Dr. Snuggles und Mr. Hyde

Michel Gondry stünden bei der Betrachtung von „Die Reise ins Glück“ sicherlich Tränen des Glücks in den Augen: Jene Ästhetik des Selbstgebastelten, die der geniale Franzose im Grunde schon immer und jüngst nachdrücklich in „Be Kind Rewind“ propagierte, findet sich nämlich in das Opus magnum des deutschen Independent-Autorenfilmers Wenzel Storch aufs Schönste eingeschrieben. Überhaupt handelt es sich hier um einen Film, dessen Entstehung im Grunde nur durch einen Faktor erklärbar ist: Liebe.

Die Geschichte, die „Die Reise ins Glück“ erzählt, ist dabei so schlicht, wie es Märchen nun einmal zu sein pflegen: Käpt’n Gustav (Jürgen Höhne) ist mit seinem Schneckenschiff auf großer Fahrt und unterstützt Negerstämme (sic!) im Kampf um Freiheit und Unabhängigkeit. Im Mikrokosmos dieses Schiffes tut sich eine umfassend belebte Welt auf, die bevölkert wird von zahlreichen sprechenden Tieren – der Crew des Schiffes – sowie Gustavs Familie. Der sexuell äußerst aktive Kapitän hat nämlich mit seiner geliebten Eva (Jasmin Harnau) eine ganze Schar recht eigenwilliger Kinder in die (Märchen-)Welt gesetzt. Der Konflikt der Erzählung entspinnt sich, als das Schneckenschiff auf seiner mutmaßlich letzten Fahrt – denn Gustav beginnt an den wohlverdienten Ruhestand zu denken – an die Gestade einer mysteriösen Insel gerät, die vom bösen König Knuffi (Holger Müller) beherrscht wird. Mit diesem nämlich verbindet Gustav eine schicksalhafte Begegnung in der Vergangenheit, sowie das ominöse Schneemann-Orakel. „Den wirst du nie wieder los“, so prophezeiten Gustav einst drei missmutige Schneemänner, nachdem er dem in einen ungenügend zugefrorenen See eingebrochenen und von den anderen Kindern vollgepinkelten Knuffi das Leben rettete, was sich nur vorläufig als trügerisch erwies. Nachdem sie eine Zeit lang gemeinsam die Weltmeere durchkreuzten und dabei auf die hübsche Eva stießen, in die sich beide Freunde unsterblich verliebten, gelüstete es das frischgebackene Paar Eva und Gustav bald nach etwas Privatsphäre. Und so schlich man sich von dannen, in der Erwartung, den Unsympathen Knuffi niemals wiederzusehen. Doch weit gefehlt: In der Zwischenzeit zum König des Inselreichs aufgestiegen, führt Knuffi nun ein für Gustav und die unter irgendwelchen Umständen abhanden gekommene Eva eher inakzeptables Regime unter dem Wappen des Teppichklopfers und im Geiste des Urinierens. Und da Gustav kein Freund komplizierter Lösungswege ist, reist er mit einer Hasenzeitmaschine in die Vergangenheit, trifft sein jüngeres Ich („Ein süßer Steppke!“) und lässt dort den Kreis den Filmes sich schließen… oder verdreht ihn noch einmal in sich selbst, so dass er mehr oder minder geschlossen aussieht.

Die mit geringsten Mitteln und unbändiger Phantasie über beinahe eine Dekade hinweg zusammengebastelte Welt von „Die Reise ins Glück“ erinnert auf den ersten Blick frappierend an einen Klassiker der Kinderunterhaltung: Die ebenso umfassend belebte Welt von „Doctor Snuggles“, in der einst Menschen, Tiere, Roboter und Naturphänomene nach einer Verständigung strebten, die im Grunde nur unter Rauschmitteleinfluss vorstellbar wird, bildet eine Art Schablone, durch die Wenzel Storchs Universum vielleicht ein wenig begreifbarer wird. Wenn der Pazifismus von „Doctor Snuggles“ das cartoongewordene Konzentrat eines LSD-Rausches darstellt – dann ist „Die Reise ins Glück“ die Bebilderung eines bad trip. Dr. Snuggles und Mr. Hyde. Denn soviel Spaß es Storch auch macht, die geradezu obsessiv detailfreudige Vision einer Zauberwelt entstehen zu lassen – ebenso viel Freude bereitet es ihm offensichtlich, ebendiese von den notorisch inkontinenten „Propagandaministern“ vollpinkeln zu lassen. Oder überhaupt an allen nur denkbaren Stellen Splitter ins Gewebe einzuführen. Wenn sich dieses Gewebe aus dem reichen Fundus der Kindererzählung und – grundlegender – des Märchens speist, dann weisen die ästhetischen Brüche in Gestalt irritierend alltagslogischer Einsprengsel und der Freude an Sudeleien jeglicher Couleur auch auf die dunkle Kehrseite und die schattigen Winkel der noch so kinderfreundlich aufbereiteten Phantasieszenarien hin. „1.000 Meisterwerke. Und jedes stinkt nach Pisse“ – von eben diesem Zusammenspiel zwischen Kreativität und Destruktion, zwischen Schönheit und Abscheu, und letztendlich: dem unüberbrückbaren ästhetischen Abgrund, den er offen in seinem Herzen klaffen lässt, gewinnt Storchs Film seine Dynamik. Das macht es auch so schwierig, „Die Reise ins Glück“ zu bewerten. Denn was das alles soll oder will, das bleibt enigmatisch. Wenzel Storchs Kosmos ist ein überaus reicher, aber all den Rückgriffen auf die Bildwelten der Populärkultur zum Trotz auch ein nahezu vollkommen hermetischer, und „Die Reise ins Glück“ ist kein Film zum Verstehen. Es ist, so man denn zu jenen Glücklichen zählt, die Zugang zu seiner Gedankenwelt finden, ein Film zum Schwelgen.

Die Reise ins Glück
(Deutschland 2004, Wenzel Storch)
Regie: Wenzel Storch; Buch: Wenzel Storch, Matthias Hänisch, Christian Keßler; Musik: Diet Schütte; Kamera: Wenzel Storch; Schnitt: Matthias Hanisch, Iko Schütte
Darsteller: Jürgen Höhne, Holger Müller, Jasmin Harnau, Jörg Buttgereit, Bernward Klimek, Ralph Meyer u.a.
Länge: 71 Min.
Verleih: Cinema Surreal

Zur DVD von Cinema Surreal

Auf den ersten Blick erscheint das Verhältnis von 71 Minuten Filmlänge zu knapp vier Stunden Bonusmaterial ein wenig absurd. Die Befürchtung jedoch, es handele sich hier um eine jener aufgeblasenen Editionen, in der jeder Beleuchter eine eigene Featurette erhält, bleibt unbegründet, zählt doch „Die Reise ins Glück“ tatsächlich zu jenen Werken mit einer höchst interessanten Produktionsgeschichte. Diese wird dann auch ausführlichst und zumeist unterhaltsam nachvollzogen. Technisch ist die Präsentation ohnehin tadellos, was diese Edition ohne jede Einschränkung empfehlenswert macht.

Bild: 1,66:1
Ton: Deutsch (Dolby Digital 2.0, Dolby Digital 5.1)
Untertitel: keine
Extras: Die Herren mit der schwachen Blase (102 Min.), Wie man aus Düngerstreuern und Güllepumpen ein Schiff baut (55 Min.), Der Cumshot im Beichtstuhl (23 Min.), König Knuffi erinnert sich nicht (26 Min.), Das vergessene Happy End (22 Min.), Werbeclip Making of Der Glanz dieser Tage (6 Min.), Werbeclip Making of Sommer der Liebe (5 Min.)
FSK: ab 12 Jahren

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