Sam Spence – Zu Gast bei der deutschen Rockmusik

„Dulcimer“ heißt ein Club in Manchester, der vor allem durch sein eigenwilliges Beschallungsprogramm Bekanntheit erlangt hat. Dort legen Andy Votel und Dom Thomas eine Musik auf, die man so nirgendwo in der Stadt zu hören bekommt. Sie nennen es Turk-Jerk oder Global-Glam. Lange konnte man ihre B-Music-Mixe als „Dulcimer’s podcast – music from the bar“ abonnieren. Kommentarlos wurden die Abende zu persischem Pomegranates Pop oder French Freek gestreamt und anschließend in Internetforen diskutiert. Ob unbekannte Rockmusik aus Osteuropa und der Türkei, vergessene Library-Elektronik, Krautrock oder Filmmusik aus Pakistan, immer interessant und im Blick war die ungewöhnliche landestypische Brechung eines allgemeinen Popverständnisses der 70er Jahre – Musik von vertrauten Fremden für unbekannte Spezialisten.

Den Mix bekommt man jetzt manchmal als kostenlose Beigabe auf CD gebrannt, denn inzwischen gibt es das Label „Finders Keepers“ und aus dem abseitigen Musiktourismus von Thomas, Votel und Co. sind Produktlinien entstanden. Nun geht es darum, die Funde vertraglich zu sichern und zugänglich zu machen. Dabei werden keine Mühen gescheut: Man verhandelt bis nach Islamabad oder sucht in Prag bestimmte Urbänder und Matrizen. Zu den lokalen und thematischen Zusammenhängen wurden Reihen angelegt und passende Logos entwickelt. So gibt es für die Schätze aus Deutschland die Miner-Serie „Krautsider Music“ oder für türkischen Progrock das Label „Anatolian Invasion“.

Sam Spence (mit freundlicher Genehmigung)

Der Amerikaner Sam Spence wird als reines Gold aus deutschen Stollen betrachtet. Mit Krautrock im engeren Sinne teilte er jedoch lediglich das Plattenlabel „Kuckuck“. Zunächst kam er nach Europa um Musik zu studieren und ließ sich um 1950 in München nieder. Hier gründete er ein Studioorchester und schrieb vor allem TV-Musik. Spence ließ schon damals immer wieder auch elektronische Klänge in seine Big-Band-Arrangements einfließen, war interessiert an den neuen Klangerzeugungsangeboten der Moog Music Inc. und hatte sogar die Möglichkeit, einen der teuren Synthesizer zu erwerben. In den Münchener Bavaria Studios richtete 1969 auch der Dirigent und Komponist Eberhard Schoener ein Labor für elektronische Musik ein. Um die wenigen Instrumente, die damals in Deutschland ankamen, bildeten sich Netzwerke interessierter junger Musiker. Ein Großteil des Krautrocks ließe sich sicher auch ausgehend vom Standort, der Herkunft und Aneignung des jeweiligen Modularsystems herleiten. Beispielsweise ist Klaus Schulzes 100 kg schwerer Big Moog von der Bley-Peacock Synthesizer Show erworben worden und über Florian Fricke schließlich nach Berlin gelangt. Es wäre ein Spaß, zu ermitteln, wer auf dem Weg New York – Miesbach – Berlin – Tokio was probiert und aufgenommen hat.

Sam Spence (mit freundlicher Genehmigung)

Da verwundert es nicht, dass der damals 24 jährige Verleger Eckart Rahn seine Schallplattenfirma auch mit elektronischen Klängen schmücken wollte. Er brachte Deuter, Peter Michael Hamel und über ihn Terry Riley unter Vertrag und veröffentlichte erst einmal zwei Singles von Spence mit elektronisch grundierter TV-Musik zur Francis Durbridge-Serie „Wie ein Blitz“ (DE, 1970) und einer Coverversion des Focus-Hits „Sylvia“. Dann vermittelte er Spences Musik an ein Production-Music-Label. „The Art Of Synthesizer“ beinhaltet kurze, von Spence als „Moog Shots“ bezeichnete Stücke für den Gebrauchszusammenhang. Genutzt wurden diese synthetischen Stimmungskonzentrate zum Beispiel in Taylor Wongs Kung-Fu-Phantasmagorie „Ru Lai Shen Zhang“ (Buddha’s Palm). Etwas davon war im letzten Jahr schon auf dem Sampler „Kung Fu Super Sound“ enthalten und dokumentiert ein weiteres Mal die interessante Verbindung von deutscher Populärmusik und asiatischem Actionfilm. 1976 erschien schließlich auf „Kuckuck“ die LP „Fantastic Sounds“. Hier konnte Spence noch einmal seine Big Band-Arrangements mit elektronischen Klängen zusammenführen, ein Konzept, das sich leicht mit Gershon Kingsley und dem Space Age-Pop verbinden lässt und nur sehr wenig mit der Bedeutungsschwere damaliger Rockbands gemein hatte. Enthalten waren auch die erwähnten Single-Stücke der Filmmusik zu „Wie ein Blitz“.

Die von Finders Keepers kompilierte CD/LP „Sam Spence Sounds“ versammelt nun Titel aus den verschiedenen Produktionszusammenhängen und bringt die vielleicht interessanteste Phase im Schaffen dieses Komponisten in Erinnerung. Innerhalb des Tonträgerunternehmens „Kuckuck“ blieb Spence ein Sonderfall. Spätestens in den 80er Jahren hatten die wabernden Klangmeditationskünstler à la Deuter den Musikverlag zum New Age-Unternehmen umgebaut; den jugendlichen Musikkonsumenten war der Bundesfilmpreisträger aus Amerika lange fremd. Seine Musik galt als verdummende Cocktailunterhaltung mit Hang zum Happy Sound. Das hat sich mittlerweile geändert. Gerade von der ungewöhnlichen Verschränkung geschickter Orchesterarrangements mit aufwendig erzeugter elektronischer Geräuschkomik fühlt man sich mittlerweile nicht nur in Manchester gut unterhalten. Glückauf, finders and keepers!


Sam Spance Titelmusik zu „Carnapping“

Sam Spence
„Sam Spence Sounds“
Publisher: Cherry Red / Rough Trade, 2010
Länge: ca. 70 Minuten
Preis: 15,99 Euro

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Gernot Hennings

Bilder: Sam Spence (Website).

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