Spit or Swallow?

In den Hexenprozessen des Mittelalters und der frühen Neuzeit galt der Succubus (was vom lateinischen „der darunter liegende“ abgeleitet ist) als weiblicher Dämon als von einem Geist besessene Frau, die mit dem Mann in ein eheliches Verhältnis tritt und ihm dann beim Beischlaf die Kraft, in Form seines Samens stiehlt. Succubi wurden mit derselben Härte wie andere vermeintlich von Dämonen Besessene und Hexen behandelt. Dass man unter ihnen eine Mutation der menschlichen Rasse zu verstehen habe, schlägt der Vampirfilm „White Skin“ vor.

In „White Skin“ verliebt sich der Protagonist Thierry unsterblich in die etwas anämische, rothaarige Claire. Claire lehnt eine feste Beziehung zu Thierry zunächst ab, ohne diesem Gründe zu nennen. Doch die beiden finden immer wieder zusammen und werden schließlich sexuell voneinander abhängig. Diese fast schon symbiotische Beziehung, in der Thierry regelrecht die Lebenskraft ausgeht, wird von dessen Mitbewohner Henri misstrauisch beobachtet. Kurz nachdem Claire Thierry schließlich den Grund ihrer Bedenken gegenüber einer Beziehung offenbart, nämlich, dass sie unter Krebs leide, kommt sie ins Krankenhaus. Bei einem Besucht dort lernt Thierry auch Claires Familie kennen. Zwei ihrer Schwestern ist er jedoch bereits begegnet: Als sich Thierry und Henri mit zwei Prostituierten eingelassen haben, wurde Henri von einer der Frauen fast umgebracht. Auch die Schwestern erkennen Thierry wieder und drohen ihm, damit er Claire verlässt. Nachdem kurz darauf Claire aus dem Krankenhaus entführt wird, machen sich Henri und Thierry auf die Suche nach ihr und entdecken dabei das Geheimnis ihrer Familie.

Die Vampir-Geschichte in „White Skin“ greift bei dem Versuch diesem uralten Stoff noch Originalität abzugewinnen auf eine ziemlich fragwürdige Konstruktion zurück. Schon in der Eröffnungssequenz führen Henri und Thierry einen Rassismus-Diskurs, der – zu mindest von Seiten des Afro-Kanadiers Henri – im Verlauf der Handlung ständig forciert wird. Unterstützt wird dieser noch durch eine anthropologische „Black-Power“-Argumentation von Henris Tante: Sie behauptet, dass die einzig „richtigen“ Menschen die Schwarzen seien – die weiße Rasse sei nur eine Mutation und durch ihre Empfindlichkeit gegenüber Sonnenlicht zum Aussterben verurteilt. Dies offenbare sich vor allem an die dünnhäutigen, lichtempfindlichen Rothaarigen. Thierry, der das Gerede für Quatsch hält, wird von der Realität schließlich eines besseren belehrt: Tatsächlich zählen sich Claire und ihre Familie zu einer neuen weißen Rasse, die sich – um nicht zu sterben – von Menschenfleisch ernähren muss. Am liebsten sind ihnen dabei die „menschlichsten“ Menschen, also die Schwarzen. Sie können sich zwar fortpflanzen, gebären aber nur Frauen und erwarten demzufolge mit Sehnsucht die Ankunft des ersten männlichen Nachwuchses, um danach „reinrassigen“ Nachwuchs zu zeugen. Claire versucht sich diesem System durch Menschenfleisch-Verzicht zu entziehen und erkrankt – was von den Ärzten als Krebs diagnostiziert und behandelt wird.

Dieser Rassen“konflikt“ in „White Skin“ überlagert leider viel zu sehr einen anderen, der sich ebenfalls schon am Filmbeginn etabliert. Wie Landsmann David Cronenberg (auf dessen Werk „White Skin“ in etlichen Details referiert) versucht auch Daniel Roby seinen Alteritätsdiskurs zunächst als Sexualpathologie zu etablieren: Als Claire bei Thierry einzieht und der Fleischmangel ihr zusehends zusetzt, greift sie schließlich auf sein Sperma zurück: Sie lutscht die kurz zuvor gefüllten Kondome aus. Henri, der übrigens kurz zuvor mit seiner Freundin gemeinsam Cronenbergs „Rabid“ geschaut hat, beobachtet sie dabei und recherchiert im Internet, dass es sich bei dieser Praxis um Succubismus handelt. Zusammen mit seiner nicht nur in Rassen- sondern auch in Okultismusfragen bewanderten Tante verschafft er sich mehr Informationen über die Lebenspraxis dieser samenraubenden Dämonen und findet sich im physischen Verfall Thierrys zusehends in seinen Befürchtungen bestätigt.

Das Succubus-Motiv als Metapher eröffnet in „White Skin“ eine Gender-Perspektive, die recht progressiv ausformuliert wird. Die Familie Claires ist hier keineswegs als eine „Horde phallischer Weiber“ mit spitzen Vampirzähnen gezeichnet, sondern im Gegenteil als äußerst autonom in ihrem Selbstverständnis und ihrem Umgang mit den Männern. Dass sie von den Männern nicht loskommen können, ist ihr größtes Problem und so versuchen die Frauen die körperliche Transformation ihrer Rasse durch einen Inzestplan künstlich zu beschleunigen. Aber auch dazu fehlt ihnen wieder ein Mann – nämlich ein männlicher Nachkomme.

Im Film schaffen es diese beiden Motivkomplexe nicht, sich gegeneinander zu behaupten. Und das führt letztlich zu dem recht schwachen und undurchdachten Eindruck, den „White Skin“ hinterlässt. Sowohl Schauspieler als auch ästhetische Ausführung sind durchaus gelungen, prallen aber immer wieder am undurchdachten und in seinen Rassen-Theorien zum Widerspruch reizenden Plot ab. Ein weniger an solcherlei Erklärung des Vampirismus hätte dem Film sehr gut zu Gesicht gestanden. So aber driftet er schließlich sogar in B-Film-Gefilde ab, als die Schlusssequenz eine gesunde, sich vom freiwillig abgezapften Blut Thierrys ernährende Claire zeigt … die hochschwanger auf die Geburt des ersten Kindes wartet und das Geschlecht lieber nicht wissen will.

White Skin
(La Peau Blanche, Kanada 2004)
Regie: Daniel Roby, Buch: Joël Champetier, Musik: René Dupéré & Martin Lord, Kamera: Eric Cayla, Schnitt: François Bégin & Daniel Roby & Yvann Thibaudeau
Darsteller: Marc Paquet, Marianne Therien, Frédéric Pierre, Jessica Malka, Julie LeBreton, Lise Roy u.a.
Länge: 89 Minuten

Die DVD von Sunfilm Entertainment:

Bild: 16:9 (1:1,85 anamorph)
Ton: Deutsch (DD 5.1, DTS), Französisch (DD 5.1)
Untertitel: dt. UT
Extras: Audiokommentar, Deleted Scenes
FSK-Freigabe: ab 16 Jahren
Preis: 17,99 Euro
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Stefan Höltgen

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