Mediologie

Div.: Mediologie Band 1-10, Reihe im DuMont-Verlag 2001-2004

In den 1980er Jahren sind in den Geistes- und Kulturwissenschaften alte Theorieparadigmen umgestürzt und neue errichtet worden. Strukturale Psychoanalyse, Postmoderne, Poststrukturalismus, Diskursanalyse, Dekonstruktion, New Historicism und andere Theoriebewegungen haben das Denken und Schreiben der deutschen Geisteswissenschaften radikal verändert und erst die Kultur- und Medienwissenschaften ermöglicht, wie wir sie heute kennen. Zwei jüngere Theoriestränge sind dabei spezifisch deutsche Formationen, und erst seit kurzer Zeit wird deutlich, wie hoch ihr Einfluss auf das gesamte Spektrum von Philosophie, Soziologie, Literatur-, Film- und Medienwissenschaften ist.
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Die Geburt des urbanen Grauens aus dem Musikfernsehen.

»Der Himmel über dem Hafen
hatte die Farbe eines Fernsehers,
der auf einen toten Kanal eingestellt ist.«
(William Gibson: Neuromancer)

»Ich will ihn schon die ganze Zeit davon überzeugen,
dass wir zusammen einen Zombiefilm machen.
Wenn Chris den drehen würde, wäre das der beste verdammte Zombiefilm ever.
Aber er macht sich zuviel Gedanken um sein Bild in der Öffentlichkeit
und will nicht so recht.«
(Aphex Twin)

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Martin Scorsese und das System „Georg Seeßlen“

Mit Konzepten wie dem Tod des Autors bei Roland Barthes, der Auflösung des Autors in den Diskursen bei Michel Foucault, der Grammatologie von Jacques Derrida und der Intertextualität, die Julia Kristeva aus dem Werk von Michail Bachtin übersetzt, hat sich das Verhältnis des Lesers zum Schriftlichen gründlich geändert. Statt abgeschlossener Bücher gibt es nur mehr ein einziges Schriftuniversum aufeinander verweisender Zeichen. Alles ist ein Text. Oder wie Derrida kursiv und im Zentrum seiner Grammatologie formuliert: „Ein Text-Äußeres gibt es nicht.“ Georg Seeßlen, die Schreibmaschine der deutschsprachigen Filmpublizistik, formuliert in einem seiner seltenen Interviews:
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Full Metal Yakuza

Die Tagline „Takashi Miike meets Robocop“ zu Takashi Miikes Full Metal Yakuza aus dem Jahr 1997 ist erstaunlich treffsicher. Der Film spielt souverän mit den Formeln des Cyborggenres nebst einiger anderer, die wegen ihres Exploitationwertes heranzitiert werden. In bewusstem Verzicht auf Sinn und Verstand wird in Full Metal Yakuza versucht, mit offensichtlich eher bescheidenen Mitteln in jeder Szene das Sensationelle herauszukitzeln. Keisuke Hagane, eine unbedeutende Putzkraft, ist ein großer Bewunderer von Tosa, einem Yakuza-Boss. Der mit farbigen Drachentätowierungen übersäte Rücken und sein Schwert werden zu Symbolen für Macht und Potenz, an der sich Haganes eigenes Versagertum umso deutlicher abzeichnet. Sieben Jahre nachdem Tosa eine Gruppe rivalisierender Yakuza eigenhändig mit dem Schwert erledigt hat und dafür im Gefängnis gelandet ist, ist Hagane der unfähigste Yakuza in der gesamten Organisation. Er kann nicht nur seine Aufgaben als Geldeintreiber und Killer erfüllen, sondern hat auch ständig Schulden bei seiner Freundin Naomi, die er überdies sexuell nicht befriedigen kann. Als Höhepunkt seiner Demütigung wird er von vier Jugendlichen beraubt und zusammengeschlagen. Mit Tosa, den er nach sieben Jahren aus dem Gefängnis abholt, gerät er in einen Hinterhalt des konkurrierenden Yomo und wird erschossen. Danach wechselt das Genre. Ein Mad Scientist bastelt ihm einen neuen Körper, der zum größten Teil aus Metall, aber auch aus dem Yakuza-Rücken von Tosa besteht, und trainiert ihn zu einem Superhelden-Cyborg-Kämpfer, einem Power Ranger nicht ganz unähnlich. Der Racheplot kann anlaufen. Endlich ermächtigt, aber mit einem monströsen Körper ausgestattet, zieht Hagane seine blutigen Kreise durch die rivalisierenden Yakuza-Banden. Er zieht an den Strand und wohnt dort in einer provisorischen Zelthütte, wo ihn Tosas ehemalige Freundin Yokoi um Liebe anbettelt, bis sie seinen Full Metal Yakuza-Körper erblickt. Ihr Racheversuch gegen Yomo endet kläglich. Der Ton des Films, der nach der Gefangennahme Yokois die idyllischen Strandszenen in Parallelmontage mit einem Ketten-Bondage-S/M-Set-Piece konterkariert, ändert sich merklich. Yokoi wird gefoltert und vergewaltigt, bis sie sich auf blutige Weise selbst umbringt. Hagane, der mit ihrer Gefangennahme erpresst werden soll, muss dies alles über ein Cyberauge miterblicken und startet seinen finalen und äußerst blutigen Rachefeldzug gegen Yomo und seine Yakuza.
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Cronenberg als Objekt klein a.

Manfred Riepe: Bildgeschwüre, Bielefeld: [transcript] 2002

Jeder Leser Freuds, denke ich, wird sich seiner ersten Eindrücke erinnern: Eine unglaubliche Voreingenommenheit für die am wenigsten wahrscheinlichen Interpretationen, ein fanatisches Insistieren auf dem Sexuellen. Und alles in seinen verfallenen, pervertierten Formen: Bedeutung, Wort, Handlung – heruntergekommen zu lächerlichen Kalauern.
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Wundfabrikation.

»Rosa, in vielen Schattierungen, dunkel in der Tiefe, hellwerdend zu den Rändern, zartkörnig, mit ungleichmäßig sich aufsammelnden Blut, offen wie ein Bergwerk obertags […] Würmer, an Stärke und Länge meinem kleinen Finger gleich, rosig aus eigenem und außerdem blutbespritzt, winden sich, im Innern der Wunde festgehalten, mit weißen Köpfchen, mit vielen Beinchen ans Licht. Armer Junge, dir ist nicht zu helfen. Ich habe deine große Wunde aufgefunden; an dieser Blume in deiner Seite gehst du zugrunde.« (Franz Kafka: Ein Landarzt)

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