Im Land des Schweigens und der Dunkelheit

Immer dann, wenn Michael Haneke nicht jeden seiner Gedanken bis ins letzte Detail ausformuliert, sondern in Andeutungen belässt, wächst er filmisch über sich selbst hinaus. „Wolfzeit“ ist sicherlich seit „Das Schloss“ schlagender Beweis für die philosophische Tiefe des Schweigens in seinem Oeuvre. In gekonnt inszenierter Endzeitstimmung erzählt Haneke die Geschichte vom Untergang der Zivilisation. Er konzentriert sich dabei ganz auf Mikrokosmen: die Kleinfamilie, die Zweierbeziehung, die Beziehung zu sich selbst (im Tagebuchschreiben). In diesen „kleinen Momenten“ wird „Wolfzeit“ emotional. Wenn jeodch das Große, das Allgemeine, die Außenwelt thematisiert wird, macht sich Unübersichtlichkeit breit, wird Erzählung durch Verwirrung ersetzt – verbreitet sich Endzeitstimmung.

Hanekes Film erinnert an Filme wie Tarkovskijs „Stalker“ oder Rollins „Pesticide“ – beides ebenfalls hervorragende Variationen des Weltuntergangsthemas. Ihnen gleich ist auch „Wolfzeit“ ein ästhetisch äußerst reduzierter Film: keine Filmmusik (wo in „Stalker“ und „Pesticide“ noch minimalistische Klänge Stille verbreiteten). Und auch die Farben wirken „still“: Wie bei Rollin und Tarkovskij glaubt man, einen Schwarzweißfilm gesehen zu haben. So sehr hat sich die lebendige Welt aus dem Film zurück gezogen.

Die Figuren müssen in ihrer Motivation notwendigerweise angedeutet bleiben. Was Haneke schon immer zur Desorientierung des Zuschauers gekonnt eingesetzt hat (vgl. vor allem in seiner „Vergletscherungs“-Tetralogie), dient in Filmen wie „Wer war Edgar Allen?“, „Das Schloss“ oder nun „Wolfzeit“ dazu, die Menschen mit ihrer ins Zweidimensionale eingestürzten Umwelt zu verschmelzen. Hanekes Figuren kommen immer irgendwie aus „der Stadt“, die für unerreichbares Leben in Sicherheit steht und verlieren sich immer in der Einöde, deren Entropie ihre Lebensenergie vollständig aufzehrt. „Wolfzeit“ ist ein Film, der wie kaum ein anderer Tristesse, Angst und Hoffnungslosigkeit zu einem Motiv der Bewegung (durch den Raum und durch die Handlung des Films) stilisiert. „Wolfzeit“ ist vielleicht der Endzeitflm, der in Wenders „Der Stand der Dinge“ hätte gedreht werden sollen.

Die DVD, die jetzt bei absolutMEDIEN erschienen ist, ist wie der Film schmucklos und passt deshalb als Edition so gut zum Thema. Einzig ein „Making of“ zeigt die Entstehung des Films und liefert Kommentare der Crew vor allem Isabelle Hupperts. Haneke erklärt dort auch, warum ein Audiokommentar fehlt, ja fehlen muss: weil dieser wohl einzig zur Erklärung der Intention gedient hätte. Das wäe bei einem derartig stillen Film, der alles mit Bildern sagt, eine fatale Reduktion.

Wolfzeit
(Deutschland/Österreich/Frankreich 2003)
Regie & Buch: Michael Haneke; Kamera: Jürgen Jürges; Schnitt: Nadine Muse & Monika Willi
Darsteller: Isabelle Huppert, Béatrice Dalle, Patrice Chéreau, Rona Hartner, Maurice Bénichou
Länge ca. 110 Minuten
Ausstattung: Sprachen: deutsch/französisch; UT: deutsch; Extras: Making of, Trailer, Bio-/Filmografie Michael Hanekes
Verleih: absolutMEDIEN

Stefan Höltgen

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