Vorwärts in die Vergangenheit

Schon wenn das Bild während der Creditsequenz von „The House of the Devil“ einfriert und der Titel in großen gelben Lettern eingeblendet wird, weiß man, dass man sich hier in einem Film befindet, der den Horrorfilmen der Siebziger Tribut zollt. Das macht Ti Wests Film noch nicht zu etwas Besonderem, gab es doch in den letzten Jahren eine regelrechte Schwemme von Filmen, die mit dem Etikett „Retro“ versehen wurden. Doch während etwa ein Regisseur wie Rob Zombie Motive und Elemente des Horrorfilms vergangener Jahrzehnte zitiert, um sie dann in einen zeitgenössischen Kontext zu transplantieren, gelingt West die perfekte Simulation eines längst vergangenen Stils und damit paradoxerweise einer der originellsten, unheimlichsten und effektivsten Horrorfilme der vergangenen Jahre.

Die Collegestudentin Samatha (Jocelin Donahue) nimmt von dem merkwürdigen Mr. Ulman (Tom Noonan) einen Job als Babysitterin an. Als sie zur vereinbarten Zeit in seinem Haus vor den Toren der Stadt ankommt, erfährt sie zu ihrer Überraschung, dass sie mitnichten auf ein Kind, sondern auf die kranke bettlägerige Mutter des Hausherrn aufpassen soll, der mit seiner Frau (Mary Woronov) zu einer wichtigen Verabredung in die Stadt muss. Allein im Haus beginnt eine lange Nacht, an deren Ende Samantha eine für das Schicksal der Menschheit entscheidende Rolle einnehmen soll …

Was „The House of the Devil“ von den ersten Sekunden an von anderen Horrorfilmen unserer Zeit unterscheidet, die oft übermäßig konstruiert, clever und möglichst meta daherkommen, ist seine Konzentration auf die Schaffung einer bestimmten Atmosphäre im Gegensatz zum Plot. Diese Atmosphäre erwächst jedoch nicht aus einer bildlichen Überfrachtung mit waberndem Nebel, einem unheilvoll säuselnden Soundtrack oder einer schummrigen Beleuchtung, sondern im Gegenteil aus erzählerischer Reduktion, Stille und einer wunderbar suggestiven, aber niemals überkandidelten Kameraarbeit, die das Geschehen unheimlich auflädt. Es passiert nicht viel in Ti Wests Film und das ist seine eindeutige Stärke.

Schon die bereits angesprochene Creditsequenz, die die Protagonistin dabei zeigt, wie sie minutenlang durch die verlassenen Campusstraßen läuft, illustriert die Methode des Films: Er verfolgt sein Ziel unaufhaltsam, aber mit geradezu aufreizender Geduld. 90 Minuten lang steuert West auf das Finale zu, ohne den Zuschauer auch nur einmal von der kurz gehaltenen Leine zu lassen, den Fuß von der Bremse zu nehmen. Diese Geduld hat einen immens aufreibenden Effekt, weil man als geschulter Zuschauer ständig damit rechnet, dass etwas passiert, sich die unterschwellige Bedrohung konkretisiert. Man sehnt sich beinahe nach der Katze, die aus dem Schrank springt, oder nach der dämlichen Freundin, die sich von hinten an die Protagonistin anschleicht, um sie zu erschrecken, doch stattdessen gibt es nur das Warten. West ergeht sich dabei keineswegs in einer langweiligen Verweigerungshaltung, die als Ausnahme ja auch nur die Regel bestätigen würde, im Gegenteil legt er einen immensen Ideenreichtum und großes Geschick im Spannungsaufbau an den Tag.

West setzt längst nicht nur auf klassische Suspense – Spannung, die aus einem Wissensvorsprung des Zuschauers gegenüber dem Protagonisten und hier eben daraus resultiert, dass man sich stets bewusst darüber ist, einem Horrorfilm beizuwohnen –, sondern enthält dem Zuschauer im gleichen Maße Wissen vor und wirft ihn so auf die eingeschränkte Perspektive der ahnungslosen Samantha zurück. Wenn sie etwa die Räume des verlassenen Hauses erkundet, bleibt der Zuschauer mit der Kamera oft allein zurück und kann das Gefühl der Isolation und das Unbehagen Samanthas am eigenen Leib erfahren. Diese beiden Ebenen der Spannungserzeugung bringt West geschickt zusammen, wenn Samantha sich von ihrer Umwelt mit einem Walkman abschottet, unter der Musikbeschallung ihre Furcht langsam vergisst und beginnt, enthemmt durch das Haus zu tanzen: Hier kollidieren das Mehrwissen des Zuschauers und seine Ahnungslosigkeit miteinander, schließlich wird ihm im Angesicht der erwarteten Gefahr ein Sinn – das Gehör – förmlich geraubt. Dies ist umso unangenehmer, als ihn der Film bis dahin geradezu darauf konditioniert hat, genau hinzusehen und zu -hören und jederzeit den Ausbruch zu erwarten. Diese Strategie ist typisch für Wests Vorgehen, der den Zuschauer während des gesamten Films einem immensen Druck aussetzt, der durch seine perfide Ausdauer ins Unerträgliche gesteigert wird.

Wurden in den letzten Jahren immer wieder einmal das Ende des Horrorgenres ausgerufen und neue Ideen gefordert, zeigt „The House of the Devil“eindrucksvoll, was mit dem bestehenden Inventar immer noch möglich ist. Es kommt nicht auf verschlungene Plotkonstruktionen oder Effektspielereien an, sondern vielmehr auf die Beherrschung der erzählerischen und technischen Mittel. Dann braucht es auch keine cleveren multimedialen Werbestrategien, kein Retro-Etikett, oder 3D-Brillen, die von den Löchern im Käse ablenken sollen. Gutes Handwerk ist eben zeitlos. Vielleicht hat West seinen Siebzigerjahre-Film auch deshalb in die Achtzigerjahre verlegen können.

The House of the Devil
(USA 2009)
Regie: Ti West; Drehbuch: Ti West; Musik: Jeff Grace; Kamera: Eliot Rockett; Schnitt: Ti West
Darsteller: Jocelin Donahue, Tom Noonan, Mary Woronov, Greta Gerwig, Dee Wallace
Verleih: Al!ve

Dieser Text erschien zuerst in Splatting Image #80.

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