Aufgewärmtes schmeckt nicht

Wenn man den Namen Martin Scorsese hört, denkt man an eine Liste von großartigen Filmen, deren ausgereifte Figuren und Handlungen überwältigen. Dementsprechend hoch sind die Erwartungen, wenn man sich seinen neuen Film „Shutter Island“ ansieht, dessen düsteres Filmplakat eine spannend-schaurige Atmosphäre verspricht, und dessen Aufgebot an Schauspielern fast schon ein Garant für einen erstklassigen Film ergeben muss. Doch in wie weit kann derartiger „Schmuck“ einen Film ausmachen? „Shutter Island“ zeigt, dass Scorsese sein Handwerk versteht, und dennoch genügt diese Feinmechanik einfach nicht.

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„There must be some kind of way out of here…“

Zwei Jungs, vermutlich im Grundschulalter, kümmern sich rührend um einen Säugling. Sie füttern ihn, spielen mit ihm, und taufen ihn schließlich sogar. Ein an sich schönes Bild leitet eine desolate Situation ein. Wir sehen Nick und seinen kleinen Bruder, die sich, von ihrer alkoholsüchtigen Mutter vernachlässigt, um den Neuzugang zur ihrer dysfunktionalen Familie sorgen müssen. Spät abends kehrt die Mutter betrunken zurück, schlägt ihre Kinder, lässt sie im Rausch unter sich und verschwindet eben so schnell wieder. Verzweifelt greifen die Jungen zu Mutters Schnaps und betrinken sich, um für eine Nacht ihre Sorgen zu vergessen; am nächsten Tag findet Nick den Säugling tot in der Krippe.
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Von Menschen und Maschinen

Es ist eine Galavorstellung, die das Herz des Filmliebhabers höher schlagen lässt. 83 Jahre nach der Uraufführung kann der Zuschauer an einem ganz besonderen Abend Fritz Langs Stummfilmklassiker „Metropolis“ in seiner beinahe ursprünglichen Fassung wieder auf der Leinwand bewundern. Begleitet wird die Vorstellung auf der Tonebene von Gottfried Huppertz‘ Originalpartitur, umgesetzt durch das Berliner Rundfunk-Sinfonieorchester. Die glamouröse Atmosphäre des Berliner Friedrichstadtpalastes rundet das Erlebnis ab und betont auch noch einmal die Besonderheit dieser Situation.

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In 14 Filmen um die Welt. Ein Reisebericht

Bereits zum vierten Mal fand in diesem Jahr das Filmfestival „Around the World in 14 Films“ im Berliner Kino Babylon Mitte statt, und erneut hat es sich zum Ziel gesetzt, dem hauptstädtischen Publikum einen jedenfalls kurzen Einblick in all jenes zu bieten, was ihm den Rest des Jahres über in cineastischer Hinsicht so vorenthalten wird. 14 Filme aus 14 Ländern, plus drei Special Screenings, alle Filme auf internationalen Festivals gezeigt und meist auch prämiert, und alle noch ohne deutschen Verleih. Da bereits in den letzten Jahren durchaus einige Filme präsentiert wurden, bei denen sich diese missliche Situation im Anschluss an das Festival noch änderte, bleibt zu hoffen, dass jedenfalls die eine oder andere der von Festivalleiter Bernhard Karl zusammengeklaubten Perlen noch einem größeren Kinopublikum vorgestellt werden wird. Tatsächlich erwies sich das diesjährige Programm als reich an Kleinodien. Das Spektrum reichte dabei von bedeutenden neuen Arbeiten längst etablierter Filmemacher bis hin zu überraschenden Werken von Regiedebütanten, von formalen und narrativen Experimenten bis zu in klassischen Strukturen funktionierenden Independentfilmen.

Zu den letzteren ist etwa die neue Arbeit des hoch- und höchstgelobten US-amerikanischen Filmemachers Ramin Bahrani zu zählen, der in „Goodbye Solo“ zwei höchst unterschiedliche Männer aufeinander treffen lässt: Der senegalesische Taxifahrer Solo lebt in zwar prekären Verhältnissen, aber doch mit unerschütterlich guter Laune seine Version des amerikanischen Traums, während der suizidale William scheinbar bereits mit dem Leben, den Träumen und der Hoffnung auf Erlösung abgeschlossen hat. Der Zufall verschlägt William in Solos Taxi, und fortan werden die beiden Männer ein Stück Weges gemeinsam gehen. Ein solcher Stoff bietet natürlich allerlei offenkundige Vorlagen für ödes Kunsthandwerk; umso schöner, dass Regisseur Bahrani in kaum eine dieser Fallen hineintappt. Stattdessen gelingt es ihm, eine ganz eigene und eigenwillige Poesie zu kreieren, die seinen Film bis zum fast surreal wirkenden Finale zu tragen durchaus imstande ist. Zwar rechtfertigt er damit noch kaum die Lorbeeren, die ihm von allerlei amerikanischen Kritikern bereits umgehangen wurden – insbesondere der unvermeidliche Roger Ebert sah in Bahrani bereits einen neuen großen Regisseur in den Fußstapfen eines Scorsese –, eine beachtenswerte neue Stimme im gegenwärtig florierenden US-Independentkino stellt Bahrani in jedem Fall dar.

Freilich hatte das Festivalprogramm nicht nur solche gelungenen, aber weitestgehend konventionellen Erzählentwürfe zu bieten. Bereits im Hinblick auf die Filmlänge fiel etwa „Historias extraordinarias“ des argentinischen Filmemachers Mariano Llinás aus dem Rahmen: Geschlagene 252 Minuten an den Kinosessel zu fesseln nahm sich dieser Regiedebütant nämlich vor, und wählte dafür ein Sujet – oder besser: eine Reihe von Sujets – irgendwo zwischen dem magischen Realismus eines Marquez oder den labyrinthischen Verschwörungsfabeln eines Pynchon oder auch Borges. Diese literarischen Bezugspunkte scheinen hier gar ausnahmsweise einmal ganz und gar angemessen, lehnt sich doch Llinás’ Filmsprache recht weit einer literarischen Erzählweise entgegen. Nahezu ohne (hörbare) Dialoge kommt er über vier Stunden lang aus, alles intradiegetisch Gesprochene wird durch einen atemlosen, beinahe omnipräsenten Erzählerkommentar übertönt. Das mag man für ein interessantes Experiment halten oder auch für eine eher unfilmische, in ihrem vorgeschobenen Willen zur Kunst angestrengte Verfahrensweise; in jedem Fall fällt es in Bezug auf Laufzeit und ästhetische Konzeption weit aus dem Rahmen dessen, was man für gewöhnlich im Kino zu sehen bekommt. Das allein macht es bereits erwähnens- und zeigenswert.

Noch weiter von der Grammatik des kommerziellen Kinos entfernt sich der große iranische Regisseur Abbas Kiarostami in seinem jüngsten Film „Shirin“. In diesem cineastischen Experiment wendet er den Kino-Blick herum und lässt ihn auf die Zuschauer fallen. Die Zuschauer seines Filmes blicken in einen Kinosaal hinein, auf ein anderes Publikum, das einen anderen (?) Film sieht. Dieser (ungedrehte) Film erzählt die tragische Liebesgeschichte der Prinzessin Shirin, eine Art persisches Nationalepos, und indem Kiarostami uns zum Soundtrack dieser Erzählung die Gesichter von 112 iranischen Schauspielerinnen (plus Juliette Binoche) zeigt, die gebannt in Richtung Leinwand und somit wieder auf uns, ihr Publikum, schauen, gelingt ihm gleich zweierlei. Zum Einen ist „Shirin“ zu deuten als eine Meditation über das Kino, über die Filmkunst und das, was sie mit uns macht – und zum Anderen drängt sich auch eine Lesart als böse Parodie auf. Jene einstmals systemkritischen Filmemacher, die sich durch die Inszenierung pompöser Nationalepen zu Visitenkarten ihrer oft repressiven Systeme machen – der Chinese Jia Zhang-ke wird der nächste sein – kommen unweigerlich in den Sinn, wenn Kiarostami seine Darstellerin zum schwelgerischen Kitsch der hier verweigerten Bilder Tränen verdrücken lässt. Ein mutiger, ambivalenter, vielschichtiger, beachtlicher Film, und sicher eines der Highlights des Festivalprogramms.

Im Gestus der Bilderverweigerung durchaus verwandt, aber doch sehr viel brachialer brannte sich „Kinatay“, der neue Film des philippinischen Regisseurs Brillante Mendoza und ein weiterer Höhepunkt des Festivals, in die Erinnerung seines Publikums ein. Dabei setzt auch Mendoza über weite Strecken eher auf das Nichtnarrative und das Nichtgezeigte – was er dann aber doch zeigt, das genügte immerhin zum kleinen Skandalfilm des diesjährigen Cannes-Festivals. Die Klammer schließt sich hier wiederum bei Roger Ebert, der zu Protokoll gab, dies sei mit größter Sicherheit der schlechteste Film, der je in Cannes gezeigt wurde. Nun kann man dies freilich ja durchaus als ein Empfehlungsschreiben verstehen, und tatsächlich ist „Kinatay“ ein überaus nachdrückliches Stück Filmkunst. In einem naturalistisch anmutenden Gestus, vom anwesenden französischen Produzenten nicht ganz treffend als cinéma vérité definiert, folgt Mendoza einem jungen Polizisten auf einer Reise in die Nacht, sowie gleichzeitig aus dem urbanen Manila und dem vorgeblich zivilisierten Leben heraus. Um eine korrupte Polizeitruppe geht es dort, die eine drogensüchtige Prostituierte vergewaltigt, ermordet, zerstückelt – einfach so. Der junge Protagonist, dessen Hochzeit wir in der sonnendurchfluteten ersten halben Stunde noch beigewohnt haben, wird als Handlanger angeheuert und verfolgt fassungslos das sich ihm darbietende Grauen. Diesem Herzstück seines Films – die Folterung und Zerstückelung der hilflosen Frau – entzieht Mendoza durch den Aufbau von „Kinatay“ jeglichen Hauch des Reißerischen. Durch eine beinahe halbstündige, im Nachtdunkel versinkenden Autofahrt verpasst er der schrecklichen Tat eine Art Ouvertüre, ein hypnotisches Vorspiel, das einerseits die Atmosphäre bis ins Unerträgliche anreichert und andererseits jenen Teil des Publikums mit Anlauf vor den Kopf stößt, das sich vielleicht einzig vom reißerischen Titel – „Kinatay“ bedeutet soviel wie „abgeschlachtet“ – angezogen fühlt.

Als eines der zentralen Themen des ansonsten erfrischend eklektischen Festivalprogramms erwies sich also das des Bildentzugs. Was bleibt ansonsten noch zu sagen zum 2009er Jahrgang des Festivals „Around the World in 14 Films“? Auf jeden Fall noch, dass mit Kiyoshi Kurosawas „Tokyo Sonata“ und Mamoru Oshiis Anime „The Sky Crawlers“ zwei essenzielle Werke des jüngeren japanischen Kinos zu sehen waren – von zwei eigenwilligen und brillanten Filmemachern, deren reiches Schaffen in Deutschland noch immer unterrepräsentiert ist. Und dann abschließend, auf jeden Fall: dass dem Gedanken dieses Festivals – dem Kino jene aufregenden, innovativen, ungewöhnlichen Werke zurückzugeben, die ansonsten allzu oft nur noch in digitaler Form im Heimkino zugänglich sind – immer größere Bedeutung zukommt in einer Kinokultur, der zwischen Multiplexen und Arthousemainstream die Nischen zunehmend abhanden kommen.

Das Festival Around the World in 14 Films fand vom 27.11. – 05.12.2009 im Babylon Mitte Berlin statt.

Vom Kinosessel auf die Couch

Leider hat man bei der ungeheuren Fülle von Animationsfilmen auf einschlägigen Festivals schnell den einen oder anderen kurzen Happen vergessen. Dass es auch anders geht, beweist die nun als 3-DVD-Box erschienene, mit „Best of Animation“ aus dem Hause absolut Medien betitelte Sammlung mit den besten Filmen des Internationalen Trickfilm-Festivals in Stuttgart der letzten drei Jahre (2006-2008). Denn hier kann man sich einige der sehr schönen und vor allem mit viel Liebe hergestellten Animationsfilme ins visuelle Gedächtnis zurückrufen. Eine längst überfällige Entscheidung, einige Highlights des Festivals auf diese Weise zugänglich zu machen, denn selbst bei den vielen Informationsquellen zum Thema im Netz bleibt doch eine derartige äußerst seriös und professionell gestaltete Aufbereitung der Filme dieses Festivals ein Glanzlicht im überquellenden DVD-Markt und gibt den künstlerischen Resultaten eine würdige Plattform, die sie ohne jeden Zweifel verdient haben. Dass dieses 1982 gegründete Festival zu Recht zu den größten und wichtigsten Veranstaltungen zum Animationsfilm in Deutschland gehört, beweist allein die Tatsache, dass jedes Jahr weit über 1.500 Filme eingereicht werden. Getreu dem Motto, dass im Zentrum des Festivals der künstlerische animierte Kurzfilm steht, haben die Herausgeber Dittmar Lumpp und Ulrich Wegenast einige der reizvollsten Animationsfilme der letzten Jahre herausgesucht, gewissermaßen eine „handverlesene Rolle mit den besten Animationsfilmen weltweit“ zusammengestellt, wie es treffend im Einführungstext der DVDs heißt.

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Pinprick

Es darf ein relativ bekanntes und in unzähligen Kinderbüchern spannend umgesetztes Phänomen sein, dass Kinder sich nichts sehnlichster wünschen, als einen geheimen Freund, der immer für sie da und den „normalen“ Spielkameraden weit überlegen ist. Um diese Wunschvorstellung in der (fiktionalen) Realität zu verorten, werden Kuscheltiere mit Sprachfähigkeiten ausgestattet oder aber auch ganz neue Wesen erfunden, wie etwa der wohl bekannte Karlsson vom Dach.

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