Playing with the Kids

Bevor wir jemanden hassen können, müssen wir erst uns selbst hassen lernen. Nach erlittenem Leid wird das Hassobjekt in das Ich integriert und ein Bestandteil desselben: Wir selbst sind es dann zunächst, die die Ausgangssituation wiederholen und unsere Aggression baut sich auf und richtet sich folglich zunächst gegen uns. Rachepläne werden geschmiedet, die Wut staut sich und wenn wir dann dem Hassobjekt begegnen, findet im Akt der Rache eine das Ich befreiende Aktion (meist milder als die imaginierte) statt. Was jedoch lange gährt, bauscht sich ganz besonders auf und entlädt sich mit besonderer Wucht – das zumindest zeigt Larry Kent in seiner schwarzen Familienkomödie „Hamster Cage“, bei der eine Feier in einer Katastrophe endet.

hamster_cage.jpg Die mittlerweile erwachsenen Stan und Lucy sind von ihren Eltern zu einer besonderen Familienfeier eingeladen: Vater Phil hat den Nobelpreis in Physik für eine astronomische Theorie gewonnen. Die Beziehung der Kinder zu ihren Eltern ist gespannt: Stan ist ein Muttersöhnchen, kuschelt und knuddelt die ganze Zeit mit seiner Mutter Jenn und wird vom Vater verachtet. Bei Lucy ist es genau umgekehrt. Als sich auch noch Onkel Paul und dessen kindfrauliche, viel zu jugen Freundin Candy bei der Party einfinden, kommt es schon bald zum Eklat: Paul hat Lucy als Kind jahrelang missbraucht. Paul, mittlerweile als Psychologe tätig, will die Gelegenheit nutzen, die Dämonen der Vergangenheit noch einmal heraufbeschwören: alles sei doch gar nicht so schlimm gewesen. Doch Stan und Lucy spielen dieses Spiel nicht mit und ermorden den Lustgreis mit sichtlichem Vergnügen, während der Rest der Familie – davon nichts ahnend – die von Paul mitgebrachten „Geschenke“ öffnet: allesamt Erinnerungsfragmente an Traumata aus der gemeinsamen Vergangenheit, die Wahrheiten ans Tageslicht bringen und einen Konflikt anheizen, der die Familien in den Untergang treibt. Die eifrige Candy dokumentiert dies alles für ein Romanprojekt und spielt die Unbeteiligte.

candy_smile.jpg Larry Kents „The Hamster Cage“ ist, wie der Titel schon andeutet, ein filmisches mikrosoziales Experiment. Er führt vor Augen, wie innerfamiliäre verdrängte und verschüttete Konflikte an die Oberfläche geraten und auf welche Weise sie sich manifestieren. Dass sich Kent dafür ausgerechnet das Thema Sexualität auswählt, macht die Geschichte besonders brisant: Inzest und Pädophilie sind gesellschaftliche Tabus und besitzen damit ein besonderes Potenzial für Verletzung und gestaute Aggressionen. Der innere Konflikt, den die beiden Geschwister jahrelang, vielleicht jahrzehnte lang in sich herumtragen, manifestiert sich daher auf besonders drastische Weise. Der Film weist jedoch weder für die Katastrophe, die geschieht, noch für deren Grund eindeutig schuldige aus: Paul selbst wurde als Kind vom Vater missbraucht und hat die Kette der Demütigungen damit nur fortgesetzt.

Autorregisseur Kent beobachtet und beschriebt dies alles aus nächster Nähe und frei von moralischen Konventionen. Er schildert geschwisterliche Kabbeleien mit der selben Unbefangenheit, wie einen Fellatio der erfolgssüchtigen Candy bei Phil, die mütterliche Sorge um erkaltendes Essen, den mehrfachen gemeinschaftlichen Mordversuch und schließlichen Mord am Onkel oder den finalen Inzest des Geschwisterpaares. Die Lakonie und der Zynismus des Films offenbaren sich auf diese Weise als die Nüchternheit einer wissenschaftlichen Feldstudie. Kent fördert dabei Wahrheiten zu Tage, die auf psychoanalytischen Theoremen vom Ödipuskomplex bis hin zur oben beschriebenen Aggressionstheorie Theodor Reiks basieren. Der unvergleichliche Stil, in dem die Erzählung und die Figuren entwickelt werden, ist dabei die Handschrift des kanadischen Regisseurs, der bislang nur innerhalb seines Landes bekannt geworden ist. „Hamster Cage“ ist nach 13 Jahren Pause sein jüngster Film – eine gute Gelegenheit, ihn über seine Landesgrenzen hinaus bekannt zu machen.

Hamster Cage
(Kanada 2005)
Regie: Larry Kent; Buch: Larry Kent, Daniel Williams; Musik: Alden Penner; Kamera: Gilles Blais; Schnitt: Daryl Bennett, Greg Kaufman
Darsteller: Patricia Dahlquist, Jillian Fargey, Scott Hylands, Carly Pope, Alan Scarfe, Tom Scholte
Verleih: n.n.
Länge: 95 Minuten

Eine Antwort auf „Playing with the Kids“

  1. Eine schwarze Komödie, die man gesehen haben sollte – aber nicht für schwache Nerven.
    Soweit ich weiß leider in Europa noch nicht veröffentlicht.

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