Ideenklau, Kitsch und Pop-Faschismus

Die populären Mythen einer fremden Kultur zu verstehen, verlangt ein gewisses Maß an Einfühlungsvermögen und Vorurteilsfreiheit. Das wird dem Rezensenten allerdings nicht leicht gemacht, wenn er es – wie in Kazuaki Kiriyas Phantasy-Epos „Casshern“ mit einem derart beliebig zusammen gestellten ästhetischen Ptachwork zu tun bekommt. Von der Erzählung über die Motivwahl bis hin zur Ausstattung beleiht der Film westliche wie östliche Filmgeschichte und macht dabei nicht einmal vor der Ästhetik des Nationalsozialismus halt. Doch greife ich nicht vorweg, denn die Geschichte, die „Casshern“ erzählt, bildet die notwendige Basis für eine Kritik der Ästhetik des Films.
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Spit or Swallow?

In den Hexenprozessen des Mittelalters und der frühen Neuzeit galt der Succubus (was vom lateinischen „der darunter liegende“ abgeleitet ist) als weiblicher Dämon als von einem Geist besessene Frau, die mit dem Mann in ein eheliches Verhältnis tritt und ihm dann beim Beischlaf die Kraft, in Form seines Samens stiehlt. Succubi wurden mit derselben Härte wie andere vermeintlich von Dämonen Besessene und Hexen behandelt. Dass man unter ihnen eine Mutation der menschlichen Rasse zu verstehen habe, schlägt der Vampirfilm „White Skin“ vor.
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Tobe Hooper auf dem Weg zum nächsten guten Film

Von Tobe Hooper ist man es gewohnt, einen guten und dann wieder eine Hand voll schlechter Filme präsentiert zu bekommen. Fast wirkt es so, als müsse er für jeden größeren Wurf ein wenig Atem holen, indem er ein paar wenig-sagende und schlecht inszenierte Genre-Beiträge herunter kurbelt. Von dieser Warte aus gesehen wundert es also nur wenig, dass Hooper nach dem großartigen „Toolbox Murders“ mit „Mortuary“ wieder eine hunterprozentige Niete aus dem Hut gezogen hat. Die Regelmäßigkeit bringt es jedoch auch mit sich, dass man den filmästhetischen Fehlgriffen ein gewisses Wohlwollen entgegen bringt.
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»Things to remember: …«

In Zeiten, wo Videototalüberwachung keine Orwell’sche Utopie mehr ist, lebt der Mensch in ein veröffentlichtes Leben, wird Privatheit zunehmend zu einer Frage des toten Winkels. Doch nicht nur die Struktur von Gesellschaft und individueller Lebenspraxis wird durch eine derartige Verwendung des Mediums beeinflusst – das Medium selbst macht eine Transformation durch: Das Videobild verliert den Duktus der Artifizalität, wird zum Beweis für die An- und Abwesenheit des Gefilmten. Was nicht im Bild ist kann – trotz der grundsätzlichen Manipulierbarkeit des Mediums – nicht als beweisbar gelten. Zwar wird Sehen und Wissen dadurch immer noch nicht gleich gesetzt, aber das „Nichtsehen“ wird auf jeden Fall zu einem wichtigen Faktor des „Nicht-wissen-könnens“.
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»I keep my standards pretty low«

Die Filmmörder Otis Driftwood, Baby Firefly und Captain Spaulding sind in Rob Zombies „House of 1000 Corpses“ zu Kultfiguren avanciert. Der Zynismus und die Brutalität des 2003 erschienenen Films wären zuvor wohl kaum zu ertragen, die „Helden“ (jene Mörder-Familie) wohl kaum als solche annehmbar gewesen. Erst die ironische Distanz, mit der Rob Zombie sein Erstlingswerk als Hommage an die Horror- und Terrorfilme der 1970er Jahre inszeniert hat, haben diese Art Plot erträglich gemacht. Die verschrobene Optik, die mit Videoclip-Ästhetiken und Dokumentarfilmbildern angereichert war, unterstützte den anästhetisierenden Effekt des Films.
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»Pain ist the only truth«

In den Psycho-Thriller ist in den letzten Jahren Bewegung gekommen: Reale Angst- und Spannungssituationen werden – hier ist Alexandre Axas „High Tension“ aus dem Jahr 2003 das mustergültige Beispiel – zu „sinnbildlichen “ Psychogrammen. Dabei geraten Handlungselemente oder sogar komplette Erzählungen zu Introspektionen, die dem Zuschauer die teilweise psychotischen Weltzugänge und Realitätsauffassungen der betreffenden Protagonisten vor Augen führen sollen. Dass dies zumeist mit einem finalen Plot-Twist verbunden ist, in welchem das zuvor gezeigt als Traum oder Imagination entlarvt wird, darf dabei nicht als erzählerische Ausrede verstanden werden, sondern als ein Hinweis an uns, dass wir stets distanzlos in die Geschichten – und seien sie noch so irreal – eintauchen. In diese Reihe stellt sich auch der neue Film „The Dark Hours“ des kanadischen Regisseurs Paul Fox.
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A good Movie about Zodiac

„In the future, everyone will be world-famous for 15 minutes“, hatte Andy Warhol 1968 konstatiert und sich dabei auf die medialen Totalausbeutung von Neuigkeiten im Fernsehen bezogen. Im selben Jahr setzte in San Francisco eine Mordserie ein, die Warhols Prognose bestätigen sollte: Ein sich selbst „Zodiac“ nennender Killer überfiel nachts Jugendliche auf den so genannten „Lover’s Lanes“ und erschoss sie in ihren Autos. Danach wandte er sich mit Briefen und weiteren Mordankündigungen an Polizei und Zeitungen der Stadt. Schon bald war der „Zodiac“ weltberühmt – und die Tatsache, dass er bis heute nicht gefasst worden ist, hat diese Popularität noch gesteigert.
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Fünf Grad kälter

Der Zombiefilm – zumal nach seiner jüngsten Renaissance – hat sich zu einem der interessantesten Subgenres des zeitgenössischen Horrorfilms entwickelt. Maßgeblich in den 1970er und 1980er Jahren als Inbegriff des Splatterfilms mit äußerst reduzierter Handlung und Akzent auf Spezialeffekte entwickelt, ist das Konzept jüngst zu einem kritischen Statthalter im Horrorkino avanciert – fast könnte man sagen: Zombiefilme sind das intellektuelle Sediment im Genre, das sich derzeit vor allem auf die Wiederholung und Neuadaption von Geistererzählungen kapriziert. Dabei sind die Wurzeln des Zombiefilms tief im Boden des sozialkritischen Kinos verwachsen: George A. Romeros „Night of the living Dead“ (der später dann mit zwei plakativeren Fortsetzungen in den Splatterfilm überführt wurde, ohne dass diesen der kritische Gestus abging) und vielleicht solche Filme wie Jean Rollins „Pesticide“ sind frühe(re) Vertreter eines Untotenfilms, der sich vorrangig als Reflexion über Sozial- und Körperpolitik präsentiert hat. Mit Robin Campillos „They came back“ ist jetzt ein französischer Untoten-Film entstanden, der diese Haltung bis ins Extreme radikalisiert.
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»The Communist who ate children«

Die Geschichte des Serienmörderfilms hat gezeigt, dass selbst die authentischen Stoffe selten einem dokumentarischen Gestus verpflichtet waren. Immer ist das Sujet an ein Projekt, nicht selten an ein politisches Projekt gebunden gewesen. Der Serienmörder wird im Film zu einem Statthalter für moralische, politische und sozialpsychologische Fragestellungen. In „Evilenko“ ist dieses Prinzip so deutlich wie selten zuvor: David Griecos Film erzählt die Geschichte des sowjetischen Serienmörders Andrej Chikatilo, der zwischen 1978 und 1990 55 Menschen, zumeist Kinder, vergewaltigt, ermordert und teilweise gegessen hat. Chikatilos Geschichte ist historisch mit dem Untergang der Sowjetunion, initiiert durch Gorbatschows Perestroika, verbunden.
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besessen – besitzen

Der 1974 erschienene Film „Besessen“ (Originaltitel „Deranged“) stand von Beginn an im Schatten seines Konkurrenten „The Texas Chainsaw Massacre“ aus demselben Jahr. Beide Filme basieren auf Motiven eines Serienmordfalls, der zwischen 1945 und 1957 in Plainfield (Wisconsin) stattfand. Ed Gein, so der Name des Täters, plünderte Gräber, raubte Leichen und entführte und tötete Frauen. Sein hat Fall wurde zum Gründungsmythos des modernen Horrorfilms, auf dessen Geschehnisse selbst Hitchcocks „Psycho“ referiert. „besessen – besitzen“ weiterlesen

Im Land des Schweigens und der Dunkelheit

Immer dann, wenn Michael Haneke nicht jeden seiner Gedanken bis ins letzte Detail ausformuliert, sondern in Andeutungen belässt, wächst er filmisch über sich selbst hinaus. „Wolfzeit“ ist sicherlich seit „Das Schloss“ schlagender Beweis für die philosophische Tiefe des Schweigens in seinem Oeuvre. In gekonnt inszenierter Endzeitstimmung erzählt Haneke die Geschichte vom Untergang der Zivilisation. Er konzentriert sich dabei ganz auf Mikrokosmen: die Kleinfamilie, die Zweierbeziehung, die Beziehung zu sich selbst (im Tagebuchschreiben). In diesen „kleinen Momenten“ wird „Wolfzeit“ emotional. Wenn jeodch das Große, das Allgemeine, die Außenwelt thematisiert wird, macht sich Unübersichtlichkeit breit, wird Erzählung durch Verwirrung ersetzt – verbreitet sich Endzeitstimmung.
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»Fighting for the right to be someone«

In „Drum“ erzählt der südafrikanische Regisseur Zola Maseko eine „Geschichte“ über die Anfänge des Kampfes gegen die Apartheit in seinem Heimatland. Im Film lässt sie sich so an: Mitte der 1950er Jahre beginnt die Lifestyle-Zeitschrift „Drum“ Artikel ihres Redakteurs Henry Nxumalo zu veröffentlichen, die Ungerechtigkeiten und Verbrechen der Buren an der schwarzen Bevölkerung zum Thema haben. Schnell steigert das Blatt mit den gefährlichen Themen, die von der körperlichen Schikane auf den Farmen, den Folterungen und Erniedrigungen im Gefängnis und schließlich den Plänen den multi-ethnischen Stadtteil „Sophiatown“ für die weiße Bevölkerung Johannisburgs zu räumen, seine Auflage. Immer bekannter wird „Drum“ für ihren investigativen Journalismus, bei dem Henry mehr als einmal sein Leben riskiert. Schließlich beginnt sogar der sich gerade formierende ANC mit Mandela für „Drum“ und seine Macher zu interessieren. Doch als Henry immer mehr politische Verschwörungen aufdeckt, die die Schwarzen benachteiligen, ist sein und das Leben seiner Familie und Kollegen in Gefahr.

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I am a Sex Addict

„Ich erzähle ohne Realität vorzutäuschen“, sagt Caveh Zahedi über seinen Film „I am a Sex Addict“. Das ist schon deshalb eine provokative Aussage, weil er gleichzeitig betont, dass dieser wie alle seine Filme autobiografisch geprägt ist und somit durchaus (s)eine Realität referenziert. Weiterhin steht der Aussage entgegen, dass Zahedi in seinem Film selbst die Hauptrolle „spielt“ – eine Figuren namens „Caveh Zahedi“, die im Verlauf des Films mit anderen Personen der „biografischen Realität“ des Regisseurs in Interaktion tritt. Welche Art von Realität meint er also, täusche der Film nicht vor?

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»I never had a future«

Bei keinem bewaffneten Konflikt zuvor wurde der Öffentlichkeit so sehr bewusst, dass es außer den zwei verfeindeten Parteien noch eine dritte, neutrale Gruppe gibt, die in den Krieg zieht: die Journalisten. Nachrichten über verletzte, entführte und getötete Reporter gehörten zu den täglichen Meldungen. Dass der Film – an erster Stelle der Dokumentarfilm – sich der heiklen Aufgabe der Kriegsberichterstattung und Portraits der Personen hinter den Nachrichten annahm, war angesichts der großen öffentlichen Aufmerksamkeit des Themas nur eine Frage der Zeit. Nach dem politisch sehr kritischen „Crontrol Room“ (USA 2004), der die Berichterstattung von Al Jazeera mit der amerikanischer Kollegen verglich ist nun ein privaterer Beitrag zum Thema erschienen: „Bearing Witness“ erzählt die Kriegserfahrungen von fünf Journalistinnen, die neben anderen Konflikten auch aus dem Irak-Krieg berichtet haben.

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Verlorene Kindheit

Es sind die Geschichten aus dem Leben mit all ihrer Tragik, ihren komischen Momenten und ihren authentischen Figuren, die den italiensichen Neorealismus der 1940er und 1950er Jahre ausgezeichnet haben. In bis heute eindringlichen Werken wie de Sicas „Ladri di Biciclette“ (1948) oder „Germania Anno Zero“ (1948) von Roberto Rossellini sind es vor allem immer wieder die Kinderschicksale, die die zeitgeschichtliche Wirklichkeit repräsentieren. Genau in dieser Tradition steht auch Andrea und Antonio Frazzis „Certi Bambini“. Mit auf der Straße gecasteten Laien-Kinderdarstellern.

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Skandal und Attraktion

Die 15-jährige Meme und der ein wenig ältere Jere(mias) führen eine Liebesbeziehung – die erste ihres Lebens. Sie sind füreinander da, unterstützten einander in Streitsituationen und führen eine leidenschaftliche sexuelle Beziehung. Meme und Jere sind Geschwister. Sie leben im Haus der Eltern in Rio de Janeiro, wo vor allem die Mutter die bürgerliche Moral bestimmt. Als der große Bruder Ezequiel mit seiner Verlobten aus Spanien anreist, entdeckt er die heimliche Beziehung seiner kleinen Geschwister, verprügelt Jere und schwört diesen darauf ein, die Mutter nichts erfahren zu lassen. Doch bald darauf erwischt auch diese ihre Kinder in flagranti und das mühsam konstruierte Bild der heilen Familie bricht zusammen.

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It’s the sense of Touch!

Humanismus, Rassismus und Straßenverkehr in Paul Haggis’ „Crash“

»I think we miss that touch so much,
that we crash into each other,
just so we can feel something.«
(Graham)

Los Angeles gilt als die Stadt mit dem höchsten Auto-pro-Einwohner-Verhältnis der Welt. Darüber hinaus ist die Stadt zum traurigen Sinnbild für permanente Rassenkonflikte geworden. Beide Themen sind in der Vergangenheit immer wieder auch in Filmen aufgearbeitet worden. 1993 wirft Joel Schumacher in „Falling Down“ einen bitteren Blick auf die Konflikte zwischen den verschiedenen Ethnien in Los Angeles – zwei Jahre später inszeniert David Cronenberg dort in seinem Film „Crash“ eine Verkehrsdystopie. Paul Haggis’ ebenfalls mit „Crash“ betitelter Film greift nun beide Themen auf, deutet sie jedoch positiv um und wirft damit einen hoffnungsvollen Blick auf die Stadt und ihre Bewohner.
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»Sometimes I feel like a motherless child«

Tobe Hooper ist wieder da! Nach neunjähriger Kinoabstinenz – sein letzter Film für die Leinwand war die Stephen King-Adaption The Mangler (1995) – wartet der Mitbegründer des Terrorfilms nun mit einem Remake auf: The Toolbox Murders. Der Film basiert auf dem gleichnamigen Slashermovie aus dem Jahre 1978 von Dennis Donnelly, welcher wiederum locker auf „wahre Begebenheiten“ einer Mordserien von 1967 zurückgeht.
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Bilder/Schrift/Sprache

Peter Greenaways Filme zählen zu den schillerndsten Werken der Filmgeschichte. Ästhetisiert bis ins kleinste Detail, versessen auf Oppulenz, musikalisch rhythmisiert, organisch, kalt – mit kaum einem Attribut wurden sie nicht versehen. Die einen unterstellen ihnen unendliche Tiefgründigkeit, die anderen geschwätzige Oberflächlichkeit. Der Variantenreichtum der Kritik zeigt bereits, dass Greenaways Filmen nicht leicht auf die Spur zu kommen ist – am wenigsten mit der Sprache, denn diese problematisieren sie von Beginn an.

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Musik und Tanz

Im vergangenen Jahr hatte es um den Exploitation-Filmer Herschell Gordon Lewis in Deutschland einiges Aufsehen gegeben, als sein hier erstmals auf DVD erschienener Debüt-Gorefilm „Blood Feast“ (USA 1963) verboten wurde (wir berichteten). Das Berliner Label CMV Laservision hat sich davon jedoch nicht beirren lassen und nun weitere Teile seiner Herschell-Gordon-Lewis-Collection veröffentlicht: „Blast-Off Girls“ (USA 1967) und „The Gore Gore Girls“ (USA 1971).

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