Zusammenfassung und unendlicher Ausblick

Einen Dokumentarfilm von Werner Herzog zu schauen hieß immer schon auch einen Dokumentarfilm über Werner Herzog zu sehen zu bekommen. Gemäß dem Credo des Autorenfilms lässt sich die Handschrift des Künstlers durch objektivierende Ästhetiken nicht entfernen, sondern bloß verschleiern. Herzog hat aus dieser Not eine Tugend gemacht und immer schon seinen Blick auf die Welt präsentiert, der nicht zuletzt schon durch die Wahl des Sujets bestimmt wurde: Oft sind es verzweifelte Abenteurer, denen er mit der Kamera folgt, die er beim Scheitern filmt, dabei selbst zum Abenteurer und Scheiternden wird und so das portraitierte Motiv performativ verdoppelt. Ab den späten 1990er-Jahren begann Herzog dann immer häufiger, die von ihm gefundenen Bilder und Töne selbst zu zitieren, als bediene er sich an einem filmphilosophischen Baukasten, dessen eigene Terminologie er verarbeitet und weiterentwickelt. Wohin ihn das geführt hat, lässt sich sehr deutlich an seinem Dokumentarfilm „Begegnungen am Ende der Welt“ sehen: ans Ende der Welt und in den Solipsismus.

Echte Bilder könne man auf der Erde kaum noch finden, hatte Herzog bereits 1985 in Wim Wenders‘ „Tokyo-Ga“ konstatiert; auf dem Mars oder dem Saturn sei dies vielleicht noch möglich. Was Herzog sucht, scheint ein Pendant zum „weißen Fleck auf der Landkarte“ zu sein, jenem geografischen Mysterium, dem die Entdecker der Neuzeit nachgejagt sind – sie hatten materielle Reichtümer im Sinn, Herzog sucht „Durchsichtigkeit“. Der wahrhaft letzte Ort, an dem diese noch auffindbar scheint, ist die Antarktis, zu der Herzog vor etwa fünf Jahren gereist ist. Ein unwirtlicher Ort, einzig von Tieren und seltsamen Vögeln besiedelt, glaubt man Herzogs Filmbildern. Jeder der Wissenschaftler und Arbeiter, den er dort trifft, hat immer auch eine zweite Geschichte, eine Vorgeschichte, die ihn an dieses Ende der Welt verschlagen hat. Da gibt es den ehemaligen Banker, der Globetrotter geworden ist, die Frau, die in Lateinamerika medizinische Helferin gewesen ist und dort fast umgebracht wurde, den Vulkanforscher, der sich immer schon am liebsten ganz nah an den Krater heran gewagt hat, die Klimaforscher, die einen riesigen weißen Wetterballon steigen lassen wollen  …

… und spätestens hier wird der Herzog-Kenner aufmerksam, denn hier wirkt der Film wie eine Zusammenfassung seines Werks. Diese „Figuren“ kennt man nicht nur als abstrakte aus den Filmen und Dokumentationen Herzogs, sondern als ganz konkrete Figuren. Fast jedem, den Herzog in der Antarktis aufsucht, hat er im Laufe seiner Filmografie schon einmal einen Dokumentarfilm gewidmet. Dem Vulkan-Freund in „La Soufrière“ ebenso wie dem Ballon-Konstrukteur in „The White Diamond“ oder dem Eremiten, der nur noch mit den Tieren leben will, in „Grizzly Man“. Man meint, es müsste fast so sein, dass sie sich alle in der Antarktis treffen, denn auch ihnen sind vielleicht die Extremziele abhanden gekommen. Leider – so betont Herzog immer wieder – ist die Antarktis aber auch nicht mehr rein fürs Abenteuer. Längst haben sich dort kolonialistische Verhaltensweisen breit gemacht. Es gibt Yoga-Schulen im Örtchen und Einkaufsmöglichkeiten, was Herzogs Zivilisationsekel regelrecht auf die Spitze treibt. Er flieht die karge Zivilisation dort, um in den weißen Weiten der Eiswüste auf das gesuchte Extrem zu stoßen.

Das Selbstzitat ist in „Encounters at the End of the World“ ebenso ins Extreme gesteigert, wie jener manische Zivilisationshass; Herzog redet aus dem Off immer wieder davon, dass die Menschheit sich bald selbst ausgerottet haben wird, was sich an der Zerstörung der Antarktis bereits deutlich absehen lässt. Dann gibt es wieder jene Durchsichtigkeit, die er derzeit nur unterhalb des Eises aufspüren kann. In elegischen Kamerafahrten unterhalb des Eispanzers filmt er eine Welt voller kalter und stiller Wunder, die gleichzeitig eine Utopie darstellt, indem sie zeigt, wie eine Welt ohne Menschen wäre. Wahrscheinlich kann man Herzogs Film gar nicht ernst nehmen – dazu wirkt er viel zu extrem und gleichzeitig durch die Selbstzitate viel zu gebrochen. Wahrscheinlich ist „Encounters at the End of the World“ wie zahlreiche Antarktis-Berichte der letzten 150 Jahre vor allem eines: eine Reise ins Ich, eine Introspektion, die sich im unendlich weiten Ausblick der Landschaft perfekt spiegeln lässt. Der weiße Kontinent am südlichen Ende der Erde ist für Polforscher und -reisende immer schon ein „weißer Fleck“ auf der imaginativen Landkarte und – im Falle Herzogs – auch eine weiße Leinwand, die mit Bildern des eigenen Lebens zu füllen ist.

Begegnungen am Ende der Welt
(Encounters at the End of the World, USA 2007)
Regie & Buch: Werner Herzog; Musik: Henry Kaiser, David Lindley; Kamera: Peter Zeitlinger; Schnitt: Joe Bini
Mit: David Ainley, Samuel S. Bowser, Regina Eisert, Kevin Emery, Ryan Andrew Evans, Ashrita Furman, Peter Gorham u.a.
Länge: 99 Minuten
Verleih: PolyBand

Die Blu-ray-Disc von Polyband

Herzogs Digitalbilder von der Antarktis und insbesondere die Unterwasseraufnahmen werden in brillanter Schärfe reproduziert. Fast wünscht man sich, er hätte mehr Natur und weniger Menschen gefilmt, denn der Eiskontinent ist ein exzellentes Objekt für HD-Dokumentationen. Die Blu-ray-Disc von Polyband kommt mit zahlreichen Extras (insgesamt 360 Minuten Bonusmaterial) – einige davon auf einer zusätzlichen DVD – daher.

  • Bild: 1,78:1 (16:9), 1080p/24p
  • Ton: Deutsch, Englisch (DTS HD Master Audio 5.1, Dolby Digital 2.0)
  • Untertitel: Deutsch
  • Extras: Audiokommentar von Werner Herzog, Produzent Henry Kaiser, Kameramann Peter Zeitlinger; Original-Trailer, Feature: South Pole Exorcism
  • Bonusmaterial Disc 2: Demme interviews Herzog, Unter the Ice, Over the Ice, Guitars in Antarctica, South Pole Video Diary, NaGISA Sampling, The Long Take At Arrival Heights, Stacy & Ssinni@The Jetty, Two Divers + Jellyfisch + Anemone
  • Freigabe: FSK 0
  • Preis: 18,99 Euro

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