Alles da und trotzdem alles falsch

Eine Kinoadaption von „Astro Boy“ ist nicht einfach nur eine weitere Mangaverfilmung, schon gar nicht, wenn sie aus Hollywood kommt. Osamu Tezukas 1952 erschaffener Roboterjunge ist kein austauschbarer Comicheld von der Stange, sondern kommt in seiner Bedeutung für die japanische Populärkultur der vergangenen sechs Dekaden der Popularität einer Mickey Mouse im Einflussbereich der US-amerikanischen Kulturhegemonie gleich. Ein Hauptwerk der Mangakultur und ihres bedeutenden Autoren Tezuka, dessen verschiedene Animeadaptionen – eine Serie in den 1960er-Jahren, ein Remake in den 1980er-Jahren sowie ein weiteres in den 2000ern – auch außerhalb Japans erfolgreich waren und die japanische Animationsfilmkultur weltweit populär zu machen halfen. Eine Kinoadaption als Hollywoodproduktion, also in einen völlig unterschiedlichen kulturellen Rahmen gerückt, ist im Grunde bereits ein kontroverses Vorhaben; man erinnere sich nur um die Debatten um Roland Emmerichs amerikanisierten „Godzilla“, für den die Japaner, jüngere Seitenhiebe aus den kaiju eiga von Shusuke Kaneko oder Ryuhei Kitamura zeigen es überdeutlich, bis heute nur Spott und Geringschätzung übrig haben. Entschärft wird dieser unweigerliche Konflikt um Deutungshoheit und kulturelles Nationalerbe auch sicher nicht durch den Umstand, dass sich die seit Jahren hypererfolgreiche Animationsfilmkultur der USA grundlegend und unversöhnlich von der japanischen unterscheidet.

Der amerikanische CGI-Animationsfilm, daran kann allerhöchstens in wenigen lichten Momenten Pixar ein klein wenig rütteln (bevor auch deren Produktionen spätestens in der zweiten Hälfte meist wieder ins gleiche Schema zurückfallen), funktioniert nach sehr strengen Regeln und verfügt über ein bestimmtes Repertoire, das immer wieder aufs Neue erfüllt werden muss. Dieses folgt im Wesentlichen noch den guten alten Disney-Blaupausen: Außenseiter auf der Suche nach ihrem Platz in der Welt, lustige/niedliche/schräge Sidekicks, Verrat nebst anschließender Läuterung und schließlich die Gründung respektive Bestätigung der (Ersatz-)Familie. Ein jeder zur Adaption ausgewählter Stoff muss auf diese grundlegende Struktur herunter gebrochen werden, und auch wenn in einzelnen Augenblicken noch ein klein wenig von der Komplexität der Vorlage durch die Nähte von David Bowers’ CGI-Adaption hindurch schimmert, so würde Osamu Tezuka, erreichte ihn die Kunde von diesem Versuch einer Modernisierung seiner Ideen irgendwo, sicher sanft, aber doch vernehmlich im Grabe rotieren.

Dabei ist das eigentlich Eindrucksvolle an „Astro Boy“, dass im Grunde – und darin mag sich gar auf zynische Weise der Selbstzweifel des robotischen Protagonisten spiegeln – alles da ist und trotzdem alles falsch: der einleitende Unfall, bei dem Toby, der Sohn des genialen Robotikers Dr. Tenma, ums Leben kommt, die Erschaffung eines androidischen Alter Egos, das, mit Tobys Erinnerungen versehen, nicht um seine eigene Künstlichkeit weiß, schließlich das Verstoßenwerden durch den Vater, dessen Trauer durch das Ebenbild des verstorbenen Kindes nur schlimmer wird. Das alles ist reichlich düster für einen Kinderfilm und wird sowohl in den diversen Vorlagen als auch hier durch allerlei kindgerechten Humor abgefedert. Und doch will sich in Bowers’ Film die Selbstverständlichkeit, mit der bei Tezuka komplexe philosophische Problematiken und exaltierter Humor eine Einheit eingehen, ohne sich gegenseitig zu nivellieren, nicht für eine einzige der gerade mal knapp 80 Minuten einstellen. Stattdessen wird alles dem Prinzip stetiger Versöhnbarkeit unterworfen, erscheint noch der existenziellste Konflikt bloß als ein kleines Hindernis auf dem Weg zur Ankunft an jenem eigenen Platz im Leben und in der Welt, dessen Existenz für jede Kreatur, artifiziell oder nicht, die Form des amerikanischen Animationsfilms nicht einmal im Ansatz in Frage zu stellen imstande ist.

Astro Boy – Der Film
(Astro Boy, USA / Hongkong / Japan 2009)
Regie: David Bowers; Buch: David Bowers, Timothy Harris; Musik: John Ottman; Bildgestaltung: Pepe Valencia; Schnitt: Robert Anich Cole
Sprecher in der Originalfassung: Nicolas Cage, Kristen Bell, Charlize Theron, Samuel L. Jackson, Donald Sutherland, Bill Nighy, Freddie Highmore, Nathan Lane, Eugene Levy u.a.
Länge: 93 Min.
Verleih: Concorde

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Die DVD kommt in tadelloser Bild- und Tonqualität mit gut 40 Minuten Bonusmaterial von mäßigem Interesse.

Bild: 2,35:1 (16:9 anamorph)
Ton: Deutsch (DTS, Dolby Digital 5.1), Englisch (Dolby Digital 5.1)
Untertitel: Deutsch
Extras: Making of in 3 Teilen: „Die Entstehung eines Helden“, „Das Design von Metro City“, „Im Aufnahmestudio“, Featurette: „Der Astro-Boy-Look“, 2 Kurzfilme, 4 animierte Bildergalerien
FSK: ab 6 Jahren

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