Dialektik der Aufklärung

Der „Schulmädchen-Report“, eine zwischen 1970 und 1980 entstandene 13-teilige Filmserie, ist ein Phänomen: Mit minimalem Aufwand gedreht, entpuppte sie sich zum absoluten Publikumsmagneten und steht bis heute exemplarisch für den deutschen Softsex-Film der Siebzigerjahre. Basierend auf dem gleichnamigen Aufklärungsbuch von Günther Hunold, das im Zuge der Oswalt-Kolle-Welle erschien (aber durchaus zwiespältig rezipiert wurde), wurde „Schulmädchen-Report“ für rund 250.000 DM in nur wenigen Tagen produziert und erreichte sechs Millionen Zuschauer allein in der Bundesrepublik; wie die schleunigst nachgekurbelten Teile 2 und 3 erhielt er eine Goldene Leinwand. Insgesamt erreichten alle 13 Teile zusammen weltweit mehr als 100 Millionen Zuschauer und machten Hartwig zu einem der erfolgreichsten Filmproduzenten Deutschlands.

Sex sells, das galt damals genauso wie heute, vielleicht sogar noch mehr: Das Pornografie-Verbot wurde erst 1975 aufgehoben. Hartwig bot dem Zuschauer mit seinen Filmen jedoch nicht nur nackte Haut und Sex auf der Leinwand, er gab ihm sogar ein praktisches Alibi an die Hand. Seine Filme waren ja nicht zum Zwecke der Stimulation gedrehte Schmuddelware, sondern wissenschaftlich fundierte Aufklärung mit hehrem Anspruch; zumindest sollten sie diesen Anschein erwecken. Die Betrachtung der Serie ist aus heutiger Sicht gleich mehrfach erhellend: Zum einen, weil sie trotz ihres offenkundig exploitativen Charakters für viele bundesdeutsche Zuschauer tatsächlich eine Art aufklärerische Funktion gehabt haben dürfte, zum anderen, weil sie mit ihren zwar fadenscheinigen, aber eben auch erfolgreichen Authentifizierungsstrategien eine Art filmischer „self-fulfilling prophecy“ darstellt.

51xdmimojel_ss500_.jpgDer erste „Schulmädchen-Report“ beginnt – wie auch die zwölf folgenden – mit einer Rahmenhandlung, in die sich dann die einzelnen Episoden eingliedern: Bei einem Schulausflug setzt sich einer der Schülerinnen ab, um sich mit dem Busfahrer zu vergnügen. Ihr Schäferstündchen wird jedoch von der emsigen Lehrerin aufgedeckt, es kommt zur aufgeregten Konferenz, bei der der Verweis der Schülerin beschlossen werden soll. Doch unter den moralisch empörten Spießbürgern findet sich auch ein aufgeschlossener junger Mann, der das Wort zugunsten des Mädchens ergreift und aufklärerisch auf die anderen Anwesenden einwirkt. Die folgenden Episoden stellen die Visualisierung seiner vorgebrachten (und angeblich authentischen) „Fallbeispiele“ dar, die die Spießbürger von der Normalität und Wichtigkeit sexueller Erfahrungen überzeugen und sie von ihrer vorgefassten Meinung abbringen sollen. Am Ende darf das Mädchen auf der Schule bleiben, die Kluft zwischen Erwachsenen und Jugendlichen ist ein wenig schmaler geworden. Um den aufklärerischen Gestus zusätzlich zu bekräftigen, gibt es sowohl einen im pseudowissenschaftlichen Jargon formulierenden Off-Kommentator, der psychologische Binsenweisheiten von sich gibt, als auch einen persönlich auftretenden Reporter (Fritz von Thun), der Frauen und Mädchen auf der Straße zu verschiedenen Aspekten der Sexualität befragt. Diese Interviews sind nur zum Teil gestellt und machen für heutige Zuschauer den großen Reiz der frühen „Schulmädchen-Reports“ aus: Der Blick eines jungen Mädchens, deren Mutter in ihrem Beisein über eigene Masturbationserfahrungen spricht, ist mit Gold nicht aufzuwiegen. Je weiter die Reihe voranschreitet, umso mehr treten diese dokumentarischen Elemente zurück: Nach dem dritten Teil verabschiedet sich der Straßenreporter Fritz von Thun (wahrscheinlich war ihm klar geworden, dass es hier nur noch ganz am Rande um Aufklärung ging) und auch die Häufigkeit der Off-Kommentare nimmt kontinuierlich ab, bis in den letzten Teilen der Serie nur noch ein kurzes Schlusswort übrig ist, das die banale Moral von der Geschicht zusammenfasst.

517rt3skmdl_ss500_.jpgAber welches Bild von jugendlich-weiblicher Sexualität wird überhaupt gezeichnet? Wie auch in den anderen Sexfilmen von Hartwig ist Sex vor allem Frauensache. Zwar sind auch die Männer allzeit bereit, die Initiative geht jedoch immer von der Frau aus, die – dies suggerieren die Reports jedenfalls – kaum an etwas anderes zu denken in der Lage sind. Ihren Verführungskünsten und ihrer sprichwörtlichen Geilheit steht jeder Mann machtlos gegenüber. Schülerinnen entblößen sich im Unterricht, masturbieren für jeden sichtbar oder schmieden Pläne für die nächste Eroberung. Dass Sex immer im Geheimen und selten im normalen Alltag vollzogen wird, stützt einerseits die Behauptung der Filme, in Deutschland herrsche eine allzu rigide Sexualmoral vor, andererseits scheinen die „Reports“ diese selbst fortzuschreiben: Die proklamierte Normalität des Gezeigten wird durch den voyeuristisch-sensationalistischen Blick immer wieder ad absurdum geführt, die Episoden sind so absurd, dass nur ganz Einfältige auf die Aufrichtigkeitsbehauptung der Filmemacher hereinfallen dürften. Es ist mitnichten der sachlich-nüchterne Blick des Soziologen oder Psychologen, der auf das Sexleben deutscher Jugendlicher geworfen wird, sondern der des geilen alten Mannes im Trenchcoat. Es verwundert kaum, dass sich viele der Episoden um die Verführung erwachsener Männer ranken, die genau wissen, wie man „es“ richtig macht. Der Straftatbestand der Verführung Minderjähriger wird dabei unter Zuhilfenahme der Reaktionen von der Straße grob bagatellisiert: Zum Sex gehörten ja immer zwei, Sexualität dürfe nicht vom Staat reglementiert werden, Jugendliche könnten sehr gut allein entscheiden, was für sie gut sei. Der tragische Selbstmord, mit dem eine entsprechende Episode endet, wird dann auch nicht als das Resultat einer traumatischen Verletzung dargestellt, sondern als Folge des unüberlegten Einschreitens der konservativen Eltern und einer als intolerant und reaktionär diffamierten Staatsgewalt. Ähnliches ließe sich über die Thematisierung von Rassismus, Inzest und Vergewaltigung sagen. Die oft und zurecht diagnostizierte Scheinheiligkeit der Filme spiegelt sich besonders deutlich in einem Kommentar des Off-Sprechers, der als Ursache für die neue und nicht immer gesunde Freizügigkeit jugendlicher Mädchen die Medien nennt, die immer mehr auf die Attraktivität nackter Frauenkörper setzten. Diese offensive Dreistigkeit macht Hartwigs Sexfilme überhaupt erst sehenswert.

51ndd7gwgwl_ss500_.jpgWie stellen die „Schulmädchen-Report“-Regisseure Ernst Hofbauer und Walter Boos Sex dar? In den zahlreichen Episoden wird ein sehr unbeholfenes und leistungsorientiertes Bild von Sexualität gezeichnet, das sich nicht durch einen sinnlich-emotionalen, sondern viel eher durch einen sportlich-mechanistischen Zugang auszeichnet: Jeder Ort ist für das schnelle Schäferstündchen geeignet, Brüste werden fast schon brutal durchgewalkt, Geschlechtsteile immer wieder mit infantilen Namen belegt, das rabiate Liebesspiel auf der Tonspur mit zotigen Sprüchen (Lokalkolorit wird gern durch entsprechende Dialekte erzeugt) und lustigen Geräuschen unterlegt. Der humoristisch-klamaukige Aspekt zeugt aber keinesfalls von einem souveränen Umgang mit der Materie, im Gegenteil: Er verleiht den „Schulmädchen-Report“-Filmen einen verschämt-distanzierenden Tonfall. Den Lustgewinn ihrer Zuschauer glauben Hartwig, Hofbauer und Boos in endloser Repetition zu finden. Es werden immer wieder dieselben Szenarien durchgespielt (das erste Mal, die Verführung einer Autoritätsperson, die illegitime Affäre, Inzest, Gelegenheitsprostitution, Vergewaltigung etc.), in epischer Breite und äußerster begrifflicher Konkretion immer wieder dieselben Sachverhalte breit getreten. Wenn der Zuschauer den „authentischen“ Gesprächen der Jugendlichen lauscht, wird ihm zwar vorgegaukelt „dabei“ zu sein, dahinter steckt jedoch erst in zweiter Instanz das Vorhaben, die Jugendlichen so zu zeigen „wie sie sind“: Viel eher dienen diese Sequenzen als „Vorspiel“.

Hartwigs Sex-Reports bieten reichlich Anlass für Kritik und stehen fast schon idealtypisch für das Feld des Exploitationfilms, der unter fadenscheinigen Vorsätzen niedere Instinkte zu befriedigen sucht. Dennoch ist damit noch längst nicht der Stab über ihnen zerbrochen: Zu offensichtlich ist gerade für den heutigen, medienversierteren Zuschauer ihr Anliegen, als dass man ernsthaft von einer bösartigen Manipulation sprechen könnte, zu leicht sind ihre Mechanismen und Strukturen zu durchschauen. Das gilt umso mehr für die späteren Teile der Serie, die nur noch Sexszene an Sexszene reihen und den pseudoaufklärerischen Duktus der ersten drei Teile fast gänzlich vermissen lassen. So sehr sie letztlich auch die spießige Moral fortschreiben, zu deren Zerschlagung sie vorgeblich angetreten sind, so kann man nicht in Abrede stellen, dass diese Filme auch aufklärerisch gewirkt haben. Die Siebzigerjahre erlebten eine wahre Flut von billig produzierten Softsexfilmchen, die sich von dem verkrampft-sachlichen Ansatz eines Oswalt Kolle lösten, Sex nicht mehr auf den biologischen Prozess zur Fortpflanzung reduzierten, sondern eher den spielerischen Aspekt betonten. So kann man auch die 13 Teile des „Schulmädchen-Reports“ sehen: als Spiel, als Erprobung ästhetischer und erzählerischer Konzepte zur Darstellung von Sexualität im Unterhaltungskino. Der Off-Kommentator wendet sich immer wieder ganz explizit an die erwachsenen Zuschauer mit dem Vorsatz, ihnen die Bedürfnisse der ihnen fremd gewordenen Jugend und damit auch die eigene Sexualität nahezubringen. Wahrscheinlich müssen die Filmemacher selbst mit in diese Rechnung aufgenommen werden.

Schulmädchen-Report: Was Eltern nicht für möglich halten
(Deutschland 1970), Regie: Ernst Hofbauer
Schulmädchen-Report 2: Was Eltern den Schlaf raubt
(Deutschland 1971), Regie: Ernst Hofbauer
Schulmädchen-Report 3: Was Eltern nicht mal ahnen
(Deutschland 1972), Regie: Ernst Hofbauer, Walter Boos
Schulmädchen-Report 4: Was Eltern oft verzweifeln lässt
(Deutschland 1972), Regie: Ernst Hofbauer
Schulmädchen-Report 5: Was Eltern wirklich wissen sollten
(Deutschland 1973), Regie: Walter Boos, Ernst Hofbauer
Schulmädchen-Report 6: Was Eltern gern vertuschen möchten
(Deutschland 1973), Regie: Ernst Hofbauer
Schulmädchen-Report 7: Doch das Herz muss dabei sein
(Deutschland 1974), Regie: Ernst Hofbauer
Schulmädchen-Report 8: Was Eltern nie erfahren dürfen
(Deutschland 1974), Regie: Ernst Hofbauer
Schulmädchen-Report 9: Reifeprüfung vor dem Abitur
(Deutschland 1975), Regie: Walter Boos
Schulmädchen-Report 10: Irgendwann fängt jede an
(Deutschland 1975), Regie: Walter Boos
Schulmädchen-Report 11: Probieren geht über Studieren
(Deutschland 1976), Regie: Ernst Hofbauer
Schulmädchen-Report 12: Junge Mädchen brauchen Liebe
(Deutschland 1978), Regie: Walter Boos
Schulmädchen-Report 13: Vergiss beim Sex die Liebe nicht
(Deutschland 1980), Regie: Walter Boos

Zur Schulmädchen-Edition von Kinowelt

Die 14 DVDs umfassende Box beinhaltet alle 13 Teile der Schulmädchen-Report-Serie sowie eine Bonus-DVD. Auf dieser findet sich die schon in der Erotikfilm-Box zu findende Dokumentation „Von Sex bis Simmel“ und der Nachzieher „Der Tanzstunden-Report“, der die von Hartwig etablierten Muster aufgreift, ohne jedoch deren „Qualität“ zu erreichen. Die Bild- und Tonqualität ist zufriedenstellend, ein Interview mit dem gesprächigen Hartwig sticht bei den Extras aus den üblichen Trailern und Fotogalerien hervor. Als DVD-ROM-Special gibt es diverse PDF-Dateien, am interessantesten ist sicher ein Interview mit dem Sat.1-Jugendschutzbeauftragten. Die Filme sind überwiegend ungeprüft, Ausnahmen sind die Teile 2, 8, 12 und 13 (jeweils ab 16) und Teil 11 (ab 18), die gekürzt sind.

Zur Ausstattung der DVDs:
Bild: 1,66:1
Ton: Deutsch (Dolby Digital 2.0 Mono)
Extras: Interview mit Wolf C. Hartwig, Fotogalerien, Trailer, Dokumentation „Von Sex bis Simmel“, „Der Tanzstunden-Report“, DVD-ROM-Specials
Länge: ca. 1130 Minuten
Freigabe: Ab 18
Preis: 44,97 Euro

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