Tropical Malady

Die ersten Minuten sind furios: ein sich mal sacht vortastendes, dann wieder schwerelos über die Szenerie erhebendes, entfesseltes Kameraauge. (Wessen Blick führt es?) Eine panische Frau durchquert den Bildkader, verfolgt von zwei Männern. Alle verschwinden in der Tiefe: des Bildes, des Waldes. Die Kamera wendet sich ab, dringt weiter vor in den Dschungel, erforscht die Natur; dazu dieses sphärische, verstörende, seduktive Sounddesign. Mal scheint der Blick der Kamera einem Menschen zugeordnet, dann wieder scheint er die Grenzen des menschlichen Auges zu transzendieren, im Unfasslichen des Dschungels aufzugehen. Schließlich sehen wir zwei Männer, wohl die Verfolger des schreienden Mädchens, tot in einem Fluss liegen. Die Kamera registriert ungerührt, geht darüber hinweg, tastet sich weiter. Dann kommt das Menschliche ins Spiel, und an diesem Punkt verliert Pen-ek Ratanaruangs neuer Film „Nymph“ viel von seinem Geheimnis.

Mit seinen beiden Meisterwerken „Last Life in the Universe“ und vor allem „Invisible Waves“ hatte sich Ratanaruang ja in der Mitte der vergangenen Dekade als einer der interessantesten Regisseure des neuen thailändischen Kinos herausgestellt und hatte zu einem äußerst individuellen Stil gefunden. Von einer trancehaften Melancholie durchdrungen, wurden in beiden Filmen vor dem nur noch vage erkennbaren Hintergrund von oberflächlich unvereinbar erscheinenden Genreerzählungen – die sanfte Liebesgeschichte und der Yakuzafilm in „Last Life in the Universe“, das Neo-Noir-Gangsterdrama und der kafkaeske Slapstick in „Invisible Waves“ – existenzielle Fragestellungen um Liebe und Todessehnsucht, Schuld und Sühne verhandelt. Dem betont verschleppten, hypnotischen Grundrhythmus dieser Filme bleibt Ratanaruang auch weiterhin treu, doch scheint die inhaltliche Erdung in „Nymph“, wie schon im direkten Vorgänger „Ploy“, zu Ungunsten des globaleren Ansatzes der früheren großen Würfe eine bedeutendere Rolle zu spielen.

Ebenso wie der als Dreipersonenstück und Kammerspiel in einem Hotelzimmer angelegte, durch verschiedene Brechungen und Engführungen von Träumen und Realitäten aufgefächerte „Ploy“ ist auch „Nymph“ im Kern ein Ehedrama. Das Paar May und Nop ist seit Jahren miteinander verheiratet, hat seit Monaten nicht mehr miteinander geschlafen und hat sich im Grunde auch nicht mehr viel zu sagen. May hat sich längst in eine Affäre mit ihrem Chef geflüchtet, der für sie seine Frau verlässt, während Nop von alldem weiß, ohne etwas dagegen zu unternehmen. Bei einem gemeinsamen Ausflug in den Dschungel wird Nop von einer mysteriösen Nackten verschleppt, sodass May ohne ihn in die Zivilisation zurückkehren muss. Erst dort taucht er, unvermittelt und wie aus dem Nichts, plötzlich wieder auf. Aber handelt es sich bei dem merkwürdig verstört erscheinenden Rückkehrer wirklich um Nop? Ist dieser bereits ins Reich der Geister übergetreten? Oder handelt es sich nur um Wunschträume der alleingelassenen May?

Die Erzählung von Nymph“ zitiert erneut eine ganze Reihe mehr oder weniger prominenter Vorbilder: Der vielleicht aus dem Jenseits heimgekehrte Geliebte erinnert an die klassische, noch vor dem ganz großen Boom des Thai-Kinos von Nonzee Nimibutr als edles Spukdrama verfilmte Geschichte „Nang-Nak“, während die Konzentration auf die Psyche der verlassenen Frau François Ozons Drama „Sous le sable“ in den Sinn kommen lässt. Stilistisch freilich scheint Ratanaruang eher dem Kino seines noch ungleich begabteren Landsmannes Apichatpong Weerasethakul zuzustreben, und darin liegt dann freilich auch das letztendliche Scheitern von „Nymph“ begründet. Denn wo Apichatpong dem Dschungel sein Geheimnis lässt und ihn zum unergründlichen finsteren Herz seines idiosynkratischen, enigmatischen Kinos macht, da bleibt er bei Ratanaruang leider bloße Projektionsfläche für die eher prosaischen Eheprobleme seiner Protagonisten. Anders als in „Last Life in the Universe“ und „Invisible Waves“, wo es Ratanaruang dem kalten Grundton zum Trotz mit rein formalen Mitteln gelang, Interesse für seine Antihelden herzustellen, bleibt „Nymph“ dem unglücklichen Paar leider meist äußerlich, und so reicht er über ein reines Schwelgen in Stimmungen, Bildern und Klängen selten hinaus. Als Stilist (und Ästhetizist) bleibt Ratanaruang zweifelsohne einer der ganz Großen des gegenwärtigen Weltkinos, auf der inhaltlichen Ebene mag hier freilich das betont kleine Kino, dem er sich mit „Ploy“ tendenziell zugewandt hat, mit der weitschweifigen Idee eines »Kinos des Dschungels« nicht so ganz zusammengehen, und so bleiben hier die Potenziale sowohl im Kleinen als auch im Großen, auf etwas tragische Weise, eher ungenutzt.

Nymph
(Nang mai, Thailand 2009)
Regie & Buch: Pen-ek Ratanaruang; Musik: Diet Schütte; Kamera: Chankit Chamnivikaipong; Schnitt: Koichi Shimizu
Darsteller: Jayanama Nopachai, Porntip Papanai, Wanida Thermthanaporn, Chamanun Wanwinwatsara u.a.
Länge: 109 Min.
Vertrieb: Fortissimo Films

Dieser Text ist erstmals erschienen in Splatting Image Nr. 82.

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