal – ist das allemal, was uns Herr Dresen präsentiert: Wenn Politikverdrossene auf der Straße jammern, wem man denn überhaupt noch vertrauen könne, und Wichmann wie aus der Pistole geschossen „Angela Merkel!“ sagt. Wenn Wichmann nicht müde wird, vom „frischen Wind“ zu sprechend und in einer fast, aber eben doch nur fast, schon quälend langen Einstellungen allein und verlassen in irgendeinem Brandenburgischen 300-Seelen-Kaff gegen eben jenen hektisch ankämpft, um die Prospekte und Werbegeschenke zu verteidigen. Wenn er abends in einem seltsamen Imbiss – jener titelgebenden „Halben Treppe“ aus HALBE TREPPE nicht ganz unähnlich – mit einigen biertrinkenden Prolls und mit großen Augen ungläubig dreinblickenden, fackeltragenden Kindern aufsteht, um das „Deutschlandlied von unserem Heino“ singend zu begleiten – eine Szene, die in all ihrer Absurdität schon im Surrealimus zu verorten wäre. Wenn Wichmann sich auf einer Podiumsdiskussion mit seinen Gegnern vor allem durch maulende Zwischenrufe und infantilen Gesten eher schlecht als recht profiliert. Und so weiter und so fort.

Gewiss entsteht aber auch ein Dokumentarfilm, wie jeder andere Film, letztendlich erst am Schnittpult und ist somit ebenfalls in nicht zu unterschätzender Weise ein inszeniertes Werk, was – gerade aufgrund des Anspruchs zu dokumentieren, Wahres wiederzugeben – erhöhte Skepsis beim Zuschauer zur Folge haben sollte. So verrät unter Umständen gerade das, was im Dokumentarfilm nicht zu sehen ist, was im Schneideraum auf dem Boden gelandet ist, indirekt vielleicht sogar mehr über das Sujet, zumindest aber über die Blickweise der Macher auf eben dieses, als der eigentliche Film selbst. Dies gilt ungleich mehr, wenn der Film, wie der hier vorliegende, auf Video gedreht wurde und Dank dieser ökonomischen Art und Weise des Filmemachens getrost von einer großen Menge an Rohmaterial, an Footage, ausgegangen werden kann. Ist HERR WICHMANN VON DER CDU ein böser, wenn auch über weite Strecken gelungener Witz, eine boshaft-schalkische Polemik gegen die Christdemokraten? Dresen ein Sadist? Hätte der Film vielleicht nicht auch weniger absurd, für die Person Henryk Wichmann vorteilhafter, gestaltbar sein können? Eine Antwort auf diese Fragen fällt schwer.

Nun ist es aber zumindest so, dass Herr Wichmann von der CDU den Film angenommen und somit freigegeben hat. Zwar wird nicht näher erläutert, aus welchen Gründen, es ist aber anzunehmen, dass er den Film in seiner endgültigen Fassung nicht als Affront oder besonders unvorteilhafte Darstellung seiner Person wahrgenommen hat. Und das wiederum könnte man letzten Endes auch als Fazit stehen lassen, gewissermaßen ein auf der Meta-Ebene verhandeltes Sujet: Ein Film allein kann kaum eine festzulegende, einzig mögliche Aussage treffen – erst die rein subjektive Perspektive des Zuschauers, resultierend aus dessen Biographie und Sehgewohnheiten, ist es, die supplementär den Sinn hinter den Bildern schafft. Kurz: Jeder sieht seinen eigenen Film. Und zumindest der Autor dieser Zeilen hat sich köstlich amüsiert!

Thomas Groh

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