Britspotting 2011 – Entgeisterte Schränke

Die Angst vor Gespenstern im Schrank endet nicht mit der Kindheit. Ganz im Gegenteil: Je älter ein Mensch wird, desto zahlreicher werden auch seine Geheimnisse und Traumata, die oft selbst dann noch im Hintergrund herum spuken, wenn man sie erfolgreich verdrängt zu haben glaubt. Wäre „Skeletons“ – Ende Januar auf dem Berliner Festival „Britspotting“ zu sehen – ein deutscher Film, so würden die zwei schrulligen Exorzisten vermutlich „Leichen im Keller“ beseitigen.  Aber „Skeletons“ ist ein durch und durch britischer Film und so müssen sie „ghosts from the closet“ extrahieren. Der einsiedlerische Davis (Ed Gaughan) und sein freundlicher, übergewichtiger Kollege Bennett (Andrew Buckley) sind professionelle ‚Ghostbusters‘ – im Vergleich zu den Geisterjägern aus der gleichnamigen amerikanischen Filmreihe jedoch ziemlich low-tech und altmodisch.

Mit auf Pergament-Papier angefertigten Handzeichnungen finden sie das befallene Haus, ihre Schutzkleidung besteht aus Schürze und Fliegerbrille – und die Geister spüren sie mit einem piependen Holzdetektor der Marke Eigenbau auf, um die Spektralwesen dann in einem Feuerlöscher einzusperren. Immerhin können die beiden Geisterjäger aber in die Körper fremder Menschen schlüpfen und so alle dunklen Ecken einer Seele erkunden.

Nach einer merkwürdigen, sehr körperbetonten Untersuchung durch ihren Boss – den brummigen Colonel (Jason Isaacs) – werden Davis und Bennett auf ihren bisher schwierigsten Fall losgelassen: Vor acht Jahren ist der Ehemann von Jane (Paprika Steen) spurlos verschwunden – Jane gräbt (im wörtlichen Sinne!) täglich nach ihrem Mann und verlässt niemals das Grundstück, schließlich könnte er ja gerade in diesem Augenblick zurückkehren. Dass Jane auch sonst etwas durcheinander ist, zeigen ihre eigenwilligen Kochkreationen: Reis mit Nudeln und Kartoffeln als Beilage.

Beim Versuch, den Geist von Janes Ehemann ausfindig zu machen, stoßen Davis und Bennett auf Schwierigkeiten – Janes vor Jahren verstummte Tochter Rebecca (Tuppence Middleton) behindert die jenseitigen Nachforschungen gezielt, hat dafür aber durchaus gute Gründe. Ein von Rebecca verursachter Unfall bei der Geister-Extraktion spitzt die Situation dramatisch zu – so sehr, dass Davis nur noch Bulgarisch sprechen kann und mit einer anderen Figur in ein Reich zwischen Diesseits und Jenseits gerät.

Regisseur Nick Whitfield gibt sich alle Mühe, „Skeletons“ in die britische Traditionslinie trockener, absurder, mitunter auch schwarzhumoriger Komödien zu stellen. Dies gelingt ihm dank der urwüchsigen Locations mit ihren unverwechselbar britischen Landhäusern, der kauzigen Figuren mit ihren starken Akzenten und vor allem dank des fantasievollen Set Designs. Die konservative Gentleman-Kleidung und die seltsamen, archaischen Geräte der Geisterjäger verweisen auf eine unbestimmte Vergangenheit und bilden daher einen starken Kontrast zu den Elementen der Gegenwart.

Ganz wie es sich für altmodische Briten im Film gehört, legen Davis und Bennett großen Wert auf Formalitäten – weisen aber gleichzeitig auch ein äußerst exzentrisches Verhalten auf. Der zynische Davis lebt in einem Boot, das auf einer vollkommen trockenen Wiese und vor dem Hintergrund von sieben monströsen Schornsteinen steht – mittels seiner magischen Instrumente versetzt er sich häufig in seine Kindheit zurück und wird von diesen drogenähnlichen Trips ins verlorene Glück bald abhängig. Bennett hingegen wohnt mit rund 40 Jahren noch immer bei seiner Mutter, hat aufgrund seiner immensen Größe mit niedrigen Decken zu kämpfen und kann das Berufliche nicht immer vom Privaten trennen, da er oft Mitleid mit seinen Kunden bekommt, deren schmerzhafte Geheimnisse er aufdeckt.

Schwächen offenbart „Skeletons“ erst, wenn der Film sein ureigenes Genre der dezidiert britischen Komödie nach einer Stunde verlässt und sich auf das fremde Terrain eines leicht sentimentalen Läuterungs-Dramas begibt,  in dem sich alle Protagonisten von ihren persönlichen Dämonen befreien können. Nach diesem spürbaren Bruch geht es Whitfield plötzlich nicht mehr um die zuvor erfolgreich inszenierte komödiantische Schrägheit, sondern um die wahre, wenn auch banale Aussage, dass man die Vergangenheit loslassen muss, um in der Gegenwart leben und sich der Zukunft öffnen zu können.

Skeletons
(Großbritannien 2010)
Regie:
Nick Whitfield; Drehbuch: Nick Whitfield; Kamera: Zac Nicholson; Schnitt: Rachel Tunnar; Musik: Simon Whitfield; Darsteller: Andrew Buckley, Ed Gaughan, Tuppence Middleton, Paprika Steen, Jason Isaacs
Länge:
94 Min.
Verleih: Soda Pictures

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