Ein guter Zuhörer

Die schlimmsten Alpträume sind diejenigen, die man zuerst nicht merkt. Man wähnt sich in Sicherheit und begreift erst allmählich, dass etwas nicht stimmt und die scheinbar vertraute Realität tiefe Brüche aufweist. Die rettende Rückkehr zur „normalen“ Ordnung der Dinge wird in diesem Moment problematisch, da die Gefahr genau dort lauert, wo man früher Normalität vermutete. Der Film von Benjamin Heisenberg bewegt sich in der Ästhetik eines solchen schleichenden Alptraums, der das Banale und Alltägliche ganz subtil durchdringt, um schließlich eine unlösbare Schlinge um die Protagonisten zu bilden.

In der Eröffnungssequenz zeigt uns die Kamera ein scheinbar zufällig eingefangenes Stück Wirklichkeit, eine friedliche Stadtparkszenerie. Unter den Passanten werden dann zwei ausgewählt, deren Gespräch wir genauer verfolgen, obwohl auf den ersten Blick eigentlich kein zwingender Grund besteht, die Aufmerksamkeit ausgerechnet auf die beiden zu richten. Das Gespräch verläuft im übrigen ganz unspektakulär und ist am Ende angelangt, noch bevor sein „Sensationscharakter“ dem Zuschauer völlig bewusst geworden ist. Offenbar sind wir gerade Zeugen einer Spitzelanwerbung geworden, die, wie es scheint, fehlgeschlagen hat. Das Angebot, das man dem jungen Wissenschaftler Johannes (Bastian Trost) macht – und zwar: seinen aus Algerien stammenden Kollegen Farid (Mehdi Nebbou) zu beobachten und die Informationen an eine Sicherheitsbehörde zu übermitteln – ist an sich eher unheimlich, doch die Selbstverständlichkeit, mit der die Mitarbeiterin des Verfassungsschutzes ihr Anliegen darlegt, und die Routine, die sich darin erkennen lässt, wirken zunächst beruhigend. Es könnte ja jeden Tag jeden anderen treffen. Wofür dann die Aufregung? Johannes lehnt jedenfalls ab und glaubt, zu seinem Alltag (aus dem er eigentlich nie herausgerissen wurde) wieder zurückzukehren. Doch die Realität, in der solche Angebote „alltäglich“ wirken, beginnt selbst traumwandlerische Züge anzunehmen, ohne dass die Behörden sichtbar eingreifen…

Dabei versucht man ja ständig nur die eigene Pflicht zu tun. So seziert Johannes in seinem Forschungslabor pflichtbewusst die Versuchsmäuse und arbeitet fleißig an seiner Karriere, die ihm nicht nur wissenschaftliche Leistungen, sondern auch einen geschickten Aufbau der Beziehungen zu Kollegen und dem leitenden Professor abverlangt. Die privaten und die beruflichen Interessen verschlingen sich so eng ineinander, dass sie fast ununterscheidbar werden. Es ist dann schließlich nicht zu entscheiden, ob die Freundschaft, die sich langsam zwischen Johannes und Farid aufbaut, auf einer wirklichen Zuneigung beruht oder vielmehr dem dringenden Bedürfnis entspringt, von der Konkurrenz so viel, wie möglich, zu erfahren. Gleichzeitig ertappt sich Johannes immer mehr dabei, dass er Farid tatsächlich auf seine politische Loyalität testet. Aber sind die Umstände und Beziheungskonstellationen, die ihn dazu antreiben, wirklich ganz alltäglich und zufällig entstanden, oder wird das Versprechen der Sicherheitsbeamtin, die Überwachung von Farid unter jeden Umständen zu gewährleisten, auf diese Weise erfüllt?

Ein Schläfer ist eigentlich ein Agent, der zwar schon angeworben ist, aber noch auf seinen Einsatz wartet. Der Film evoziert das Bild einer Gesellschaft, in der sich jeder als Schläfer entpuppen kann oder sogar schon unmerklich an seiner Aufgabe arbeitet. Paradox ist dabei, dass all jene, die wir als potenzielle Spitzel verdächtigen könnten, nur einer einzigen Person gegenüberstehen, die es, wie es heißt, „mit einem guten Grund“ zu bespitzeln gilt. Und ausgerechnet über diese Person erfahren wir im ganzen Film nichts, was die Vermutungen der Sicherheitsbehörden bestätigen würde. Das Opfer ist scheinbar ganz beliebig ausgewählt. Selbst die üblichen Erklärungen, dass das „Andere“ und „Fremde“ automatisch verdächtig wird und Feinseligkeit auslöst, treffen hier nicht ganz zu, denn Farid ist höchstens nominal ein Fremder: Sein Lebenswandel, seine Mentalität uns sogar die äußere Erscheinung lassen ihn kaum unter den anderen (deutschen) Kollegen auffallen. Und trotzdem funktionieren die Mechanismen des Ausschlusses, einmal in den Gang gesetzt, reibungslos.

„Schläfer“ verzichtet ganz bewusst darauf, die Einzelheiten der Arbeit der Sicherheitsbehörden zu zeigen, und begnügt sich stattdessen mit der Perspektive eines „Unwissenden“, der es nicht vermag, in die Geheimnisse der Geheimdienste einzudringen. Im Gegensatz muss man hinter allen seinen Seelenregungen eine geschickte Lenkung der Sicherheitsbehörden vermuten, was ihn für den Zuschauer und schließlich für sich selbst zu einem Rätsel macht, das am Ende des Film noch längst keine eindeutige Lösung erhält.

Schläfer
(Österreich/Deutschland 2005)
Regie: Benjamin Heisenberg, Buch: Benjamin Heisenberg, Kamera: Reinhold Vorschneider, Schnitt: Stefan Stabenow, Karina Ressler
Darsteller: Bastian Trost, Mehdi Nebbou u. a.
Länge: 100 Minuten
Verleih: Zorro Film

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