Ein Kessel Blutrotes

Wer den Berliner Künstler Jörg Buttgereit kennt, wird sich im Vorfeld seiner neuen Theaterarbeit „Rough Cuts“ gedacht haben können, was ihn am Abend des 28. März im „Hebbel am Ufer“-Theater Nr. 2 (HAU 2) erwartet. Buttgereit, der seit den 1980er-Jahren eine feste Größe im deutschen Undergroundkino ist, seit den 90ern vermehrt fürs Fernsehen, Radio und publizistisch tätig ist und in der jüngsten Vergangenheit durch Theaterproduktionen (ebenfalls im Berliner HAU) auf sich aufmerksam gemacht hat, liefert mit seiner „Filmlektionen“-Reihe abermals eine Aufbereitung seiner Lieblingsthemen. Und zu denen gehören zuallererst die Monster – vor allem die Filmmonster, denen an diesem Theater- oder besser: Multimedia-Abend ausreichend gehuldigt wurde.

Julie Miess(King Kong und die weiße Julie Miess)

Den Auftakt – und das ist vielleicht eines der Dinge, die man am wenigsten von Buttgereit erwartet, dessen Filme allesamt argwöhnisch wegen Gewaltdarstellungen von der Zensur geprüft wurden – bildete der Auftritt einiger Kinder im Grundschulalter, die gruselig geschminkt die Bühne betraten und „Horror-Oneliner“ ins Publikum riefen: „Wenn in der Hölle kein Platz mehr ist, dann kommen die Toten auf die Erde zurück“, ließ Buttgereit zum Beispiel eines der Mädchen ein Zitat aus dem hierzulande verbotenen Filmklassiker „Dawn of the Dead“ aufsagen. Spätestes hier war klar: Ganz ernst gemeint sind diese „Filmlektionen“ sicher nicht – und genau das ist auch der Stil Buttgereits, der stets zwischen liebevoller Hommage und Spiel mit dem Reiz des Verbotenen changiert. Dass Kinder den ersten Teil seiner auf mindestens vier Teile angelegten Lektionen einleiten, zeigt auch, dass hier keineswegs ein Insider-Publikum angesprochen werden soll, wie das vielleicht noch in Buttgereits Filmen „Nekromantik“ oder „Schramm“ anvisiert war.

Adolfo AssorDie etwa einstündige Filmlektion zum Thema Monster startete dann auch mit ein paar Beispielen aus Buttgereits 25 Jahre altem Frühwerk, den Monsterfilm-Hommagen „Die Mumie“, „Frankenstein“, „Die Rache der Mumie“ und seiner Huldigung an das von ihm vielgeliebte japanische Monsterfilm-Genre: „Gazorra – Die Bestie aus dem Erdinnern“. Mit großem Gespür für echten Trash, der den technischen Mangel stets ironisch reflektiert und verarbeitet, zeigte der Regisseur dem Publikum hier, wo es langgehen soll und umso mehr war man überrascht, als danach die junge Kulturwissenschaftlerin Julie Miess die Bühne betrat, um einen Vortrag über „Monster“ zu halten.

Miess hatte dabei vor allem im Sinn, den herkömmlichen Monster-Begriff aus Kino und Fernsehen von seiner Metaphorizität zu entkleiden und zu zeigen, dass die Vokabel schnell, vielleicht allzu schnell, gezogen wird, wenn wir es in unserer Kultur mit dem Unbeschreiblichen zu tun bekommen – vor allem beim unbeschreiblich Bösen ist das Attribut „Monster“ schnell als Pseudo-Erklärung zur Hand. Ihre Beispiele zog sie aus der jüngeren und jüngsten Vergangenheit und illustrierte ihren Text mit Bildern vom „Kannibalen von Rotenburg“, dem jüngst wegen Sklaverei und tausendfacher Vergewaltigung seiner Tochter verurteilten Josef F. und der Serienmörderin Aileen Wuornos. Dass diese „Monster“ des Alltags oft mit unseren Vorstellungen von Filmmonstern übereinstimmen, zeigte schon die Ähnlichkeit der fotografischen Perspektiven aus der beide – überlebensgroß auf die Leinwand projiziert – hinab ins Publikum starrten. Zu Monstern werden solche Verbrecher immer erst durch die Medien.

imga0024Das Filetstück dieser Filmlektion war dann allerdings der Auftritt des Schauspielers Adolfo Assor, der in der Rolle des „Dr. Monster“ zunächst eine überaus beunruhigende Darstellung eines Wahnsinnigen ablieferte. Buttgereit hatte ihm eine Kollage aus Texten eines Monsterfilms von Ed Wood Jr. sowie Vernehmungsprotokollen des 1925 hingerichteten Serienmörders Fritz Haarmann auf den Leib diktiert. Haarmanns Beschreibungen der Schlachtvorgänge, die er an seinen 27 Opfern zumeist jugendlichen Alters vollzog, vermochte – zumal in der mit exzellent gespieltem Wahnsinn angereicherten Darstellung Assors – selbst nach über 90 Jahren noch den Atem zum stocken zu bringen.

Das alles wurde in dem zumeist vollständig abgedunkelten Theatersaal des HAU 2 präsentiert. Die Bühnendeko beschränkte sich aufs Notwendigste, Effekte wurden vor allem durch einen scherenschnittartigen Bühnenhintergrund, eine Nebelmaschine, Beleuchtungsspiele (vor allem in den „Monster“-Farben rot und grün) sowie einige äußerst atmosphärische Instrumental- und Gesangsanlagen des Musikerduos André Abshagen und Miss Mono erreicht. Die ästhetische Rahmung des Programms entsprach damit in ihrer gekonnten Mischung aus Soundcollagen, theatreskem Minimalismus und filmischen Einlagen genau dem Multimedia-Konzept, das Buttgereit seit einigen Jahren erfolgreich in mehreren Formaten präsentiert.

Diese erste „Filmlektion“ endete mit einer Monsterdisco im Vorraum des Theatersaals, in der Buttgereit zu Film- und Popmusik (vornehmlich aus den 80ern) oft inhaltlich „kontrapunktisch“ Trailer zu Monsterfilmen auf eine Leinwand screente und damit das witzig-gruselige Feeling der Show noch ein wenig verlängerte. Die Reihe soll nach der Sommerpause in eine neue Runde gehen. Zum „Splatterfilm“, „Actionfilm“, „Pornofilm“ und anderen Genres plant der Regisseur Fortsetzungsteile. Wenn diese auf ähnlich vielfältige Weise und in so durchdachter Darstellung präsentiert werden, dürfte den „Filmlektionen“ und auch dem Theaterhaus am Halleschen Ufer damit nach dem bereits sehr erfolgreichen Buttgereit-Stück „Captain Berlin vs. Adolf Hitler“ weiterhin Erfolg beschieden sein.

Jörg Buttgereit (rechts)(Buttgereit, rechts, in der Monster-Disco)

Rough Cuts – Buttgereits Filmlektionen im HAU
Part 1: Monster

Regie & Text: Jörg Buttgereit; Konzept: Jörg Buttgereit, Stefan Mibs, Julia Naunin; Bühne: Mirola Groener; Musik: André Abshagen, Miss Mono; Dramaturgie: Julia Naunin
Darsteller: Adolfo Assor, Julie Miess, Julie Günther, Nannes Löffler, Lydia Matthes, Sophie Rotter, TimTom Thomas

Filmtipp:

Heute Abend zeigt der Fernsehsender ARTE Jörg Buttgereits 2008 entstandene Dokumentation „Monsterland“, in der das Thema der „Filmlektion“ noch einmal aufgegriffen und erweitert wird.

ARTE, 29.03.2009, 22:20 Uhr

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