Nummer 6 gibt nicht auf

Als der TV-Sender ARTE im Herbst vergangenen Jahres die Serie „The Prisoner“ ausstrahlte und dabei auch die im deutschen Fernsehen bislang noch nicht gezeigten Folgen integrierte, kochte ein Kulturphänomen hoch, das, bis auf bei wenigen, wohl schon etwa 40 Jahre lang vergessen gewesen ist. Das Initial-Ereignis des TV-Mystery-Thrillers aus den späten 1960er-Jahren, „Nummer 6“ (wie die Serie hierzulande betitelt wurde) war lange Zeit von den Bildflächen verschwunden. Eine überteuerte DVD-Edition, längst vergriffen, gab es zwar, aber erst die jetzige Aufbereitung der Serie im Rahmen des „The 60s“-Themenmonats bei ARTE verschaffte wieder Zugang zur ihr und eine Würdigung, die erst jetzt im Rückblick möglich war. KOCH Media hat die Serie vor kurzem auf DVD und Blu-ray-Disc veröffentlicht und sorgt so für fortgesetzte Rezeption.

Patrick McGoohan, der nicht nur die Hauptrolle in „The Prisoner“ spielt, sondern auch für Idee und bei einigen der 17 Episoden für die Regie verantwortlich zeichnete, ist als „Nummer 6“ regelrecht ikonisch geworden – ebenso wie einige Aspekte der Ausstattung, etwa das Hochrad, die Streifen-Designs oder der legendäre Titelvorspann mit dem „Lotus Seven“-Sportwagen, den der ehemalige Geheimagent fährt, als er seinen Dienst quittiert. Dass den Objekten in „Nummer 6“ soviel Aufmerksamkeit zuteil wurde, liegt vor allem daran, dass sie das scheinbar Greifbare in dieser mysteriösen und regelrecht „unbegreiflichen“ Welt darstellen. Die angesprochene Titel-Sequenz führt in das Paradigma der Serie ein, von der im Prinzip jede einzelne Episode für sich gesehen werden könnte: Der Agent kündigt seinen Job, fährt nach Hause, packt seine Koffer – und dann fällt er in Ohnmacht, weil er von einem Gas betäubt wird. Als er wieder erwacht findet er sich in einem Haus, in einem Ort, in einem Land, das er nicht kennt. Die über jede Folge gestellten Fragen des fortan als „Nummer 6“ bezeichneten Mannes sind aber nicht: Wo bin ich? (Diese Frage wird nur in einigen Folgen aspektiert), sondern: Wer bin ich? Wer seid ihr? Und warum wurde ich entführt.

Zumindest die letzte Frage wird ihm indirekt durch eine Gegenfrage beantwortet: „Warum haben Sie den Dienst quittiert?“ will jede „Nummer 2“, der von Episode zu Episode wechselnde Ortsvorsteher von „The Village“, wissen. Fragen sind in „The Village“ jedoch äußerst ungern gehört und werden deshalb nie mit einer Antwort, sondern stets mit einer Gegenfrage quittiert. Weil dies so ist, verrätselt sich die Struktur der Erzählung umso mehr, je tiefer der Zuschauer zusammen mit „Nummer 6“ in ihr Innerstes vordringt. Dieses Vordringen berührt etliche Facetten des mysteriösen Ortes und seiner Bewohner, sucht dessen Grenzen, hinterfragt dessen Machtstruktur, konspiriert mit dessen (vermeintlichem) Untergrund. Und immer wieder stellt sich heraus: Alles war nur ein Experiment, um „Nummer 6“ die eine Antwort zu entlocken. Er könnte sie geben und wäre dann vielleicht frei; er gibt sie aber nicht, weil es ihm bald schon darum geht, die Macht, die ihn brechen will, zu demontieren.

„The Prisoner“ lediglich als eine politische Parabel des Kalten Krieges und in dieser Hinsicht vielleicht als eine Variation und Reflexion von Agentengeschichten à la „James Bond“ zu sehen, würde der Serie nicht gerecht. Hinter jeder Episode von „The Prisoner“ verbirgt sich neben der politischen immer auch jeweils eine soziologische, psychologische oder philosophische Frage. Ob es um das Wesen der Identität in der Moderne geht, die Kafkaeske/Camus’sche Absurdität eines Anrennens gegen „die Macht“ oder die Konstruktion des eigenen Lebens(ver)laufs durch Nacherzählung: „The Prisoner“ findet für all diese Themen einen „Agenten“, der die durchleben kann: Nummer 6. Die unglaublich vordringliche Präsenz Patrick McGoohans als physischer wie psychischer Kämpfer hilft dem Zuschauer, sich selbst mit der Figur zu identifizieren und so die jeweiligen fremden zu eigenen Fragen werden zu lassen. Es gibt nur wenige Fernsehserien, denen eine derartig intensive Verbandelung des Zuschauers mit ihrer zentralen Figur gelingt.

Die Serie hat dieses Konzept nur 17 Episoden lang durchgehalten. Gegen Ende – insbesondere ab der 14. Episode – geht ihr merklich die Luft aus, wird sie spielerisch selbstreferenziell (Western und Sherlock-Holmes-Krimi werden zur Vorlage) und die zweiteilige Auflösung des/der Rätsel/s gerät sogar völlig zum surrealen Spektakel, das mehr offen lässt, als es schließt. Auch darin ist „The Prisoner“ zu einem wichtigen Vorbild geworden: unabgeschlossenes Erzählen ist zu einem Paradigma postmoderner Narratologie geworden. Serien wie „Twin Peaks“, die „The Prisoner“ wirklich sehr viel verdanken, haben dieses Prinzip regelrecht kultiviert: Es müsste weitergehen, geht es aber nicht. Anders als seine „Nachkommen“ bietet „The Prisoner“ aber eine Offenheit, die durch Rekombination und Neustrukturierung der Erzählung entsteht, bei der nur sehr wenige Folgen eine feste Reihenfolge verlangen (die erste und eben die beiden letzten). Dadurch wird das Wiedersehen mit „The Prisoner“ – und insbesondere sein Vorliegen auf digitalen Medien – zu einer Gelegenheit zum wiederholten Neusehen. Allein schon das sollte man sich auf gar keinen Fall entgehen lassen!

Nummer 6
(The Prisoner, GB 1967/68)
Regie: Patrick McGoohan, Pat Jackson, Don Chaffey, David Tomblin; Buch: Patrick McGoohan, David Tomblin, Anthony Skene, Terence Feely, Vincent Tilsley; Kamera: Brendan J. Stafford; Musik: Robert Farnon, Wilfred Josephs
Darsteller: Patrick McGoohan, George Markstein, Angelo Muscat, Peter Swanwick, Fenella Fielding u. a.
Länge: 17 Episoden zu je 48 Minuten
Verleih: KOCH Media

Die Blu-ray-Disc von KOCH Media

Eine derartig alte TV-Serie nicht nur restauriert, sondern auch im Lichte hochauflösender Bilder auf dem heimischen TV zu sehen, ist schon ein merkwürdiger Anachronismus. Jedoch bietet das gestochen scharfe Bild der Edition auch Gelegenheit die oben genannten Details besser ins Auge fassen zu können. Und die Buntheit der Bilder macht die Surrealität der Szenerie nur noch deutlicher klar. Die Blu-ray-Box kommt mit vier BR-Discs, einer DVD mit Zusatzmaterial und einem Booklet mit Essay und Episodenbeschreibungen.

Die Ausstattung der Edition im Detail:

  • Bild: 4:3
  • Ton: Deutsch, Englisch (jeweils DD 2.0)
  • Untertitel: deutsch
  • Extras: Booklet, Trailer zu jeder Episode, Interview mit Bernard Williams, Alternative Versionen von „Die Ankunft“, „Die Glocken von Big Ben“, Featurette „For the Love of: Fans of the Prisoner“, Textless Intro und Outtro, Deutscher Vorspann, Werbe-Bumpers, Bildergalerien
  • Wendecover: Nein (FSK-Logo als Sticker, abziehbar)
  • Freigabe: FSK ab 12 Jahren
  • Preis: 49,99 Euro

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