… oder der Spatz in der Hand?

Koto und Kyoko sind zwei Endzwanziger im Stadtteil Uzumasa der Stadt Kyoto, in dem bereits ihre Eltern aufgewachsen sind und ihr Leben gestaltet haben. Kotos Eltern betreiben eine Tofuproduktion, während Kyokos Familie eine Wäscherei besitzt; die beiden Familien führen ein bodenständiges, harmonisches Leben. Doch obwohl Koto und Kyoko mitten im Leben stehen, scheint ihr Weg noch nicht ganz gefunden. Besonders Koto ist unzufrieden mit seinem Dasein, denn seine Lebensplanung scheint nicht aufzugehen.

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Einsamer nie

Ein Junge flüstert seinem Vater den Traum der letzten Nacht ins Ohr und sie hüten ihn von nun an wie ein gemeinsames Geheimnis. Derselbe Junge assistiert seinem Vater, wenn er Bienenkörbe in schwindelerregender Höhe auf Bäumen anbringt und vergisst in diesen Momenten sein Außenseiterdasein. Doch die Bienen verschwinden und der Vater des kleinen Yusuf muss sich auf den Weg machen, ein neues Gebiet für seinen Honig zu erkunden. Plötzlich steht der ohnehin schon wortkarge und zurückhaltende Junge allein da, denn sein Vater scheint wie vom Erdboden verschluckt.

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Wirtschaftskrise Light?

Robert Axle ist kein einfacher Erfinder, sondern ein „Fabricator“, darauf besteht er. Dass eine der Definitionen dieses Wortes „Lügner“ ist, stört ihn recht wenig. Mit seinen Erfindungen, in denen er mehrere vermeintlich nützliche Gegenstände kombiniert und via TV-Werbung verkauft, verdient er sich eine goldene Nase, seine Familie bekommt ihn kaum noch zu Gesicht. Ein fataler Fehler unterläuft ihm bei der Konstruktion einer Verbindung aus Bauchtrainer, Sessel und Fernbedienung, wodurch knapp 3000 Verbraucher einen Finger verlieren. Für diese grobe Fahrlässigkeit muss Robert für zehn Jahre hinter Gitter, und als er wegen guter Führung entlassen wird, steht er vor seiner gescheiterten Existenz. Seine Frau hat die andere Hälfte des Geldes verprasst und neu geheiratet, und seine Tochter hat ihm die jahrelange Abwesenheit nicht verziehen. Nun soll Robert sein Leben neu gestalten, er scheitert jedoch schon bei seinem ersten Arbeitstag in einem größeren Warenhaus. Sein alter Einfallsreichtum hat ihn allerdings noch nicht verlassen, und so muss Robert versuchen, seinen alten Ruhm wiederherzustellen und gleichzeitig das Herz seiner Tochter zurück zu gewinnen.

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Aufgewärmtes schmeckt nicht

Wenn man den Namen Martin Scorsese hört, denkt man an eine Liste von großartigen Filmen, deren ausgereifte Figuren und Handlungen überwältigen. Dementsprechend hoch sind die Erwartungen, wenn man sich seinen neuen Film „Shutter Island“ ansieht, dessen düsteres Filmplakat eine spannend-schaurige Atmosphäre verspricht, und dessen Aufgebot an Schauspielern fast schon ein Garant für einen erstklassigen Film ergeben muss. Doch in wie weit kann derartiger „Schmuck“ einen Film ausmachen? „Shutter Island“ zeigt, dass Scorsese sein Handwerk versteht, und dennoch genügt diese Feinmechanik einfach nicht.

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„There must be some kind of way out of here…“

Zwei Jungs, vermutlich im Grundschulalter, kümmern sich rührend um einen Säugling. Sie füttern ihn, spielen mit ihm, und taufen ihn schließlich sogar. Ein an sich schönes Bild leitet eine desolate Situation ein. Wir sehen Nick und seinen kleinen Bruder, die sich, von ihrer alkoholsüchtigen Mutter vernachlässigt, um den Neuzugang zur ihrer dysfunktionalen Familie sorgen müssen. Spät abends kehrt die Mutter betrunken zurück, schlägt ihre Kinder, lässt sie im Rausch unter sich und verschwindet eben so schnell wieder. Verzweifelt greifen die Jungen zu Mutters Schnaps und betrinken sich, um für eine Nacht ihre Sorgen zu vergessen; am nächsten Tag findet Nick den Säugling tot in der Krippe.
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Von Menschen und Maschinen

Es ist eine Galavorstellung, die das Herz des Filmliebhabers höher schlagen lässt. 83 Jahre nach der Uraufführung kann der Zuschauer an einem ganz besonderen Abend Fritz Langs Stummfilmklassiker „Metropolis“ in seiner beinahe ursprünglichen Fassung wieder auf der Leinwand bewundern. Begleitet wird die Vorstellung auf der Tonebene von Gottfried Huppertz‘ Originalpartitur, umgesetzt durch das Berliner Rundfunk-Sinfonieorchester. Die glamouröse Atmosphäre des Berliner Friedrichstadtpalastes rundet das Erlebnis ab und betont auch noch einmal die Besonderheit dieser Situation.

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Schuld & Sühne

Er trage keine Waffe mehr, sagt Abu Jandal. Jetzt trage er nur noch einen Stift. Die Feder ist mächtiger als das Schwert, denkt sich da so mancher, und man möchte meinen, der ehemalige Bodyguard Osama Bin Ladens habe sich besonnen und seinen Hass gegen die westlichen „Ungläubigen“ aufgeben. Doch Abu Jandal ist regelmäßig Gastgeber für am Jihad interessierte Jugendliche, um ihre Fragen zu beantworten, und ihnen beizubringen, wie man vernünftig lebt, sich organisiert, mit anderen Menschen umgeht. Er lehrt geschicktere Gotteskrieger, denn er möchte sich dem Feind zwar gerne auf dem Schlachtfeld von Angesicht zu Angesicht stellen, doch Terrorangriffe initiieren möchte er nicht. Nicht jeder kann oder sollte ein Krieger sein, meint er, denn die Bewegung benötigt auch kluge Köpfe.

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Furchtlose Kinder und ungebändigte Monster

Die Presseinformationen zum Film werden durch ein Zitat von Regisseur Spike Jonze eingeleitet, in dem er sagt, dass er „keinen Kinderfilm […], sondern einen Film über die Kindheit“ machen wollte. Als er die erste Version seiner Verfilmung des Erfolgsbuches von Maurice Sendak vorlegte, verwarf die Produktionsfirma diese mit der Aussage, der Film sei ganz und gar nicht kindgerecht und bei weitem zu pessimistisch. Jonze musste versuchen, einen Kompromiss für beide Seiten zu schaffen. Nun liegt das fertige Produkt vor, das Eltern und Kinder verzaubern und beeindrucken soll.

wo_die_wilden_kerle_wohnenDie Atmosphäre des Films und die großartige, ungezwungene und für Kinderschauspieler erfrischend- untypische Art des jungen Max Records, der den gleichnamigen Titelheld verkörpert, katapultieren unmittelbar in die Kindheit zurück. Allerdings lädt dies nicht direkt zum Träumen ein, sondern erinnert daran, dass das Leben auch damals nicht einfach oder frei von Enttäuschungen war. Der Film hält dem Zuschauer vor Augen, dass das Gras stets grüner ist auf der anderen Seite, und dass weder Eltern noch Kinder perfekt sind. Max, der anscheinend keine Freunde hat, tobt sich regelmäßig in einem Wolfskostüm aus Plüschstoff aus, und versetzt so mit Gebrüll seine Mutter in Schrecken. Als er ihr in der Anwesenheit ihres neuen Freundes den letzten Nerv raubt, kommt es zum Eklat: Max beißt seine Mutter in die Schulter und rennt davon. „You’re out of control!“ hatte die alleinstehende, berufstätige Mutter in ihrer Hilflosigkeit gerufen, als der Junge ihr buchstäblich durch die Finger glitt. Max findet ein kleines Segelboot, mit dem er nach einer zermürbenden Reise durch Wind, Wetter und das brausende Meer auf einer Insel strandet. Hier trifft er auf die Verkörperung seiner gesamten ungezügelten Emotionen: die wilden Kerle. Eine  Handvoll übergroßer, fellbesetzter Monster befindet sich im Streit, während einer von ihnen voll Wut ihre Behausungen zerstört. Max fühlt sich sofort hingezogen und wird plötzlich zu ihrem König erklärt. Er soll nun dafür sorgen, dass alles gut wird, dass keiner traurig ist und sich niemand mehr streitet.

Max kommt als König im Endeffekt die Rolle der Mutter zu, die schlichten, trösten und Sorgen vertreiben soll. Er versucht nun, die zerstrittenen Monster zu versöhnen, doch so einfach, wie es zuerst erscheint, ist es nicht. Selbst seine ausgeklügelten Spiele enden im Zwist, jemand wird verletzt, und man geht wieder auseinander. Der ungestüme Carol, mit dem Max sich aufgrund ihrer Wesensgleichheit am besten versteht, wird von Max sogar als „out of control“ bezeichnet, als er seiner Zerstörungswut freien Lauf lässt. Hier schlüpft der kleine Junge vollends in die Rolle seiner Mutter, und da er sie jetzt ansatzweise versteht, kann oder muss er zurückkehren. Für sein Königreich bedeutet dies ebenfalls eine Rückkehr, allerdings in ihren vorherigen, desolaten Zustand. Wer dachte, Max müsse die zerstrittenen Parteien vereinen und deren Probleme lösen, um „erlöst“ zu werden, liegt völlig falsch, denn in dieser Welt gibt es derartige Lösungen nicht. Der Zwist zwischen Carol und KW unter anderem über KWs neue Freunde Bob und Terry, zwei Eulen, deren Quieken nicht jeder versteht, wurde nicht beigelegt. Max hat nur bewerkstelligt, der erste König zu sein, der nicht am Ende gefressen wurde; alles andere bleibt beim Alten. Er verlässt die traurigen Kreaturen für sein eigenes Zuhause, kehrt zu seiner übermüdeten Mutter zurück, die ihn mit einem Stück Kuchen und einem Glas Milch beruhigt empfängt, doch dann direkt am Esstisch einschläft.

wildWunderschöne Inszenierung und clevere Gestaltung werden abgerundet durch die meisterhafte  Implementierung der Umgebung. So erlebt Max immer dann sakrale Momente von Harmonie und Geborgenheit, wenn er sich in Höhlen- oder Tunnelsystemen befindet. Diese Rückzugsmöglichkeiten, die sicherlich auch als Äquivalent des schützenden Mutterleibs (gleich der Höhle, in der Novalis‘ Blaue Blume wächst) gesehen werden können, sind gekennzeichnet durch warmes Licht, eine sanfte, reduzierte Tonkulisse und das beruhigende Gefühl vom Stillstand der Zeit.  Es beginnt mit dem selbstgebauten Iglu zu Hause, dessen Zerstörung durch die Freunde seiner Schwester einen desaströsen Wutanfall versursacht, und geht über zu einem Haufen plüschiger, schlafender Monster, in deren Mitte Max die Ruhe und Wärme findet, die er zu Hause vermisst. In einem Höhlengebilde offenbart der ungestüme Carol ihm mittels einer per Hand angefertigten, filigranen Skulptur der wilden Kerle seine sensible Seite, und Max kann unter dem Gebilde in eine weitere Höhle kriechen, seinen Kopf durch ein Loch mitten in die Skulptur stecken,  um Teil dieser Miniaturwelt zu werden. Schließlich bauen seine ‚Untertanen‘ in seinem Auftrag ein Fort (dessen Äußeres sicherlich nicht unabsichtlich an den Todesstern erinnert), in dem sie alle zusammen auf einem großen Haufen schlafen und glücklich sein wollen. Doch alle Höhlen der Geborgenheit offenbaren sich als vergänglich; entweder, sie werden physisch zerstört wie das Iglu, oder aber ihre harmonische Atmosphäre verkümmert. Als der Streit zwischen Carol und KW eskaliert, beginnt Max, sich vor Carol zu fürchten und sucht nach einer Rückzugsmöglichkeit aus der Gruppe.

Wild_04_2Jenseits des kindlichen Spieltriebes, der in Form diverser absichtlich übertriebener und sehr amüsanter Handlungen verbildlicht wird, kommen bedeutend tiefgründigere Topoi auf. Ein Vanitas-Symbol nach dem anderen durchzieht den Film, nichts ist von Bestand, nicht einmal die Liebe. Nachdem Max im Zimmer seiner Schwester gewütet hat, um sich für seinen Iglu zu rächen, versteckt er sich in seinem Bett und betrachtet einen Globus, den sein offenbar nicht mehr anwesender Vater ihm geschenkt hat. „To Max, Owner of this world, Love Dad“ steht darauf. Doch der Besitz einer figurativen, stillstehenden Welt (und später einer phantastischen stillstehenden) hilft Max nicht weiter. Max hat einen Lehrer, der den Schülern bereits zu Beginn ausgiebig erklärt, dass die Sonne „sterben“ wird, so wie alles andere auch vergeht. Von dieser neuen Perspektive verunsichert, sucht Max Schutz bei den wilden Kerlen: er fragt Carol, ob er vom bevorstehenden Tod der Sonne weiß, und infiziert auch diesen schlagartig mit einer beispiellosen Existenzangst. Alle Freude, die er seinen ‚Untertanen‘ beschert, ist von kurzer Dauer und wird schnell wieder von eine depressiven Stimmung überschattet. Die Landschaft, in der das Fort stehen soll, ist karg und von Verfall gezeichnet, gleich einer Moorlandschaft.

Schade ist, dass der Film eventuell im Schatten von James Camerons „Avatar“ stehen muss, der am selben Tag in die Kinos kommt. Spike Jonze hat hier wahrlich die deprimierende Stimmung eines einsamen Kindes eingefangen und gleichzeitig die Vergänglichkeit von Freude und Freundschaft herausgearbeitet. Ob der Film damit alle Altersgruppen ansprechen kann, ist fragwürdig. Maurice Sendak sagte selbst einmal, dass der Großteil der Kinderbücher nicht die notwendige Ernsthaftigkeit aufweise. „Es ist erniedrigend für ein Kind, wenn man so schreibt wie für einen Idioten. Ich glaube, man kann alles für Kinder schreiben, viel freier als für Erwachsene, denen man zu viele Lügen erzählen muss.“ In dieser Hinsicht ist Spike Jonzes Variante dieses Kinderbuches sicherlich ganz im Sinne des Erfinders, denn belogen wird hier keiner. Man verlässt den Film in einer seltsam gemischten Stimmung aus Verzauberung und Niedergeschlagenheit, die man auf dem Nachhauseweg erst einmal sortieren muss. Jonze hat seine eigene Vision umgesetzt, und konzentriert sich auf Max‘ emotionales Wirrwarr sowie die komplizierten und einsamen Momente des Lebens. Das Motiv der erlöschenden Sonne, die ihren Dienst als Lebenserhalter aufgibt, fungiert als Stimmungsbarometer des gesamten Films: Nichts ist für die Ewigkeit. Und trotz der immanenten Flüchtigkeit der Dinge hat das Leben unbeschreiblich schöne Momente, die auch in „Wo die wilden Kerle wohnen“ regelmäßig aufblitzen dürfen, um den Zuschauer daran zu erinnern.

Wo die wilden Kerle wohnen
(Where the Wild Things Are, USA 2009)
Regie: Spike Jonze; Buch: Spike Jonze, Dave Eggers; Musik: Carter Burwell, Karen O.; Kamera: Lance Acord; Schnitt: James Haygood, Eric Zumbrunnen
Darsteller
: Max Records, Catherine Keener, Mark Ruffalo, James Gandolfini, Forest Whitaker, Chris Cooper u.a.
Länge
: 101 Min.
Verleih
: Warner Bros.

Familienzusammenführung

Eigentlich wollte Rob Zombie nie eine Fortsetzung seines John Carpenter-Remakes „Halloween “ drehen, doch als das Studio ihm die Pläne für ein Sequel eröffnete, gemahnte ihn sein künstlerischer Stolz, sein Projekt lieber selbst zu beenden, als es in die Hände eines anderen zu übergeben. Also willigte  Zombie ein und griff das Thema des von klein auf delinquenten Michael erneut auf. Im Gegensatz zum zahmeren ersten Teil fällt „Halloween II“ durch brutale und auch groteske Gewaltdarstellungen auf. Bereits die erste Sequenz eröffnet dem Zuschauer einen voyeuristischen, doch anatomisch gut recherchierten Blick in die Erste-Hilfe-Behandlung der Überlebenden des ersten Teils, wobei einige Zuschauer bereits beim Anblick der Wundbehandlung zusammenzucken mögen. Man sieht Myers aus dem Leichenwagen fliehen und mit Brachialität  den Kopf eines Coroners mit einer Glasscherbe abtrennen. Die Unwirksamkeit und mangelnde Schärfe einer derartigen Waffe rufen durchaus Bilder der Enthauptung von Nicholas Berg durch irakische Terroristen ins Gedächtnis, die ähnlich schwerfällig mit stumpfen Schnittwaffen den Tod des Geschäftsmannes herbeiführten. (Dass freilich derartige Vergleiche ein heißes Eisen sind, wissen wir seit des Bildvergleichs von Abu Ghuraib mit Pasolinis „Die 120 Tage von Sodom“ durch Ulrich Raulff, weshalb dieser Faden gar nicht weiter gesponnen werden und nur als Anmerkung bestehen bleiben soll.)

halloween2-usposterDie einleitende Sequenz, in der Myers Laurie  bereits im Krankenhaus nachstellt, entpuppt sich, zum Glück des Regisseurs, als Albtraum der Protagonistin. Wäre dies die Realität der Exposition gewesen, hätte der Film bereits hier sämtliche Kredibilität eingebüßt, da er in diesem Fall von Minute Eins ein Slasher-Stalker-Film und somit als leidenschaftslose Pflichtproduktion erschienen wäre. Die Ehrenrettung durch das Erwachen der traumatisierten Laurie leitet einen ästhetisch wie dramaturgisch ausgeklügelteren Film ein, um dessen Nichterscheinen in deutschen Kinos es tatsächlich schade ist. Doch leider wird den deutschen Horror-Aficionados hier der Leinwandgenuss verweigert, der nur einigen wenigen dank der Macher des Fantasy Filmfests in einer Handvoll einmaliger bundesweiter Vorführungen ermöglicht wurde. Rob Zombie ästhetisiert in seinem Film das Hässliche: Neben Detailaufnahmen der von Michael Myers voll Inbrunst zerstörten Körper finden sich auf der Ton- und Bildebene absolute Kunstgriffe, die diese Gewalt zum Teil eines Gesamtkunstwerkes machen. Der gekonnte Einsatz von Schachtelmontagen und der den Zuschauer stellenweise in festgelegte Richtungen manipulierende Schnitt rufen Erinnerungen an Sergej Eisensteins Theorie der ‚Montage der Attraktionen‘ wach. So beispielsweise in der Szene, als der Sheriff versucht, seine Tochter von der Natürlichkeit des Fleischessens („man was meant to eat meat“!) zu überzeugen, während Zombie parallel dazu eine Szene montiert, in der Myers einen Hund schlachtet und dessen Innereien isst.

Wie bereits im ersten Teil setzt Zombie auch in „Halloween II“ auf gekonnt in den Vordergrund gestellte Alarmsignale, um die Prägnanz von Situationen zu betonen. So dröhnte in „Halloween“  ausschließlich der Alarm des Sanatoriums, in dem der kleine Michael gerade eine Krankenschwester tödlich verletzt hat, während sich auf der Bildebene die Handlung in Slow Motion tonlos weiter vollzieht. Die Fortsetzung bedient sich eben dieses sehr effektiven Mittels, diesmal in Form einer Hupe, die aus einem verunglückten Auto schmettert, in dem Laurie sich vor ihrem großen Bruder retten wollte. Michael Myers ist kein kunstvolles Monster, das seine Morde mit Präzision ausführt wie etwa Dexter Morgan oder Hannibal Lecter. Er ist ein unbegreifliches Böses, das seine gesamte Wut an seinen Opfern entlädt, deren Körper nicht nach einem bestimmten Muster destruiert, sondern vielmehr nach Belieben zerschmettert werden. Nicht die Methode zählt, sondern der Moment der Tat. Es fällt auf, dass Myers seinen Tötungsakt mit leidenschaftlicher Wut vollzieht. Obwohl sein Gesicht aufgrund der Maske den steten Ausdruck der Gleichgültigkeit trägt, macht sich die Intensität seiner Monstrosität durch Schnaufen und stellenweise sogar Grunzen bemerkbar. Die Debatte um die bio-psycho-soziale Prägung versus die genetische Bedingtheit von Delinquenz wird durch die Figur der Laurie wie bereits im Original aufgegriffen. Einerseits ist Laurie als Opfer einer Gewalttat eine  therapiebedürftige Traumapatientin, andererseits werden besonders in ihren Albträumen und Halluzinationen Züge einer ähnlich gestörten Persönlichkeit wie die ihres Bruders Michael erkennbar. Die Trennung  von Traum und Wirklichkeit wird von Anfang an aufgehoben, indem gleich einleitend auf ein Symbol der Psychoanalytischen Traumdeutung (das weiße Pferd als Vorbote eines Akts der Brutalität und Grausamkeit) hingewiesen wird und die Anfangssequenz sich als grausamer Albtraum entpuppt. Phantasmen dieser Art durchziehen den gesamten Film: die traumatisierte Laurie wird selbst ein Jahr nach der Konfrontation mit Michael Myers noch von luziden und verstörenden Albträumen geplagt, die sich im weiteren Verlauf auch in Tagträumen und Phantasien sowie somatischen Auswirkungen manifestieren. Je mehr Myers sich dem Ort Haddonfield, Illinois nähert, desto stärker wird die Belastung für Laurie.

Regelmäßig zeigt der Film einen bärtigen, verhüllten – aber außerhalb der Morde häufig maskenlosen – Myers, der sich langsam zu Fuß einen Weg durch die Landschaft bahnt, eine Reise, die für ihn und Laurie wie vom Schicksal gefügt scheint. Trugbilder und Wahnvorstellungen durchziehen den Film, sodass der Blick nicht nur auf die Opfer, sondern – wenn auch nur teilweise – auf gewisse Aspekte des Monsters  fällt.  Es offenbart sich wiederholt die Beziehung zur Mutter (die erneut durch Zombies Ehefrau Sheri Moon Zombie besetzt und erstaunlich überzeugend dargestellt ist), die ihn als Symbol seines Drangs, die Familie wieder zu vereinen, begleitet.  Er, wie später auch Laurie, sieht diese Mutterfigur als regelmäßige Erscheinung, als imperative Stimme, die zu perfiden Taten anstachelt. Myers selbst wird in den Szenen der Interaktion mit dieser Revenanten stets als kleiner Junge gezeigt, eine Freud/Jungsche Anspielung par excellence. Rob Zombie arbeitet demnach tatsächlich mit Versatzstücken der Psychoanalyse, anstatt nur schräge Traumsequenzen zur Verwirrung seines Publikums einzubauen.

Der „Genuss“ eines derartigen Films, und damit die Wiederkehr der anatomischen Genauigkeit von Rob Zombies Gewaltdarstellungen laden eventuell  zur Neuauflage der Gewaltdebatte ein, die an dieser Stelle nicht zu ausführlich ausgetragen werden soll. Dennoch kann eine kurze Anmerkung nicht schaden: Wenn man erst einmal die Fragilität des menschlichen Körpers akzeptiert hat, ist diese ausführliche Darstellung von Gewalt zwar nicht harmloser, doch nicht so drastisch Ekel induzierend wie bei einer unbedarften und unschuldigen Art des Sehens. Das  habitualisierte Auge erkennt hier anatomische Präzision,  während der unbedarfte Zuschauer abgeschreckt und schockiert wird. In dem Seherlebnis eines Rob Zombie Films stecken demnach die Habitualisierungs- und die Inhibitionsthese theoretisch sogar unter einer Decke, anstatt in gegnerischen Ecken des Horror-Boxrings.

Halloween II (USA 2009)
Regie & Buch
: Rob Zombie; Schnitt: Glenn Garland, Joel Pashby; Kamera: Brandon trost; Musik: Tyler Bates Darsteller: Sheri Moon Zombie, Tyler Mane, Scout Taylor-Compton, Brad Dourif, Malcolm McDowell, Margot Kidder, Al Yankovic
Länge
: 105 Min. (Unrated Director’s Cut: 119 Min.)
Verleih
: Tiberius Film / Sunfilm

Jana Toppe

Night of the Laughing Dead

Der Lebenszyklus eines Genres findet per definitionem einen traurig-komischen Abschluss. Hat das Publikum die Wiederkehr eines Topos mit leichten Variationen über, macht sich dies nicht ausschließlich durch sinkende Verkaufszahlen, sondern auch durch einen humoristischen Trend bemerkbar: die Genreparodie. Der Zombiefilm steht wie seine namensgebenden Figuren immer wieder von den Toten auf, speziell seit Beginn unseres Jahrzehnts haben die Untoten einen neuen Schub an Popularität erfahren, und das nicht zuletzt durch Zack Snyders furioses Remake des George A. Romero Klassikers „Dawn of the Dead“.

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… 9, 10, never sleep again?

„Don’t see it alone“ mahnt die Unterzeile auf den US-Kinoplakaten an, und die Filmdatenbank imdb.com trägt Forumsdiskussionen zur Schau, in denen Menschen offenbaren, nach dem Genuss des Films nicht mehr geschlafen zu haben. Videoaufnahmen einiger Testscreenings zeigen Zuschauer, die sich ihre Pullover über die Augen ziehen, sich an ihren Nebenmann klammern, zögerlich durch vorgehaltene Hände schielen und regelmäßig kreischend aufschrecken.

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Capitalism Stole My Virginity

Man muss ja ehrlich sein: wenn man in einem Michael Moore Film geht, erwartet man die übliche reißerische Polemik gepaart mit lustigen Szenen aus der Populärkultur, abgeschmeckt mit einer Prise Zynismus. Doch seinem neuen Film aus diesem Grund keine Chance zu geben, täte ihm Unrecht. „Kapitalismus: eine Liebesgeschichte“ ist bedeutend reifer und weniger polemisch als noch „Fahrenheit 9/11“ es war.

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Ein Film wie ein Monster

Was ist ein Monster? Herkömmlich bezeichnet der Begriff ein von der Norm stark abweichendes, deformiertes Wesen, einen unharmonischen Körper, eine Verflechtung von Mensch und Tier. Die Figur des Monsters wurde allerdings bereits im Zuge der Aufklärung aus dem Volksglauben, und schnell auch aus der Fiktion säkularisiert. Wenn also ein Film in der heutigen Zeit noch das Wort „Monster“ programmatisch und wortgetreu verwendet, verspricht dies eine polarisierende Vorstellung.

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